Die Messe "Beach & Boat" war schon mehrmals die Plattform, um einige obskure Projekte fürs Leipziger Neuseenland vorzustellen. Diesmal nutzte das sächsische Verkehrsministerium die Gelegenheit, um ihr "Aktionsprogramm Sächsische Schifffahrt" zu lancieren, mit dem es Motorbootfahrern auch im Leipziger Gewässernetz erleichtert werden soll, sich die (schnellen) Wasserstraßen zu sichern.

Es ist sozusagen Stufe 2, nachdem der CDU/FDP-dominierte sächsische Landtag schon 2013 das novellierte Wassergesetz durchgewunken hat, mit dem die Tagebaufolgeseen kurzerhand für schiffbar erklärt wurden. Da diskutiert man zwar in Leipzig eifrig über ein erholsames und naturnahes Neuseenland und eine “Charta 2030”. Aber in Dresden werden Entscheidungen gefällt, die damit nichts zu tun haben.

Auf schärfste Kritik stößt dieser Acht-Punkte-Plan des Verkehrsministeriums zur Förderung von Sportbooten auf sächsischen Gewässern bei den Grünen im Landkreis Leipzig. Und nicht nur bei denen. So soll das Betreiben von Trendsportarten, wie Jetski und Kitesurfen erleichtert werden, das Führen gemieteter Sportboote bis 15 m Länge ohne Führerschein möglich sein und Amphibienfahrzeuge die Seen durchpflügen können.

“Ich bin fassungslos”, sagt dazu der Markkleeberger Stadtrat Joachim Schruth. “Anrainer, Kommunen, der Landkreis und Naturschützer und die Kanuten haben sich ausdrücklich für einen sanften Seentourismus ausgesprochen, ohne private Motorboote. Herr Morlok jammert doch sonst immer, dass den Kommunen zu wenig Entscheidungsspielraum zusteht und der Freistaat zu viel hineinregiert. Auf seiner Internetseite ist unter der Rubrik Überzeugung zu lesen: Wir müssen den Mut haben, wieder mehr Entscheidungen den Bürgern zu überlassen (www.sven-morlok.de/ueberzeugung). Also Bürgerwillen respektieren und Acht-Punkte- Programm in die Tonne kloppen. Hinzu kommt, es gibt Gesetze auf europäischer Ebene. Die Wasserrahmenrichtlinie und die Bestimmungen zum Natur- und Artenschutz lassen sich nicht so einfach liberalisieren. Aber sie lassen sich verteidigen. Und dies werden wir nach Kräften tun”, so Schruth.

Grünen-Sprecher Tommy Penk ergänzt: “Diese angeblich liberale Politik schränkt die Rechte der Bevölkerung massiv ein, beispielsweise im Umwelt- oder Gesundheitsschutz. Kinder trainieren mit ihren Kanubooten, Leute schwimmen in den Gewässern, eine Freigabe ist mehr als verantwortungslos.”

Der Kandidat für den Stadtrat ruft die Bevölkerung zum Widerstand auf: “Wir werden uns diese Art von Politik nicht gefallen lassen. Ein Bürgerprotest, städteübergreifend, mit Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen und Bürgerinitiativen wäre darauf die richtige Antwort. Daher werden wir eine Demonstration anmelden und hoffen auf rege Unterstützung aus der Bevölkerung, damit wir ein möglichst breites Bündnis gegen Motorboote auf unseren Seen bilden können.”

Für Wolfgang Stoiber, Vorsitzender des NuKla e.V., der eine von über 11.000 Menschen unterschriebene Petition gegen Motorboote im Auenwald hinter sich hat und erlebte, wie der Petitionsausschuss des Sächsischen Landtages damit umging, hält den Morlok-Vorstoß für ein weiteres Wahlkampfgeschenk für die FDP-Klientel.

Er hat seinen Groll gleich in eine lange Presseerklärung gepackt. Hier ist sie in voller Länge:

Neue Schifffahrtverordnung für Sachsen

Nach der Novellierung des Sächsischen Wassergesetzes im Vorjahr, das die Tagebauseen in der Lausitz und dem Leipziger Neuseenland mit ihrer Freigabe direkt und ohne weiteres Verfahren für schiffbare Gewässer erklärt, wird jetzt, nach kleiner Kunstpause, “die nächste Stufe gezündet”: Motorbootfahren in Sachsen soll zukünftig noch leichter werden. Nach dem für die die sächsische Natur katastrophalen Braunkohleabbau in der DDR – nunmehr fortgeführt und wieder ausgeweitet unter dem Deckmantel, damit die Energiewende zu unterstützen – sollen diese herrlichen Seen nun mal im Interesse der hier lebenden Menschen richtig genutzt werden können ohne lästige bürokratische Hürden: die Region wünsche sich freie Fahrt für Motorboote. Das will man mit den Gesetzesänderungen doch gern unterstützen…

Wer ist das: “die Region”? Keine Motorboote im Neuseenland, DAS ist es, was sich die Menschen der Region wünschen! Zumindest sollen keine Motorboote mit Kraftstoffantrieben fahren, deren krebserregender Schadstoffausstoß sich unabbaubar Jahr für Jahr in den Gewässern sammeln wird und die auf dem Elster-Saale-Kanal schon jetzt Rennen veranstalten und erholungssuchende Schwimmer und Paddler vertreiben und den in der Nähe Wohnenden nachts Ruhe und Schlaf rauben.

Man kann es beinahe für eine von langer Hand vorbereitete, konzertierte Aktion halten, was da jetzt möglichst geräuschlos über die Bühne gehen soll, vorbei an allen EU-Vorgaben und übergeordneten Verpflichtungen zur Qualitätsverbesserung bei den Oberflächengewässern, zur Reduzierung des dramatischen Rückganges von Biodiversität und dem bestehenden Verschlechterungsverbot bei Schutzgebieten. Bereits 2012 sprachen sich über 11.000 Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Unterschrift gegen private kraftstoffbetriebene Motorboote in Leipzig aus, mit reichlich zeitlichem Vorlauf bis zur Änderung des Sächsischen Wassergesetzes im Sommer 2013, das nun die Erklärung der Schiffbarkeit für die neuen Seen enthält. Die entsprechende Petition wurde vom FDP-geführten Petitionsausschuss jedoch gar nicht bearbeitet.

Welch ein Zufall – wo doch die Petitionsausschussvorsitzende die Erklärung der Schiffbarkeit befürwortet.
Wir wären aber nicht bei “Wünsch Dir was” für Bürgerinnen und Bürger, wie die Landesdirektion zum Neuseenlandkongress den Teilnehmenden erklärte. Um also die Gewässer der Region vor dem Hintergrund der fast lückenlos der Motorbootlobby Tor und Tür öffnenden sächsischen Gesetzeslage dennoch zu schützen, müssten die regional Verantwortlichen und sogenannten Akteure aktiv werden: Sie sind vom Volk gewählt und sollten dessen Interessen vertreten. Dies geht, wenn überhaupt, nur noch mit einer Änderung des regionalen Raumordnungsplanes, in dem sich die kommunalen VertreterInnen eindeutig gegen private kraftstoffbetrieben Motorboote im Leipziger Neuseenland positionieren und sich für ökologisch nachhaltige, die immer weniger und damit kostbarer werdende Natur schützende Nutzung der Gewässer aussprechen.

Diesem Hinweis der Landesdirektion folgend hat NuKLA mit einem Offenen Brief (siehe unten) alle Verantwortlichen der betreffenden kommunalen Behörden aufgefordert, schnellstens über eine Änderung des Raumordnungsplanes zu entscheiden. Genau hier wird es sich nun zeigen, wer Motorboote im Leipziger Neuseenland will und wer nicht. Bisher war von den sogenannten Akteuren (das sind allesamt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte VertreterInnen für die Interessen des Volkes) immer zu hören, dass man selbst ja keine Motorboote wolle, aber (leider, leider) der Freistaat allein entscheide und man damit als kommunale Behörde vollkommen machtlos sei.

Jetzt, nach dem Statement der Landesdirektion, ist aber offensichtlich, was manche bisher ahnten: Es verhält sich in Wahrheit ganz anders. Jetzt wird sich zeigen, wer sich wofür einsetzt vor aller Augen und Ohren. Viel Zeit bleibt den Akteuren da nicht: im Mai wird gewählt. Und die Bürgerinnen und Bürger könnten bis dahin tatsächlich merken, dass gar nicht alles so schön ist, wie gepriesen, und wenige gerade dabei sind, denen, um deren Heimat es geht, diese klammheimlich wieder wegzunehmen: so wenig man auf einer Autobahn Picknick machen und Fußball spielen kann, so wenig kann man sich erholen und seines Lebens sicher sein beim Paddeln, Baden und Surfen auf Seen, auf dem die angeblich von “der Region” gewollten PS-starke Motorboote, Yachten, Wassermotorräder und Jetski unterwegs sind. Es wird zu entscheiden sein, ob man denjenigen die Stimme geben will, die die Grundlage unseres Lebens und die neugewonnene Schönheit unserer Region verramschen und Lobbypolitik für diejenigen betreiben, die sich dabei “erholen” wollen, mit Krach, unvergänglichem krebserregenden Dreck und Gefährdung anderer über unsere kleinen Seen zu jagen.

Der Offene Brief Stoibers an Prof. Dr. Andreas Berkner, Leiter der Regionalen Planungsstelle des Regionalen Planungsverbandes Leipzig-Westsachsen:

Sehr geehrter Herr Prof. Berkner!

Im Nachgang zu den sehr interessanten Beiträgen beim heutigen Neuseenlandkongress im Rahmen der Messe Beach & Boot möchte ich noch einmal die – aus unserer Sicht – für das Thema Schiffbarkeit der Tagebaurestseen und der Leipziger Gewässer relevanten Informationen zusammenfassen:

1. Jedes Gewässer ist schiffbar, sobald ein darauf liegendes Schiff genug Wasser unterm Kiel hat.

2. Die Schiffbarkeit für die neuen Seen im Leipziger Umland wird kommen in ca. 6 bis 8 Wochen.

3. Der Wille der Bürger spielt hierbei keinerlei Rolle, da alles gesetzlich geregelt ist.

4. Die Schiffbarkeit und deren Regularium (für die Schiffe) sowie die Regeln des Gemeingebrauchs (für Badende, Paddler, Kanuten) gelten parallel, jeweils für die entsprechende Zielgruppe.

Daran sei nichts verhandelbar.

Einzige Ausnahme: Wenn die zuständigen Verwaltungen die Ziele des Raumordnungsplanes dahingehend ändern, dass auf allen oder zumindest auf bestimmten Seen keine Motorboote verkehren sollen, dann würde das dazu führen, dass für diese Gewässer keine Schiffbarkeit erklärt wird!

Sehr geehrter Herr Prof. Berkner, sehr geehrte Damen und Herren Oberbürgermeister und Bürgermeister der betreffenden Kommunen! Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie mit aller Eindringlichkeit auf, die bestehenden Ziele des Raumordnungsplanes zeitnah dahingehend zu ändern, dass sie den mehrfach und zahlreich in der Region bekundeten Bürger- und Behördenwillen für eine naturnahe, umweltschonende und nachhaltige wassertouristische Nutzung ohne private Motorboote zumindest für einen Teil der Seen festlegen. Die letztendliche Entscheidung darüber liegt nämlich weder in der Hand der Landesdirektion als Sächsischer Landesbehörde, noch ist die Nutzung durch das novellierte Sächsische Wassergesetz unveränderbar vorgegeben: SIE allein, die Verantwortlichen der betroffenen Kommunen, entscheiden mit der Formulierung der Ziele des Raumordnungsplanes darüber, wie die Zukunft unserer Region aussehen wird!

Das “Aktionsprogramm” des Sächsischen Verkehrsministeriums:

www.l-iz.de/html/downloads/Aktionsprogramm_Saechs-Schifffahrt.pdf

Kreisverband Grüne Leipzig Land:

gruene-landkreis-leipzig.de

Regionaler Planungsverband Westsachsen:

www.rpv-westsachsen.de

NuKLA e.V.:

www.NuKLA.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar