Das Corona-Jahr 2020 hat vielen Leipziger Haushalten sogar mal ein bisschen finanzielle Entspannung gebracht. Wenn auch nur vorรผbergehend. Denn fรผr drei Monate gab es ein gesetzliches Moratorium fรผr Liefereinstellungen oder Sperrandrohungen. Was dann fรผr etliche Haushalte bedeutete, dass ihre Zahlungsrรผckstรคnde bei Strom und Gas erst einmal keine Sperrandrohungen der Stadtwerke zur Folge hatten.
Aber die Antworten des Dezernats Soziales, Gesundheit und Vielfalt auf eine Anfrage der Grรผnen-Fraktion zu โEnergiearmutโ in Leipzig deuten auch darauf hin, dass sich der Trend der Vorjahre sogar fortgesetzt hat, dass immer weniger Haushalte in Zahlungsprobleme fรผr Strom und Gas kamen, sich also ihre wirtschaftliche Situation verbessert hat.Man vergisst ja beinah, dass Leipzig bis 2019 zehn Jahre der wirtschaftlichen Erholung hinter sich hatte und die Arbeitslosenzahlen entsprechend deutlich gefallen sind. Gleichzeitig ging der โMarktโ der prekรคren Beschรคftigung zurรผck, schafften es immer mehr Menschen auch in regulรคre Arbeitsverhรคltnisse.
Und der Trend wurde 2020 nicht wirklich gebrochen, auch wenn tausende Betriebe in Kurzarbeit gingen.
โDetaillierte Angaben zu Strom- oder Gassperrungen liegen nur fรผr Kundinnen und Kunden der Leipziger Stadtwerke vorโ, erteilt das Dezernat auf ihre entsprechende Frage Auskunft.
โDemnach wurde 2018 bei 4.537, 2019 bei 4.160 und 2020 bei 2.459 zahlungssรคumigen Haushalten eine Sperrung durch den Netzbetreiber Netz Leipzig beauftragt. Von Ende Mรคrz 2020 bis zum 30.06.2020 erfolgten aufgrund des pandemiebedingten gesetzlichen Moratoriums keine Liefereinstellungen oder Sperrandrohungen. Darรผber hinaus beauftragen weitere Energieversorger, welche Haushalte im Netzgebiet der Netz Leipzig beliefern, den Netzbetreiber Netz Leipzig mit ca. 120 bis 180 Liefereinstellungen pro Jahr.โ
Deutlich weniger Sperren
Da das Moratorium nur drei Monate galt, ist die Zahl 2.459 trotzdem aussagekrรคftig. Denn sie bedeutet trotzdem, dass deutlich weniger Haushalte als noch 2019 in Zahlungsschwierigkeiten kamen. Woran es wirklich lag, kann natรผrlich auch das Sozialdezernat nicht sagen.
Die Stadtwerke schon mal gar nicht, denn: โDie Leipziger Stadtwerke erheben keine Informationen zu den Einkommensverhรคltnissen ihrer Kundinnen und Kunden. Einen Anhaltspunkt bieten die vom Sozialamt gewรคhrten Darlehen zum Ausgleich von Energieschulden. Der Anteil der Haushalte, an die solch ein Darlehen ausgereicht wurde und die Leistungen nach dem SGB II oder XII bezogen, lag im Jahr 2018 mit 330 von 4.537 Haushalten bei 7,3 Prozent, im Jahr 2019 mit 278 von 4.160 Haushalten bei 6,7 Prozent und im Jahr 2020 mit 269 von 2.459 Haushalten bei 10,9 Prozent.โ
Was eben auch heiรt: SGB II und SGB XII spielen eigentlich nur eine marginale Rolle bei Strom- und Gasschulden. Die Angabe deutet eher darauf hin, dass Haushalte mit (nicht genรผgendem) Erwerbseinkommen in solche Zahlungsprobleme rutschen kรถnnen. Und dass eben ein nach wie vor existierender Niedriglohnsektor dabei eine Rolle spielt.
โDaten zu Sperrandrohungen liegen nur fรผr Kunden der Stadtwerke Leipzig vor. Im Jahr 2018 gab es 19.076, im Jahr 2019 14.954 und im Jahr 2020 8.660 Sperrandrohungenโ, stellt das Sozialdezernat fest. โDie niedrigere Anzahl im Jahr 2020 ist auf das pandemiebedingte gesetzliche Moratorium zurรผckzufรผhren.โ
Aber eben nicht nur. Denn natรผrlich gab es auch Androhungen, wenn die betroffenen Haushalte nach dem Moratorium immernoch in Verzug waren. Selbst wenn man annimmt, dass es tatsรคchlich zu einem Viertel weniger Androhungen kam, als sonst ohne Moratorium fรคllig gewesen wรคren, kommt man รผber die Zahl 12.000 nicht hinaus. Es gab also auch faktisch weniger Sperrandrohungen. Was eben auch heiรt, dass wieder deutlich weniger Haushalte in Zahlungsschwierigkeiten kamen als 2019 oder gar 2018.
Die Folgen eines sich verรคndernden Arbeitsmarktes
Denn natรผrlich geht die Entwicklung am Arbeitsmarkt weiter. Die Stellenangebote sind ab dem Frรผhjahr 2021 wieder deutlich in die Hรถhe geschnellt. Und selbst 2020 haben tausende Betroffene gerade in den von Sperrungen betroffenen Branchen ihren Arbeitgeber gewechselt. Am stรคrksten betroffen war (und ist) ja die Gastronomie, wo rund 2.000 Fachkrรคfte vom Service bis zur Kรผche abgewandert sind, weil auch das Kurzarbeitergeld nicht zum Leben reichte.
Im Ergebnis wird sich gerade in Dienstleistungsbranchen der Fachkrรคftemangel noch verstรคrken, denn seit รผber zehn Jahren hat Sachsen halbierte Jahrgรคnge in der Berufsausbildung. Hรคnderingend suchen auch die Bau- und Handwerksfirmen nach Nachwuchs.
Die Pandemie wird abflauen, wenn nicht eine neue hochansteckende Virusvariante auftaucht. Aber die Probleme beim Fachkrรคftebedarf werden sich verschรคrfen und gerade jene Branchen unter Druck setzen, die bislang von prekรคren Beschรคftigungsmodellen profitiert haben. Und damit werden auch weniger Haushalte in Not geraten beim Bezahlen ihrer Energierechnungen.
Wobei die Befรผrchtungen der Grรผnen nicht ganz von der Hand zu weisen sind, dass steigende Energiekosten bei Strom und Gas das Problem doch wieder verschรคrfen kรถnnten. Einen Sozialausgleich in der Energiewende muss es zwingend geben, auch wenn die Grรผnen-Fraktion vor allem nach den Angeboten der Stadt gefragt hat, wie sie den von Energiearmut Betroffenen hilft.
Aber die Auskunft des Sozialdezernats zeigt natรผrlich, dass die Spielrรคume der Stadt begrenzt sind โ vor allem auf Beratung und Hilfe im Notfall. Den Sozialausgleich muss der Gesetzgeber schaffen, mรถglichst mit einem echten Ansporn, der sparsame Energieverbraucher belohnt.
Zappenduster fรผr Stunden, bei manchen aber auch lรคnger
Denn wenn es erst mal zappenduster ist in der Wohnung, ist an einen geregelten Alltag kaum noch zu denken. Und manche Betroffene finden schnell eine Lรถsung โ und wenn sie sich das Geld von Freunden zusammenpumpen โ, andere sitzen ziemlich lange ohne Strom da, auch wenn die Stadtwerke keine konkreten Zahlen ausspucken: โLaut Informationen der Stadtwerke Leipzig ist die Bandbreite bezรผglich der Lรคnge der Strom- oder Gassperrungen groร. Bei der groรen Mehrheit aller Haushalte erstreckt sich die Liefereinstellung nur รผber wenige Stunden oder Tage.โ
Und das Dumme an einem Zahlungsverzug ist nun mal, dass dann sofort auch Gebรผhren fรคllig werden. Wer eh schon knapp bei Kasse ist, zahlt noch drauf. Im Wortlaut des Sozialdezernats:
โDer jeweilige Energielieferant beauftragt den Netzbetreiber Netz Leipzig mit der Sperrung. Die Kosten sind auf der Internetseite der Netz Leipzig GmbH (Netzentgelte 2021, Preisblatt sonstige Entgelte) verรถffentlicht. Fรผr Inkassogang, Sperrung und Wieder-รffnung des Zรคhlers werden derzeit insgesamt 101,54 โฌ in Rechnung gestellt.
Nach Information der Stadtwerke werden bei einer รผberfรคlligen Forderung zahlungssรคumige Haushalte durch die Leipziger Stadtwerke mehrfach kontaktiert. Die Leipziger Stadtwerke beraten und unterstรผtzen Kundinnen und Kunden, die sich in Zahlungsschwierigkeiten befinden. Es werden Ratenzahlungsvereinbarungen angeboten sowie auf die Mรถglichkeit der Kostenรผbernahme in Form eines Darlehens durch das Sozialamt hingewiesen.
Die Kosten des Forderungsprozesses kรถnnen nur teilweise den sรคumigen Vertragspartnern auferlegt werden, da durch die aktuelle Rechtsprechung die Hรถhe der Mahnkosten begrenzt wurde. Eine Sperrung des Zรคhlers wird erst beim Netzbetreiber beauftragt, wenn die vorgelagerten Kundenkontakte nicht erfolgreich waren.
Fรผr die Organisation und Durchfรผhrung des Sperrprozesses durch den Netzbetreiber bedarf es der Koordination und Schulung der entsprechend ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie des Vorhaltens notwendiger Betriebs- und Geschรคftsausstattung (KFZ, Werkzeug, IT). Ein exakter finanzieller Aufwand pro Sperrung kann durch die Stadtwerke nicht beziffert werden.โ
Also lieber die โBlauen Briefeโ nicht liegen lassen, sondern schleunigst losgehen โ entweder zur Beratungsstelle der Stadtwerke, um eine einvernehmliche Lรถsung zu finden, oder zum Sozialamt, um Hilfe und Unterstรผtzung zu bekommen.
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