Anfang Juli erreichte die Initiative „Deutsche Wohnen Co. enteignen“ die benötigten Unterschriften für einen Volksentscheid. Das Ziel: Die Berliner Wohnungsbestände von großen Immobilienkonzernen sollen vergesellschaftet werden. Dabei geht es um alle privaten Wohnungsunternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in der Hauptstadt besitzen, ausgenommen die Genossenschaften. Damit wären rund 200.000 der rund 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin betroffen.

Im Kern geht es der Initiative darum, den Anstieg der Mieten in der Hauptstadt zu bremsen. Je mehr Wohnungen dem Land gehören, desto stärker kann der Staat regulierend einwirken. Abgestimmt wird am 26. September, parallel zur Bundestagswahl. Ein Viertel der Berliner/-innen muss für die Forderung abstimmen, damit der Volksentscheid erfolgreich ist. Was in Berlin nun zu solch drastischen Maßnahmen geführt hat, wurde bis vor einigen Jahren in Leipzig noch grundlegend diskutiert: „Damals wurden noch Fragen gestellt, ob es Gentrifizierung überhaupt in Leipzig gibt. Einige sagten, so etwas gäbe es nur in Berlin und München. Auch die LVZ schrieb 2014 noch von einem Phantom“, so der Stadt- und Umweltsoziologe Dieter Rink vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).

Alles halb so schlimm?

Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Bildungswerks Stadt von Unten e. V. stellte sich neben Rink auch Robin, Aktivist bei der Vernetzung Süd, im Pöge-Haus den Fragen des Moderators und des Publikums. Die Podiumsdiskussion, in Kooperation mit der Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe, bildete unter dem Titel „Alles halb so schlimm? Wie verändert sich der Wohnungsmarkt in Leipzig?“ einen Teil des Programms „Leipzig – Stadt der sozialen Bewegungen 2021“.

Während der Begriff Gentrifizierung mittlerweile nicht mehr hinterfragt wird, kommt in Leipzig derzeit das nächste heiße Thema auf den Plan: Leerstand. „Heiß diskutiert und immer noch umstritten ist die Frage, ob wir es in Leipzig mit einer angespannten Wohnsituation zu tun haben“, wertet der Stadtsoziologe Rink den derzeitigen Diskurs aus. Die Stadt Leipzig gibt den Leerstand mit ungefähr zwei Prozent an.

Rink mahnt aber an hier zu differenzieren. Vom Freistaat Sachsen bekommt die Stadt Leipzig jährlich 25 Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung – davon können rund 450 neue Sozialwohnungen gebaut werden: „Benötigt wird aber das Dreifache, also ungefähr 1.500 im bezahlbaren Bereich.“ Woher kommen also die (mindestens) zwei Prozent?

In einigen Vierteln gibt es natürlich viel alten Leerstand. So wurden beispielsweise von Rinks Forschungsgruppe in der Gegend zwischen Eisenbahnstraße, Torgauer Platz und Listplatz 33 komplett leerstehende Häuser gezählt. Ein weiteres Phänomen sei der neue Leerstand, so der Soziologe. Der größte Teil der jährlich bis zu 2.500 neuen Wohnungen in Leipzig kommt teurer auf den Markt, als es sich die meisten leisten können.

„Wir beobachten derzeit schon, dass Sättigungseffekte eintreten. Die neu sanierten und gebauten Wohnungen können nicht wegvermietet werden“, so Rink. „Der Wohnungsmangel bezieht sich auf bezahlbare Wohnungen.“ Bezahlbar oder „sozial“ wird derzeit mit 6,50 Euro pro Quadratmeter definiert. Als Rink und seine Forschungsgruppe vor zehn Jahren angefangen haben den Wohnungsmarkt in Leipzig zu untersuchen, hätte das gehobene Preissegment bei 6,50 Euro angefangen.

Kommunalpolitische Instrumente ausgeschöpft

Die größten Probleme: Die infolge der Privatisierung dominierenden privaten Wohnungsunternehmen und die begrenzten kommunalpolitischen Instrumente. Laut Rink gehörten schon vor zehn Jahren knapp 12 Prozent des Wohnungsmarktes börsennotierten, profitorientierten Unternehmen wie Vonovia und Deutsche Wohnen – genauso viel wie der LWB.

Dieses Verhältnis dürfte sich zugunsten der Unternehmen noch einmal deutlich verändert haben. Einige UFZ-Stichproben ergaben, dass vor allem die beliebten Gründerzeithäuser zu knapp 70 Prozent westdeutschen Kapitalanlegern gehören.

Während die Löhne in Leipzig auf ostdeutschem Niveau bleiben, steigen die Mieten auf westdeutsches Niveau, was eine Mietbelastungsquote von 30 Prozent mit sich bringt – bei unteren Einkommensgruppen fast 50 Prozent.

Die Stadt habe jedoch schon alle Instrumente ausgeschöpft, so Rink. Die soziale Erhaltungssatzung, mit der unnötige Sanierungen und damit steigende Mieten verhindert werden sollen, wurde letztes Jahr beschlossen und gilt für sechs Gebiete, die rund 12 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes der Stadt ausmachen.

„2018 hat die Stadt außerdem die sogenannte abgesenkte Kappungsgrenze beschlossen. Das heißt, dass in drei Jahren die Bestandsmieten nicht mehr als 15 Prozent steigen dürfen. Das wurde jetzt bis 2023 verlängert“, so Rink. „Jetzt ist ja die Mietpreisbremse für Neuvermietungen in der Diskussion. Aber da das ein Instrument ist, das die Mieter selbst anzeigen müssen, denke ich, dass es eher schwierig ist und nur in Einzelfällen zur Anwendung kommen wird.“

Wie weiter?

Das grundlegende, kaum überwindbare Probleme läge in den Fehlentwicklungen der 2000er Jahre, als viel privatisiert wurde: „Nicht nur Wohnungen und Häuser, sondern auch Grundstücke wurden durch die Stadt verkauft. Der Stadt fehlen damit nicht nur Geld und Ressourcen, sondern auch das Bauland.“

„Natürlich kann man hier noch mehr Druck machen, aber der Druck geht gegen eine Gummiwand“, resümiert Rink seine Ausführungen. Eine Zuschauerin wendet jedoch ein: „In Berlin war ‚Deutsche Wohnen Co. enteignen‘ ja schon erfolgreich und auch in Jena gibt es eine Initiative im kleineren Stil. Dort versuchen sie auf die kommunalen Genossenschaften einzuwirken, um die Wohnungen, die sie im Rahmen der Privatisierungen verkauft haben, zurückzuschaffen. Wäre das für Leipzig eine Idee?“

Rink erklärt, dass dafür enormer politischer Druck aufgebaut werden müsste. Dem stimmt ein weiterer Zuschauer zu, aber durchaus optimistischer: „Wir haben derzeit eine rot-rot-grüne Mehrheit im Stadtrat, da ist eigentlich mehr drin als in anderen Städten. Wir müssen immer weiter Druck ausüben auf die Stadträte; die kommunalen Instrumente müssen komplett ausgereizt werden und dann müssen sich die Kommunen an Land und Bund wenden.“

Nachdem die Teilnehmer/-innen im Anschluss über aktivistische Tätigkeiten und persönliche Erfahrungen sprachen, wurde im Pöge-Haus die Ausstellung „Zeitreise Wohnen“ eröffnet. Diese ist noch bis Sonntag, 22. August, zu sehen – täglich von 16 bis 22 Uhr. Hierbei können auch weiterhin Fragen an das Bildungswerk, die Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe und andere Aktivist/-innen gerichtet werden.

Am 2. September findet um 18 Uhr in der Ostwache dann die Abschlussveranstaltung der Reihe statt. Dabei soll es sich nicht um Vergangenheit und Gegenwart des Wohnungsmarktes drehen, sondern um die Zukunft. Unter dem Titel „Wie weiter mit den Mieten in Sachsen?“ sprechen bei einer Podiumsdiskussion Mitglieder des „Mietenwahnsinn Stoppen“-Bündnisses Dresden und der Leipziger „Recht auf Stadt“-Initiative.

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Es gibt 2 Kommentare

“RRG-Mehrheit”… ein R kann man hier in der Pfeife rauchen – das wird dann auch sichtbar schwarz.

Wie ich schon einmal schrieb, sind die hiesigen Entscheider Hasenfüße und der Chef sowieso klientelhörig. Mehr als Milieuschutz (die letztlich nur eine Barriere gegen eine Zweitsanierung ist) kommt da nix.

Da macht man es sich seitens der Diskussionsteilnehmer aber recht einfach, wenn man “kommunale Genossenschaften” zum Rückkauf verkaufter Wohnbestände verpflichten will.

Erstens, sind die hiesigen Wohnungsgenossenschaften meines Wissens nach eben keine kommunalen Unternehmen, also hat die Stadt da auch kein Weisungsrecht.
Zweitens haben sie die Wohnungen ja größtenteils nicht aus eigenem Antrieb veräußert, Stichwort Altschuldenhilfegesetz.
Drittens, wo sollen die Genossenschaften die Mittel hernehmen, um die Wohnungen zu jetzt natürlich deutlich höheren Preisen zurück zu kaufen? Das geht am Ende zu Lasten der bestehenden Gebäude und notwendiger Investitionen in diese.

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