Finanzialisierung. Dieses Wort verwandelt Wohnraum in Finanzprodukte, die international gehandelt werden können. Wie das Gesundheitswesen fällt auch der Wohnungsmarkt der gesamtgesellschaftlichen Tendenz zum Opfer, dass immer mehr lebensnotwendige Bereiche finanzialisiert werden.

Die aus Berlin und München bekannten, damit verbundenen Probleme – Mietsteigerung, Verdrängung, Leerstand – sind längst auch in Sachsen angekommen. Nicht ohne Grund sprechen sich Grüne und Linke in ihren Bundestagswahlprogrammen für ein „Recht auf Wohnen“ im Grundgesetz aus. Denn Wohnen scheint in nicht allzu ferner Zukunft zum Luxusgut zu werden. In den Tiefen des Leipziger Ostens versammelten sich am Donnerstag, 2. September, knapp 30 Menschen, um genau diesen Entwicklungen auf den Grund zu gehen und eine eigene Zukunftsvision zu entwickeln. In der ehemaligen Feuerwache Ost in Anger-Crottendorf fand unter freiem Himmel die Abschlussveranstaltung der Reihe „Zeitreise Wohnen“ statt.

Auf dem Podium begrüßten die Veranstalter/-innen, Mitglieder der Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe, drei Gäste: eine Geographin aus Leipzig, einen Humangeographen aus Chemnitz und einen Aktivisten des Dresdner „Mietenwahnsinn Stoppen“-Bündnisses. Die drei Expert/-innen diskutierten die Frage „Wie weiter mit den Mieten in Sachsen?“.

Unter der Oberfläche

„Chemnitz hat derzeit tatsächlich den entspanntesten Wohnungsmarkt unter den Großstädten Deutschlands“, so der Chemnitzer Humangeograph zur Situation in seiner Stadt. „Die Mietkostenbelastungsquote ist von den derzeit 81 Großstädten am niedrigsten.“ Die Mietbelastungsquote gibt an, wie viel Prozent der monatlichen Ausgaben durchschnittlich auf die Miete entfallen.

In Chemnitz seien die Mieten selbst in den innerstädtischen Stadtteilen bezahlbar. Dort gibt es kaum Mietpreisunterschiede zwischen Zentrum und äußerer Stadt, zwischen genossenschaftlichem, privatem und kommunalem Wohnraum. 5,20 Euro pro Quadratmeter – fast einen Lacher für alle Leipziger/-innen wert, die durchschnittlich 9 Euro bezahlen müssen.

„Zunächst sieht es so aus, als gebe es in Chemnitz kein mietenpolitisches Problem, aber ich denke, das gibt es sehr wohl.“ Jede 6. Wohnung steht in Karl-Marx-Stadt leer, ist ungenutzt. Daher habe sich auch eine neue Hausbesetzerbewegung gegründet: „Besetzen 2025“, angelehnt an Chemnitz’ Titel als Kulturhauptstadt 2025.

Und die Entwicklung, die in Dresden und Leipzig mittlerweile sichtbar ist, schlummert auch jetzt schon unter der vermeintlich friedlichen Wohnungsmarktoberfläche: Der Wohnraum wird privatisiert. Der Stadtrat hat zunehmend weniger kommunalen Einfluss auf das Wohnen und auch die Bürger/-innen können nicht demokratisch darauf zugreifen. „Ich würde es als Wohnentfremdung bezeichnen“, erklärt der Chemnitzer.

Expert/-innen zur Wohnmarktsituation in Leipzig, Chemnitz und Dresden. Audio: LZ

Neubau wirklich das Nonplusultra?

Nicht komplett, aber etwas danebengegriffen wirkt dann die angestrebte Wohnungspolitik, in der sich ausnahmsweise alle sechs großen deutschen Parteien einig sind: Bauen wird die Wohnungsmarktprobleme lösen. In jedem Parteiprogramm findet sich eine ähnlich formulierte Aussage. Dem widerspricht die Leipziger Geographin: „Es ist schwierig, sich auf das Bauen zu konzentrieren, wenn USA und China den Markt fast komplett aufgekauft haben. Der Boden wird einfach knapp!“

Kommunale Möglichkeiten seien hierbei sehr begrenzt. Das liegt zu einem großen Teil daran, dass Kommunen in den letzten Jahren vergleichsweise mit immer weniger finanziellen Mitteln ausgestattet werden. „Und dabei sind es gerade die Kommunen, die die meisten Aufgaben zugeschrieben bekommen, die in unsere Lebenswelt hineingreifen und einen Unterschied machen“, kritisiert die Leipzigerin. Enteignung und Vergesellschaftung müssen als politische Instrumente in Betracht gezogen werden: „Ich sehe keine andere Möglichkeit auf lange Sicht an Boden zu kommen.“

Die Probleme in Sachsen, aber auch ganz Ostdeutschland, seien nun schon länger bekannt: die große Privatisierung der 90er Jahre, Leerstand, ein von westdeutschen Eigentümern und Kapitalanlegern beherrschter Markt. Kommunen müssten für humane Wohnpolitik finanziell besser von Land und Bund ausgestattet werden. „Aber: Die sächsische Landesregierung ist in Sachen Mietenpolitik ein Totalausfall“, kommentiert der Dresdner Aktivist.

Expert/-inneneinschätzung zu kommunalen, wohnungspolitischen Instrumenten. Audio: LZ

Wo auf kommunaler Ebene jedoch noch Potenziale bestehen, erklärt der Humangeograph: „Kommunale Wohnungsgesellschaften, wie die LWB in Leipzig und die GGG in Chemnitz, sind nicht demokratisch anleitbar.“ Der Stadtrat kann über die eigenen Tochterunternehmen der Stadt nicht voll bestimmen. Es gibt einen Aufsichtsrat, der sich auch am Markt orientiert und orientieren muss. „Das muss die Forderung sein: Wenn etwas schon zu 100 Prozent einer Kommune gehört, dass das dann auch demokratisch zu funktionieren hat.“

Leipzig auf Platz 1 der Investoren

In Dresden, wo mittlerweile selbst die unbekannten, äußeren Stadtteile und Plattenbaugebiete „turbo-gentrifiziert“ werden, sei man noch bis vor kurzem bei Stadtgesellschaft und Stadtrat auf taube Ohren gestoßen, so der Vertreter des „Mietenwahnsinn Stoppen“-Bündnisses. „Viele kommunale Instrumente, die die Stadt eigentlich hat, werden bis heute kaum ausgenutzt.“ Das läge aber auch daran, dass es in Dresden einen 50-Prozent-Stadtrat gibt und rot-rot-grün es relativ schwer hat.

Für Leipzig, das seit einigen Jahren auf Platz 1 des Investoren-Interesses auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist, malt die Geographin ein anderes Bild: „Die Stadtgesellschaft ist hier relativ gut aufgestellt.“ Initiativen und Bündnisse hätten recht früh gut zusammengearbeitet und ihre Forderungen seien so schnell bei der Stadtverwaltung und im Stadtrat angekommen. Die Kommunalpolitik hat mit sechs großflächigen Gebieten der Sozialen Erhaltungssatzung ein wichtiges Instrument bedient.

Noch 20 Jahre bis „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in Sachsen

Expert/-innen über Mieter/-innenbewegungen in Sachsen. Audio: LZ

Doch auch das wird auf lange Sicht nicht ausreichen. Und hier müssen die Mieter/-innenbewegungen ins Spiel kommen. „Wir sind nicht zu wenig Leute, sondern wir müssen schauen, wie wir alle einbinden können“, erklärt der Dresdner Aktivist die derzeitige Problemlage. Mieter/-innen sind eine sehr heterogene Gemeinschaft – alle Altersgruppen, sozialen Schichten und politischen Ausrichtungen treffen hier aufeinander. Die Differenzen zu überwinden, einen gemeinsamen Konsens beim Thema mietenpolitische Forderungen zu finden, ist eine Mammutaufgabe.

Bevor man also eine Kampagne wie „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ in Berlin anstreben kann, müssen erst einmal noch mehr Mitglieder akquiriert und stabilere Strukturen geschaffen werden. „Die Mieterinnenbewegung in Berlin besteht schon seit 30 Jahren“, so der Dresdner Aktivist. „Und im Ergebnis konnten sie jetzt so eine Kampagne präsentieren. Die ist ja nicht aus dem nichts entstanden.“ Große Mieter/-innenbwegungen in Leipzig und Dresden gibt es seit nicht einmal 10 Jahren.

Aber Berlin hat den Bewegungen Rückenwind gegeben, das Bündnis „Mietenwahnsinn Stoppen“ ist bundesweit gut aufgestellt und ein Diskurs wurde flächendeckend entfacht. Aber auch bei Mieter/-innen sieht der Chemnitzer Humangeograph noch die ein oder andere Möglichkeit, die schon jetzt ausgeschöpft werden kann.

„Jede sechste Wohnung in Leipzig gehört einer Genossenschaft“, so der Humangeograph. Wenn man die Genossenschaften so radikal-demokratisch angehen würde und diese radikale Demokratie als Mieter/-in fordern würde, wie sie einst gedacht war, würde der Wohnungsmarkt ganz anders aussehen. Genossenschaften machen Mieter/-innen ja eigentlich zu Miteigentümer/-innen, die demokratisch über das Wohnen bestimmen können. „Vom Wohngefühl her unterscheiden sich Genossenschaften aber heutzutage kaum von Privateigentümern.“

Bis zu sächsischen Version von „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ dauert es wohl also noch einige Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Aber Kommunen und Bürger/-innen können schon jetzt mehr tun… und sie müssen auch.

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Es gibt 2 Kommentare

Genau, Lutz 70. Nachfrage und Angebot.
Wenn die Leipziger einfach keine Wohnungen mehr mieten, sinkt der Preis.

Statt dessen in eine Wüstung ziehen bei der nächsten Mieterhöhung oder wenn man wegen Auszug der Kinder eine kleinere Wohnung zum gleichen qm-Preis möchte.
Oder wegen Kindern eine größere.

Eigentlich müsste ja der Mietpreis sinken, wenn durch “Luxus”-Neubauten Grünflächen verschwinden und damit der Wohnwert sinkt.
Und irgendwelche “Angst-Bunker”, wo man keine Menschen sondern höchstens mal ein Auto in der Tiefgarage verschwinden sieht, erhöht dann sicher auch das Sicherheitsgefühl im Umfeld.
Und den Zuzug von jungen Menschen per Verordnung stoppen, die sich diese “Neubauten” eh nicht leisten können, tolle Idee im Sinne der Überalterung.
Wobei, ohne in der Stadt lebende VerkäuferInnen, Pflegekräfte, Polizei etc. erledigt sich das mit den Ü70 auch schneller.
Wie auch immer.

Land im Gebiet der Gemeinde muss der Gemeinde gehören.
Deshalb heißt es ja Gemeindegebiet.
Und leere Häuser gibt es noch viele.
Und wenn da manche/r unsolidarische 70er wegzieht, noch mehr ^^

Ist halt nicht so einfach wenn alle nach Leipzig ziehen wollen. Neubau ist ja ebenfalls nicht so einfach, kaum noch Flächen. Die Natur soll ja auch nicht zu kurz kommen. Da hilft nur noch Zuzüge stoppen. Im Umland gibt es schöne Städtchen und Dörfer, oder nach Karl-Marx-Stadt.

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