Diskutiert wurde über diese Vorlage in der Ratsversammlung gar nicht, obwohl sie eigentlich eine kleine Revolution auf einem Wohnungsmarkt ist, auf dem Wohnhäuser immer häufiger und immer teurer weiterverkauft werden, während parallel die Mieten steigen. Die Käufer kaufen meist nur, um ihr Geld irgendwie krisenfest anzulegen, und leben oft gar nicht in Leipzig. Während die Mieter in diesen Häusern dann ratlos vor den Ergebnissen dieser Hausverkäufe stehen.

Sie leben zwar oft schon Jahrzehnte in diesen Häusern, sind im Ortsteil verwurzelt und haben im Lauf der Zeit jede Menge Miete gezahlt. Aber wenn ihr Haus einen neuen Eigentümer bekommt, stehen sie trotzdem da, als wären sie nur auf der Durchreise.

Deswegen legte das Dezernat Stadtentwicklung und Bau am 24. Januar erstmals eine eigene Fachförderrichtlinie „Gebäudeerwerb durch Mietergemeinschaften“ vor, untersetzt mit einer Geldsumme, die Mietergemeinschaften helfen soll, das Haus zu erwerben – im Jahr 2024 mit 250.000 Euro, sodass das Projekt zum ersten Mal auch modellhaft umgesetzt werden kann.

Im „Haus am Fluss“ hat ja gerade erst eine Mietergemeinschaft gezeigt, dass man so auch für die eigenen Familien dauerhaft Wohneigentum sichern kann, auch wenn das gekaufte Haus nicht das ist, in dem die Mietergemeinschaft zuvor zusammenfand.

Aber das Interesse von gewachsenen Mietergemeinschaften, ein Haus auch gemeinsam zu übernehmen, ist groß. Und wie die Erfahrungen des Beratungsnetzwerks Leipziger Freiheit sowie des Eigentümerverbandes Haus und Grund zeigen, stehen bei den Eigentumsverhältnissen in Leipzig jetzt einige Veränderungen an.

Die Gefahr durch institutionelle, Wohnungsmarktakteure

„Noch befinden sich rund 40 Prozent des vermieteten Mehrfamilienhausbestandes im Eigentum privater Einzeleigentümer“, beschreibt das Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung die aktuelle Entwicklung. „Verkäufe durch private Einzeleigentümer nehmen aktuell zu und sind kurz- bis mittelfristig aus den folgenden Gründen noch stärker zu erwarten:

  1. Durch den voranschreitenden Generationenwechsel bei privaten Hauseigentümern (viele Hauskäufe in Leipzig fanden in den 90er Jahren statt), häufig einhergehend mit komplizierten Eigentumsverhältnissen wie bspw. Erbengemeinschaften, ist von einer zunehmenden Anzahl von Hausverkäufen auszugehen.
  2. Die Ungewissheit und die unkalkulierbaren Kosten einer perspektivisch anstehenden energetischen Sanierung können private Einzeleigentümer vermehrt zum Verkauf ihrer Gebäude veranlassen.“

Und man sieht hier ganz deutlich die Gefahr, dass die Wohnungsbestände dann wieder an Immobilienfirmen gehen, denen der Erhalt der vorhandenen Mieterstruktur völlig egal ist.

Mit den Worten der Verwaltungsvorlage: „Wenn in dieser Situation vor allem institutionelle Eigentümer die Gebäude erwerben, schwindet das sozial stabilisierende Klientel der privaten Hauseigentümer. Der Ankauf durch institutionelle Wohnungsmarktakteure mit deutlichem Anlage- oder Verwertungsinteresse erhöht die Gefahr der Aufteilung der Gebäude in Einzeleigentum (nach § 8 Wohnungseigentumsgesetz – WEG) sowie von stärkeren Mietpreissteigerungen für die Bestandsmieter mit ggf. der Konsequenz der Verdrängung der Mieter und Mieterinnen (z.B. aufgrund von Eigenbedarfskündigungen).

Aus den zahlreichen Beratungsfällen des Netzwerks Leipziger Freiheit geht hervor, dass etliche Mietergemeinschaften in den Bestandsgebäuden nach Wegen suchen, das durch sie bewohnte Gebäude gemeinsam zu erwerben oder einen ‚mieterfreundlichen‘ lokalen Ersatzerwerber zu finden. Auch wenn die Eigentümer diesem Modell grundsätzlich offen gegenüberstehen, laufen diese Beratungen aber häufig ins Leere, weil die entsprechende Finanzierung nicht oder nicht schnell genug organisiert werden kann.

Oft fehlt auch der notwendige Eigenanteil, welcher für die Finanzierung des Kaufes und der perspektivischen Sanierung vorausgesetzt wird oder kann nicht von allen beteiligten Haushalten gleichermaßen aufgebracht werden.“

Und um diesen Eigenanteil geht es in diesem neuen Förderprogramm der Stadt.

Bezahlbaren Wohnraum sichern

Das Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung wird noch deutlicher: „Der Übergang des Einzeleigentums an die Mietergemeinschaft kann bezahlbaren Wohnraum im Bestand dauerhaft für die angestammte Bevölkerung sichern, selbstgenutztes Wohneigentum fördern und somit vor Verdrängung schützen.

Gesamtgesellschaftlich betrachtet wird durch den Erhalt des bestehenden bezahlbaren Wohnraums mit ggf. perspektivisch nutzerangepassten Sanierungsmaßnahmen verhindert, dass weniger solvente Haushalte durch starke Mietsteigerungen ihre Wohnungen verlassen müssen und somit als neue Nachfragehaushalte für noch zu schaffende und wiederum zu fördernde Sozialwohnungen auf den Markt drängen.

Gleichzeitig wirkt sich die Schaffung von gemeinschaftlichem Eigentum stabilisierend für die Quartiere wie auch für die eigentumsbildenden Haushalte aus. Mit der Unterstützung von Mietergemeinschaften beim Erwerb von Bestandsgebäuden kann mit einem vergleichsweise kleinen Betrag (im Gegensatz zu Ankäufen, Vorkäufen oder Neubauprojekten) das Ziel, bezahlbaren Wohnraum dauerhaft zu erhalten, verwirklicht werden.

Im Rahmen der Anwendung des allgemeinen Vorkaufsrechtes in Gebieten der Sozialen Erhaltungssatzung entsprechen der Ankauf durch Mietergemeinschaften und eine Selbstverwaltung in genossenschaftlicher oder genossenschaftsähnlicher Form den Anwendungszielen des Milieuschutzes (Beschluss VII-DS-06145 vom 10.11.2021).“

Das Regionalministerium spielt (noch) nicht mit

Man habe dazu auch schon mit dem Regionalministerium in Dresden verhandelt. Aber da lebt man ja bekanntlich noch in einem anderen Zeitalter, in dem der Verlust bezahlbaren Wohnraums in den Großstädten scheinbar keine Rolle spielt.

Ergebnis, so die Verwaltungsvorlage: „Mit dem Anliegen der Förderung von Mietergemeinschaften fanden im I. und II. Quartal 2023 auch Gespräche mit dem Sächsisches Ministerium für Regionalentwicklung (SMR) statt. Eine separate Förderung oder die Verankerung eines Förderansatzes für Mietergemeinschaften zum Ankauf des bewohnten Wohngebäudes konnte jedoch leider kurz- bis mittelfristig landesseitig nicht in Aussicht gestellt werden.

Ungeachtet des weiteren Engagements der Stadt Leipzig ggü. dem Freistaat, den genannten Ansatz in eine Förderung aufzunehmen, empfiehlt die aktuelle Situation (Zeitfenster aufgrund des genannten Generationenwechsels, und der Unsicherheiten bzgl. künftiger, energetischer Sanierungsmaßnahmen) ein kurzfristiges Handeln. Aus diesem Grund soll die vorliegende kommunale Förderrichtlinie beschlossen werden.“

250.000 Euro sind dabei nicht viel. „Es wird erwartet, dass die zu beschließende Förderung für den Ankauf von Gebäuden durch bestehende Mietergemeinschaften anfänglich circa 2 Fälle im Jahr betreffen wird. Wenn die betreffenden Projekte dann im Schnitt 2–3 Wohnungen für die Förderung anmelden, könnten ca. 250.000 – 350.000 € jährlich an Ankaufförderung abgerufen werden.“

Dabei müssen mindestens 60 Prozent der Mieter dem Kauf des Hauses zustimmen und eine besondere Rechtsgemeinschaft bilden. Man geht zwar davon aus, dass die Wohnungen dann in der Regel dem freien Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Aber da dennoch einzelne Wohnungen trotzdem vermietet werden, gilt für sie eine Mietbindung für 25 Jahre. Das entlastet eben auch so den Wohnungsmarkt.

Fast hätte man erwartet, dass dann in der Ratsversammlung die Fraktionen, sie sonst die Rechte der Hauseigentümer vertreten, gegen die Vorlage argumentierten. Aber das geschah nicht.

Nur zwei Fraktionen stimmten gegen die Vorlage, die eben trotzdem mit 36 zu 19 Stimmen angenommen wurde.

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