Auch wenn FDP-Stadtrat Sven Morlok schon mal das schöne Wort „Neuverschuldungskonzeption“ benutzte und Leipzigs OBM Burkhard Jung mit „meinem Parteifreund Lindner“ verglich, der einen 100-Milliarden-Euro Kredit für die Bundeswehr als „Sondervermögen“ titulierte, hatte das, was da am 15. Juni vom Stadtrat beschlossen wurde, wenig damit zu tun.

Weder kündigte Finanzbürgermeister Torsten Bonew an, jetzt einfach mal 200 Millionen Euro zusätzlich aufzunehmen, um die Investitionen in Leipzig zu forcieren, noch ist zu erwarten, dass Leipzig am Jahresende 150 Millionen Euro mehr Schulden hat als am Jahresende 2021. Das unterstellte in der Debatte am 15. Juni in der Ratsversammlung CDU-Stadtrat Falk Dossin.

Altes haushalterisches Denken

Gerade bei FDP und CDU wurde das alte haushalterische Denken sichtbar, das das Wohlergehen einer Kommune wie Leipzig nur zu gern mit der Regulierung der Geldströme bewerkstelligen möchte, verschärft durch die Tatsache, dass der Freistaat Sachsen für seine Kommunen tatsächlich eine Schuldenobergrenze von 1.100 Euro pro Kopf gesetzlich festgelegt hat.

Eine Grenze, an deren Sinnhaftigkeit auch Sven Morlok zweifelt.

Aber sie spielt natürlich eine Rolle, denn sie bestimmt, wie viele zusätzliche Schulden Finanzbürgermeister Torsten Bonew noch zusätzlich aufnehmen dürfte, wenn ihm oder dem Stadtrat eine solche Geldausgabe als sinnvoll erschiene.

Leipzigs Finanzlage ist derzeit nicht katastrophal. Im Gegenteil. Allein 2021 konnte der Schuldenberg von 521 auf 461 Millionen Euro abgebaut werden.

Die Sorgen der schwäbischen Hausfrau

Und natürlich wurde darüber in der Ratsversammlung – mit sehr widersprüchlichen Argumenten – diskutiert: Wie viel Spielraum hat Leipzig in der neuen Entschuldungskonzeption, die die starre selbige von 2017 ablöst? Eine Konzeption, die Dossin lobte, weil sie – scheinbar – dazu beigetragen hat, dass Leipzigs Schuldenberg von 626 auf 478 und sogar 461 Millionen Euro abgeschmolzen wurde. Wer jährlich 45 bis 50 Millionen Euro abstottert, senkt so einen Berg natürlich ab.

Aber – und darauf wies der Linke-Stadtrat Steffen Wehmann hin – Leipzig hat sich den Schuldenabbau (der ja auch nicht erst 2017 begann) mit dem Verzicht auf wichtige Investitionen erkauft. Investitionen, die jetzt in einem immer noch riesigen Stau vor der Stadt liegen und in den nächsten Jahren und Jahrzehnten abgearbeitet werden müssen, damit die Kinder und Enkel keine kaputte Stadt hinterlassen bekommen.

Das ist der Spagat: Schuldenberg oder kaputte Infrastrukturen – Straßen, Brücken, Schulen, Kitas, Sporthallen usw.

Da erstaunte die kleinkrämerische Diskussion am 15. Juni in der Ratsversammlung schon etwas. Denn Leipzig hat eben auch – wie Wehmann ebenfalls anführte – einen Stau der nicht abgerufenen Investitionen (investive Haushaltsausgabenreste). Allesamt vom Stadtrat genehmigt. Aber aus unterschiedlichen Gründen nicht umgesetzt – mal, weil Fördergelder fehlen, mal weil Baufirmen fehlen, mal weil Planer fehlen usw.

Das heißt: Es ist nicht einmal zu sehen, dass Leipzig einfach mal so aus der Hüfte 200 Millionen Euro zusätzlich ausgeben könnte. Es könnte gar nicht ausgegeben werden, dieses Geld.

Welche Schulden gemacht werden, entscheiden die Haushaltsberatungen

Und dazu kommt: Welche Millionengelder ausgegeben werden, das entscheidet immer noch der Stadtrat. Im Gegenteil zu dem Eindruck, der da am 15. Juni entstand, der Finanzbürgermeister könnte einfach so aus Jux und Tollerei mal schnell 200 Millionen Euro ausgeben. Das darf er gar nicht. Jede Vorlage mit solchen Millionenbeträgen muss durch den Stadtrat.

Was CDU und FDP natürlich störte, war die Flexibilisierung, die sowohl Finanzbürgermeister Torsten Bonew in seiner Vorlage als auch die Linksfraktion in ihrem ersten Änderungsantrag hatte.

Bei Bonew liest sich das so:

„Die neuen Kriterien der Entschuldung sollen mit der Planung des Doppelhaushaltes 2023/2024 erstmals zur Anwendung kommen. Zu differenzieren ist danach in:

– Altkreditportfolio bis zum 31.12.2022 (getrennt in Kernportpolio und Coronaporfolio) unter Fortschreibung der bisherigen jährlichen Tilgung in Gesamthöhe von 50,5 Mio. EUR

– Neukreditportfolio ab 01.01.2023 mit Tilgung ‚on top‘ unter Beachtung der Höchstverschuldungsgrenze von 1.100 EUR/Einwohner.“

Sichtlich ein Passus, der aus den Erfahrungen des Jahres 2020 stammt, als auch Leipzig lernen musste, dass starre Ãœberschuldungsregeln im Notfall zur Falle werden können – gerade dann, wenn man (wie in der Pandemie) schnell reagieren muss.

Das wurde damals so gar nicht nötig, da Bund und Land die größten Ausfälle stemmten. Aber der Ukraine-Krieg und die steigenden Energiepreise könnten tatsächlich den nächsten Notfall auslösen. Nur weiß noch kein Mensch, in welcher Form und Höhe. Auch Falk Dossin nicht.

Ein Spielraum von 200 Millionen Euro

Aber Spielraum braucht die Stadt dafür. Und der steckt in der Formulierung, dass Leipzig maximal bis zur vom Freistaat gesetzten Höchstverschuldungsgrenze zusätzliches Geld aufnehmen dürfte. Also bis zu den in der Vorlage angegebenen 657 Millionen Euro für das Jahr 2020, die inzwischen bei 667 Millionen oder noch deutlich höher liegen dürfte. Denn Leipzig ist ja weiter gewachsen.

Und im Gegenzug hatte die Linksfraktion vorgeschlagen, die Tilgung nicht bei der Maximalhöhe von 50,5 Millionen Euro pro Jahr zu lassen, sondern flexibel auf 38 Millionen Euro herunterzugehen, um noch mehr Spielraum zu haben.

Ein Antrag, den auch Bonew so vollkommen akzeptieren konnte. Den Linke-Antrag hat er problemlos in seine Vorlage mit übernehmen können. Denn er weiß ja eines: Die wirklichen Entscheidungen zu Geldausgaben fallen jetzt in der Haushaltsdebatte. Da werden die Fraktionen ihre Wünsche vorlegen – oder auch nicht. Da wird am Ende ein Haushalt entstehen müssen, der Ausgaben und Einnahmen ins Gleichgewicht bringt (sonst wird er nämlich von der Landesdirektion nicht genehmigt) und – anders als die beiden Corona-Haushalte 2021 und 2022 – keine zusätzlichen Schulden einbringt.

Wobei ja die Finanzentwicklung gezeigt hat, dass Leipzig zwar 2020 mehr Schulden aufgenommen, 2021 aber die Schulden wieder abgebaut hat. Das heißt, die beängstigenden Prognosen aus der Vorlage sind gar nicht eingetreten. Und treten zumindest 2022 auch nicht ein.

Was danach kommt, weiß keiner. Das wissen alle Beteiligten. Die Entschuldungskonzeption ist ja nur eine Grundlage der Planung. Was Leipzig 2023 und 2024 dann tatsächlich an Geld ausgibt oder gar an Schulden aufnimmt, werden die Stadträt/-innen jetzt in der Haushaltsdebatte entscheiden.

Wer macht da eigentlich schon Wahlkampf für 2024?

Das heißt: Ausgerechnet die Fraktion, die am 15. Juni den anderen schon einen vorgezogenen Wahlkampf zur Stadtratswahl 2024 vorwarf, hat in Wirklichkeit die Ratsversammlung zu einem Wahlkampfpodium gemacht und sich als schwäbische Hausfrau für Leipzig angepriesen. Aber dieses immer neue Mahnen vor Schuldenfalle und fahrlässiger Geldverschwendung zieht nicht mehr wirklich.

Der Blick auf die Leipziger Haushaltssituation ist ganz und gar nicht beängstigend, wie Falk Dossin meinte. Im Gegenteil: Gerade unter CDU-Finanzbürgermeister Torsten Bonew hat sich Leipzigs Haushalt sichtlich konsolidiert und die Schulden sind drastisch zurückgegangen.

Eigentlich könnte Leipzig sogar noch mehr Schulden aufnehmen. Das bestätigte in der Debatte sogar Sven Morlok. Aber die 1.100 Euro, die der Freistaat als Grenze pro Kopf gesetzt hat, stehen fest. Da ist auch für Leipzig die Grenze. Die Freibeuter-Fraktion hatte dann noch beantragt, diese Maximalgrenze nicht zu 100 Prozent auszureizen, sondern maximal zu 90 Prozent, damit in Notzeiten wenigstens noch ein Puffer bleibt, mit dem die Stadt schnell reagieren könnte.

Aber es ist nicht einmal sichtbar, dass Leipzig den 200-Millionen-Euro-Puffer in naher Zukunft in Anspruch nimmt. Es sei denn, die Weltlage entwickelt sich wirklich schlimm.

Die Panikmache funktionierte also nicht so richtig.

Riesige Herausforderung: Zukunftsinvestitionen

Eher wurde der sehr sachliche Linke-Stadtrat Steffen Wehmann in seiner Haltung bestätigt.

„Es ist leider dringend nötig, die rechtlichen Möglichkeiten des Freistaates Sachsen ggf. nicht nur in der Kreditgesamthöhe, sondern auch zur ordentlichen Tilgung zu nutzen, um auch die Spielräume der Genehmigungsfähigkeit künftiger Haushalte der Stadt Leipzig zu verbessern“, kommentierte er den Änderungsantrag der Linksfraktion, den Torsten Bonew anstandslos übernommen hatte.

„Nicht die schnelle Rückzahlung von Darlehen hat jetzt oberste Priorität, sondern die Stärkung der Stadt und somit der Leipzigerinnen und Leipziger. Wir brauchen diese Investitionsspielräume dringendst. Daneben gilt auch für Kredite der Stadt, dass diese weiterhin auch außerplanmäßig bzw. per Sondertilgung bedient werden können. Das heißt, es kann beim finanziell passenden Rahmen unverändert getilgt werden.“

Er nannte auch die Herausforderungen, die vor Leipzig liegen: „Neben der Bewältigung der Folgen durch die Corona-Pandemie und den Angriffskrieg Russlands steht die Stadt vor weiteren Herausforderungen. Auch der Klimawandel wartet nicht. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind hinreichende Investitionen unter anderem in ÖPNV und die Realisierung nachhaltiger Verkehrskonzepte nötig. Auch die soziale Infrastruktur der Stadt wie Schulen und Kitas und vieles mehr muss weiter gestärkt werden.“

Und dann war eigentlich schon absehbar, wie die Sache ausging.

Der FDP-Antrag wurde von der Ratsmehrheit abgelehnt.

Und die Vorlage von Torsten Bonew, der auch die beiden Änderungsanträge der Linksfraktion übernommen hatte, bekam mit 49:12 Stimmen eine klare Mehrheit. Was zumindest Spielräume eröffnet, dann zu reagieren, wenn in Leipzig tatsächlich mal wieder schnell und flexibel gehandelt werden muss.

Eine zusätzliche Verschuldung wurde damit eben noch nicht beschlossen.

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