Am Ende hat der Journalist Jürgen Roth wieder Futter für weitere Kapitel in weiteren Bänden seiner diversen Bücher zur verschleierten Kriminalität in Deutschland. Sachsen hat darin längst einen festen Platz. Das Stichwort heißt "Sachsensumpf". Am Mittwoch, 2. Juli, haben Vertreter der drei demokratischen Oppositionsfraktionen ihr gemeinsames Minderheitsvotum zum Ende des Untersuchungsausschusses zum Sachsensumpf vorgelegt.

Man hat ihn ja fast schon vergessen, diesen dritten Untersuchungsausschuss, der neben denen zu den Müllskandalen und zur „NSU“-Affäre arbeitete. Auch er mit angezogener Handbremse. Denn Sachsens Regierung tut sich schwer mit dem Aufdecken der Verfehlungen, die ihren eigenen Arbeitsbereich berühren. Und da die regierenden Koalitionäre CDU und FDP die Regierung derzeit als ihre eigene betrachten, haben sie selbst mitgebremst.

Der Ausschuss hatte natürlich einen viel längeren Titel: Untersuchungsausschuss „Verantwortung von Mitgliedern der Staatsregierung und von ihnen beauftragter leitender Behördenvertreter für etwaige schwerwiegende Mängel bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke unter Beteiligung von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei und sonstigen Landes- und kommunalen Behörden in Sachsen, für das Versagen rechtsstaatlicher Informations-, Kontroll- und Vorbeugungsmechanismen und für die unzureichende Aufklärung sowie gezielte Desinformation gegenüber der Presse und der Öffentlichkeit im Umfeld der Debatten um den sogenannten Sachsen-Sumpf (Kriminelle und korruptive Netzwerke in Sachsen)“.

Über den Abschlussbericht der Ausschuss-Mehrheit berät der Landtag am Donnerstag, 10. Juli. Aber die Ausschussmehrheit aus CDU und FDP tut sich schwer, Mängel zu entdecken. Das Thema beschäftigt den Freistaat seit 20 Jahren. Es geht um dubiose Immobilien-Deals, um Fallkomplexe wie „Italienische OK“ und „Rocker“, die niemals angepackt wurden, aber auch um den Fall des Minderjährigenbordells „Jasmin“, der in der vergangenen Legislatur für einige Aufsehen erregende Gerichtsverhandlungen sorgte.

Auch zwei Journalisten mussten vor den Kadi, weil sie zu scharf nachgefragt hatten. Da fühlte sich ein mittlerweile pensionierter Jurist schwerst getroffen. Doch die beiden Journalisten Datt und Ginzel wurden freigesprochen. Der Prozess gegen zwei Frauen, die seinerzeit als Minderjährige zur Prostitution im „Jasmin“ gezwungen worden waren, wurde 2013 vertagt und hängt irgendwie noch in der Luft.

Dass im „Sachsensumpf“ der Missbrauch staatlicher Positionen Thema ist, macht das Ganze natürlich brisant. Man hat es immer mit Personen zu tun, die bis heute bestens vernetzt sind in der sächsischen Politik. Und die hat so ihre Probleme, ernsthaft aufzuklären. Lieber erklärt sie alles zu reinen Phantasiegebilden. Und möglicherweise wird auch die Untersuchung nicht weiterkommen, weil wesentliche Akten – wie im Fall „NSU“ – just in dem Moment in den Schredder wanderten, als das Thema drohte, öffentlich zu werden.

„Die CDU/FDP-Koalition hat es sich zu einfach gemacht und den gesamten ‚Sachsensumpf‘ als Phantasiegebilde einer übereifrigen ehemaligen Staatsanwältin und Verfassungsschützerin und eines verfolgungsbesessenen Kripo-Mannes abgetan“, kommentiert Klaus Bartl, Vertreter der Fraktion Die Linke im Untersuchungsausschuss zu diesem Vorgang.

„Tatsächlich aber – das belegen die vom Ausschuss in dieser Legislaturperiode durchgearbeiteten Dokumente und vernommenen Zeugen – waren die Vorwürfe der Existenz korruptiver Netzwerke nachweislich zu keinem Zeitpunkt Gegenstand ernsthafter, unvoreingenommener Ermittlungen. Stattdessen wurde die berufliche Existenz der Aufklärer durch massives amtliches Mobbing vernichtet und ihre Gesundheit geschädigt. Die gegen sie erhobenen Anschuldigungen sind, soweit sie sich nicht ohnehin in Luft aufgelöst haben, in seit vier Jahren verschleppten Anklageverfahren ungeklärt.“

Zur Erinnerung: Auch eine leitende Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes und ein Leipziger Polizeikommissar waren in diese Mühle geraten. Das Ziel, Ermittlungen in einigen Teilfällen tatsächlich einmal bis zu einem Ergebnis voranzutreiben, wurde sichtlich erreicht.

„Gerichtsfest aufzudecken, ob es einen ‚Sachsensumpf‘ gibt oder nicht, war nicht Auftrag und lag nicht im Vermögen des U-Ausschusses“, benennt Bartl die Grenzen der Ausschussarbeit. „Wir müssen allerdings resümieren, dass sich dies infolge fehlender politischer Unabhängigkeit der Ermittlungen wohl nie mehr wird herausfinden lassen.

Gäbe es in Italien eine Struktur der Justiz wie in Sachsen, hätte dort wohl kein einziger Prozess gegen die Mafia stattgefunden. So bleibt die Lehre, dass die Justiz in Sachsen von Dirigismus und Klüngelwirtschaft befreit werden und in selbstverwaltete Strukturen überführt werden muss. Dazu liegen seit Langem gesetzgeberische Vorschläge meiner Fraktion auf dem Tisch, die große Zustimmung bei Richtern und Staatsanwälten finden.“

Gezeichnet von Kampagnen, die ihn auch als Person treffen sollten und auch trafen, nimmt Karl Nolle, Obmann der SPD-Fraktion, Stellung zur Arbeit des Ausschusses:

„Der wahre Sachsensumpf sind nicht die gesammelten, nicht ausermittelten Informationen des Verfassungsschutzes, sondern der hysterische Umgang damit. Bis heute hat sich kein unabhängiges Gericht abschließend mit dem Sumpf beschäftigt. Allenfalls sind die in Sachsen besonders weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften unter ungeheurem politischem und öffentlichem Druck tätig geworden. Doch bei ihnen geht es nur um den Schutz des Staates vor der üblen Nachrede des Sumpfes.“

Er benennt die Gefahr für ein demokratisches Gemeinwesen, wenn sich korruptive Netzwerke im Staatsapparat ausbreiten können. Man kennt sich ja, hat vielleicht zusammen studiert oder schon im Sandkasten miteinander gespielt. Und jetzt wäscht eine Hand die andere. „Parlamentarier, die sich als Vollziehungsbeamte der Regierung verstehen, Regierungsmitglieder, die die Justiz reglementieren, oder Staatsanwälte, die sich politischen Zielen und vorauseilendem Gehorsam verschreiben, das sind die wahren Feinde der Verfassung“, sagt Nolle. „Beschuldigte warten seit sieben Jahren auf ihren Prozess, Vernebelung, Halbwahrheiten und Selbstgerechtigkeit verwoben mit verlogenen Erinnerungslücken, das haben wir im UA Sachsensumpf erlebt.“

Und auch das Urteil, das Johannes Lichdi als Obmann der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen fällt, ist kein mildes: „Die Ermittlungen gegen die in der Öffentlichkeit beschuldigten Staatsanwälte und Richter wurden nie ernsthaft betrieben und sollten von Anfang an eingestellt werden. Sie richteten sich faktisch gegen die Belastungszeuginnen, um diese als unglaubwürdig darzustellen und schließlich wegen Verleumdung anklagen zu können.

Der Bordellbesuch der Justizangehörigen ist in den Ermittlungen keineswegs widerlegt worden, die Justizangehörigen haben aber nach rechtsstaatlichen Grundsätzen als unschuldig zu gelten. Einer der vielen verborgenen Skandale im ‚Sachsensumpf‘ besteht darin, dass die Zwangsprostituierten seit 1993 bis heute nicht ernst genommen und geschützt werden und die sächsische Justiz diese bis heute weiter zu Opfern macht.“

Nachtrag am 3. Juli auf freundlichen Hinweis von Thomas Datt: Der Prozess gegen die beiden Frauen aus dem „Jasmin“ hängt seit 2013 in der Luft. Formal stimmt das, aber praktisch ist das Verfahren erledigt. Der Richter hat im Sommer 2013 den Prozess wegen Verhandlungsunfähigkeit vorläufig eingestellt. Basis waren das Gutachten der Traumaexpertin der Dresdner Uniklinik, in dem wegen der Gefahr der Retraumatisierung dringend von einer Fortsetzung der Verhandlung abgeraten wird. Als Beleg wird u. a. der Zusammenbruch beider Frauen nach der Zeugenaussage des ehemaligen Bordellbetreibers genannt. Die Ärztin hatte beide Frauen im November 2012 und im Frühjahr 2013 untersucht.

Wikipedia zum „Sachsensumpf“: http://de.wikipedia.org/wiki/Sachsensumpf

Nachlesen kann man den Minderheitenbericht zum Untersuchungsausschuss „Sachsensumpf“ hier: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/ua/Minderheitenberich_UA-Sachsensumpf_Gruene-SPD-Linke_2014-07.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar