Viele Leipziger/-innen werden noch nicht einmal damit rechnen, was ihnen da in den nächsten Wochen als Nebenkostenabrechnung fürs Vorjahr in den Briefkasten flattern wird. Die wird höher ausfallen als in den Vorjahren, denn schon weit vor Putins Überfall auf die Ukraine zogen sämtliche Energiekosten kräftig an. Am 18. Mai war das Thema im Stadtrat. Die Stadt wird helfen müssen.

Wie genau, das steht noch nicht fest. Mit einem Antrag hatte die Linksfraktion den Vorschlag eingebracht, dafür einen Härtefallfonds mit 150.000 Euro anzulegen, um gerade für diejenigen, die die Mehrbelastung nicht tragen können, kurzfristig Hilfe zu schaffen.

Erfahrungen hat Leipzig mit solchen Beihilfen schon. Im Vorjahr gab Leipzig allein 126.000 Euro dafür aus, SGB-II-Haushalten beim Bewältigen von Energieschulden unter die Arme zu greifen. In der Regel mit Darlehen, die die betroffenen Haushalte dann aus ihren eh schon mageren SGB-II-Sätzen wieder abstottern müssen.

Es betrifft alle Leipzig-Pass-Berechtigten

Dass die ALG-II-Sätze nicht ansatzweise genügen, um auch nur ein Mindestmaß an auskömmlicher Lebenshaltung und gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen, das thematisierte am 18. Mai in einer Einbringungsrede der Linken deren Stadtrat Volker Külow.

Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes müsste der ALG-II-Satz bei 678 Euro im Monat für Alleinstehende liegen. Im Jahr 2022 aber liegt er nur bei 449 Euro. Und das tut er nun einmal, weil der Gesetzgeber viele Ausgaben überhaupt nicht anerkennt oder so niedrige Sätze gewährt, dass der Empfänger auf einen Großteil gesellschaftlicher Teilhabe (von Mobilität bis Kultur) von vornherein verzichten und bei allen lebenswichtigen Posten permanent Abstriche machen muss – bei der (gesunden) Ernährung und bei der Gesundheitsvorsorge genauso wie beim Energieverbrauch.

Denn was er über die Sätze hinaus mehr verbraucht, muss er bei anderen täglichen Positionen streichen. Die Tafeln in Deutschland können ein Lied davon singen. Schon seit Monaten können sie die Nachfrage der Bedürftigen nicht mehr bedienen

Energieberatung hat ein bisschen geholfen – auf ihre Weise

Geradezu stolz zeigte sich Leipzigs Verwaltung, als sie vor einem Jahr verkündete, dass die Zahl der Stromabschaltungen in Leipzig von über 4.000 im Jahr auf rund 2.400 abgesunken war.

Aber das – so Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft in ihrem Redebeitrag – habe mehr mit der – auf Initiative des Stadtrats deutlich ausgebauten – Energieberatung für diese Haushalte zu tun als mit der Verbesserung ihrer finanziellen Lage. Oder besser: Energiesparberatung. Denn wenn man weiß, welchen Energiefresser man ausschalten oder runterregeln muss, um die Kosten deutlich zu senken, dann macht man das auch.

Ob das dann wieder Einbußen im Alltag bedeutet, ist eine andere Frage, denn das Geld, wirkliche Energiespargeräte zu kaufen, haben diese Haushalte meist nicht.

Und dazu kommt: Es geht nicht nur um SGB-II-Empfänger. In Leipzig leben auch zehntausende Menschen auf demselben Einkommensniveau, weil der Niedriglohnsektor nach wie vor groß ist. Diese Haushalte bekommen zwar kein SGB II, haben aber Anspruch auf den „Leipzig Pass“. Dass sie freilich genauso schnell in eine Stromsperre rauschen können wie SGB-II-Empfänger, liegt auf der Hand.

Reicht das Verwaltungshandeln schon aus?

Und so hatte die Linksfraktion gleich drei Antragspunkte in ihrem Antrag „Maßnahmen gegen Energiearmut in Leipzig: Übernahme von Betriebskostennachforderungen bei Hartz IV und Sozialhilfe aus Anlass der gestiegenen Energiepreise“ formuliert.

Ein Antrag, den das Sozialdezernat quasi komplett abgelehnt hat – größtenteils, weil die Verwaltung der festen Überzeugung ist, dass die zwei der drei Punkte schon Verwaltungshandeln sind.

So wie bei Punkt 1, der da lautete: „Der Oberbürgermeister setzt sich gegenüber der Bundesregierung für eine Anhebung der Regelleistung für Leistungsberechtigte nach dem SGB II und SGB XII ein, um unter anderem den gestiegenen Energiepreisen und Teuerungsraten Rechnung zu tragen. Der Oberbürgermeister wird dem Stadtrat im vierten Quartal 2022 zum Umsetzungsstand berichten.“

Muss Leipzigs OBM als aktueller Präsident des Deutschen Städtetages damit wirklich erst beauftragt werden? Aus Sicht von Burkhard Jung nicht, der sich in der Debatte den erhellenden Satz entschlüpfen ließ: „Nach Berlin fahren nützt gar nichts. Man muss die richtigen Leute sprechen.“

Jene nämlich, die die Bundesgesetzgebung tatsächlich vorantreiben können, damit die Regelleistungen endlich so steigen, dass die lächerlichen Steigerungen nicht gleich wieder von der Inflation aufgefressen werden.

Dass die Betroffenen mit der vom Bundestag beschlossenen Einmalzahlung von 200 Euro nicht mal die aufklaffenden Lücken durch die Inflation schließen können, ist mehr als offenkundig.

Wer muss dann in die Bresche springen – wieder die Stadt?

Nur bei Punkt 3 wollte das Sozialdezernat einlenken. Der lautete: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt zu prüfen, wie und unter welchen Voraussetzungen eine monatliche Unterstützung für Leipzig-Pass-Inhaber/-innen hinsichtlich der Eindämmung der Kosten bei der Energie- und Wärmeversorgung (Strom, Gas etc.) durch die Stadt Leipzig möglich ist. Hierbei sind die mutmaßlichen finanziellen Aufwendungen (verschiedene Modell-Rechnungen) darzustellen. Der Bericht wird dem Stadtrat bis spätestens zum 30. September 2022 zur Kenntnis gegeben.“

Denn dass in diesem Jahr der rasant steigenden Energiekosten so eine Erhebung dringend nötig ist, das sieht auch Sozialbürgermeister Thomas Fabian so, auch wenn er den 30. September für sehr sportlich hält. Aber was für Verwaltungsmenschen sportlich ist, ist für Betroffene oft die über Nacht zu klärende Frage: Stromabschaltung oder bei irgendwem um Geld betteln.

Diskutiert wurde freilich auch über die Frage, die in Punkt 2 steckt: „Der Stadtrat beschließt, ab 2022 einen dauerhaften Härtefallfonds in Höhe von 150.000 € für zu definierende Härtefallgruppen im Sozialamt einzurichten, um Nachzahlungen bei der Energie- und Wärmeversorgung (Strom, Gas etc.) in besonderen Notlagen anteilig zu übernehmen (nicht erst bei Ankündigung/Umsetzung Stromsperren oder Vergleichbares). Der Stadtrat ist per Informationsvorlage bis zum 31. August 2022 über das entsprechende Härtefallmodell zu unterrichten.“

Was dann sowohl Katharina Krefft als auch FDP-Stadtrat Sven Morlok zu der Frage bewegte, ob hier nicht zuallererst der Bund und das Land in der Verantwortung stehen, dieses generelle Problem zu lösen, das ja nun einmal alle Leistungsempfänger und Niedriglöhner in Deutschland haben, wenn ihnen die Energiekosten um die Ohren fliegen.

Sollten die Kommunen mit ihren eh schon knappen Etats hier nicht die letzten sein, die hier einspringen sollten?

Mehrheit für Antrag der Linksfraktion

Eine berechtigte Frage. So sah es auch die Stadtratsmehrheit, sodass dieser Punkt zur Abstimmung in den Oktober verschoben wurde, wenn die Zahlen des Sozialdezernats zu den möglicherweise anfallenden Kosten vorliegen. Denn diesen Punkt des Linke-Antrags votierte die Ratsversammlung mit 40:17:1 Stimme genauso positiv wie Punkt 1. Während der letztlich sehr verkniffene Verwaltungsstandpunkt aus dem Sozialdezernat mit 28:32:0 Stimmen abgelehnt wurde.

Mit „ist schon Verwaltungshandeln“ wollte sich die Stadtratsmehrheit an diese Stelle nicht abspeisen lassen. Das Thema brennt. Zwar nicht bei den Reichen und Gutversorgten, die bei solchen Anträgen immer dagegen stimmen. Aber bei denen, die in Leipzig mit wenig Geld versuchen über die Runden zu kommen und die keine Rücklagen haben, um schnell mal eine fette Nebenkosten-Nachzahlung zu begleichen.

Volker Külow kommentierte die Abstimmung im Nachhinein mit den Worten: „Der Energiepreis ist der Brotpreis des 21. Jahrhunderts. Dem müssen wir auch auf kommunaler Ebene entgegensteuern. Der Bund will die steigenden Energiekosten bekanntlich mit zwei Entlastungspaketen abfedern. Diese haben jedoch gravierende Schwachstellen – wie die Tatsache, dass Empfängerinnen und Empfänger von Transferleistungen nur einmalig 200 Euro zusätzlich erhalten.

Diese Almosen von runtergerechnet 16,66 Euro monatlich für ein Jahr werden die steigenden Kosten für die einkommensarmen Bevölkerungsgruppen nicht annähernd auffangen können. Allein durch die Inflationsrate von über sieben Prozent geht ein Monatsgehalt bzw. ein Hartz-IV-Satz im Jahr komplett verloren. – Deshalb setzt sich unsere Fraktion auch für ein gesetzliches Verbot von Strom- und Gassperren ein. Denn Energie ist ein Menschenrecht.“

Im September sollen wir nun erfahren, welche Folgen die drastisch gestiegenen Energiekosten in den armen Haushalten der Stadt tatsächlich haben. Und ob die Stadt dann kurzfristig doch noch 150.000 Euro bereitstellen muss, um die schlimmsten Auswirkungen abzufedern.

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