Nur ja keine Blöße geben. Nur ja nicht öffentlich erklären: "Ja, wir haben uns geirrt. Es gab nie eine so genannte 'Sportgruppe' der Antifa in Sachsen, die Neonazis jagen wollte." Weder der Justizminister noch der Innenminister noch die zuständige Dresdener Staatsanwaltschaft haben das fertiggebracht. Ein schönes Futter für den "Spiegel", der jetzt quasi stellvertretend die Einstellung dieses ganz besonders sächsischen Verfahrens bekannt gab.

“Hunderttausende Datensätze gesammelt: Ermittler blamieren sich bei Jagd nach Antifa-Gruppe”, vermeldete er. Und ging dann sportlich in den üblichen Stil über: “Jahrelang haben Staatsanwälte in Dresden ermittelt und nach SPIEGEL-Informationen Hunderttausende Daten gesammelt. Im Visier: angebliche Neonazi-Jäger aus Antifa-Kreisen. Doch die sogenannte Sportgruppe existiert offenbar nicht.”

Womit das Phantom zumindest mal einen Namen hat und endlich ein Motiv sichtbar wird für das, was Dresdner Staatsanwaltschaft und Dresdner Polizei da während der Anti-Nazi-Demonstration im Februar 2011 eigentlich angestellt haben. Ein Demonstrationsereignis, das noch heute die sächsischen Gerichte beschäftigt – wegen Lappalien stehen noch immer Politiker, Gewerkschafter und ein zotteliger Jugendpfarrer vor dem Kadi, ganz so, als wären sie für das Eskalieren der damaligen Protestaktionen verantwortlich.

Andere Verfahren sind längst eingestellt. Aber selbst die Vielzahl der Verfahren war einzigartig – und für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar, hatte doch selbst der zuständige Innenminister schon 2011 reagiert und den im Februar 2011 verantwortlichen Dresdner Polizeichef ausgetauscht. Freilich ohne die fällige Begründung: Dass die eingesetzten Polizeikräfte selbst mit dafür gesorgt haben, dass die Lage “unübersichtlich” wurde, dass man provozieren wollte. Dabei ging es gar nicht um die vielen tausend friedlich Demonstrierenden, sondern um jene kleine Gruppe Autonomer, die von der Dresdner Staatsanwaltschaft seit 2010 verdächtigt wurden, die oben genannte “Sportgruppe” gegründet zu haben und damit genau den Tatbestand “kriminelle Vereinigung” erfüllte. Was dann alle eingesetzten polizeilichen Mittel danach erst rechtfertigte.

Angefangen mit der unangekündigten Heimsuchung des “Hauses der Begegnung” in Dresden am Rande der Ereignisse, wo man den Stützpunkt oder wohl gar so eine Art Leitzentrale der Gruppe vermutete, über die massenhafte Erfassung von Handydaten von über 55.000 Personen im Umfeld der Demonstrationen bis hin zu Wohnungsdurchsuchungen und Überwachung des Telefon- und E.Mail-Verkehrs.

Eine “Antifa-Sportgruppe” aber hat man weder im “Haus der Begegnung” noch in den riesigen Bergen von Handydaten noch in der autonomen Szene gefunden.

“Offenbar hat es die Gruppe, die angeblich Jagd auf Neonazis machte, nie gegeben”, stellt der “Spiegel” fest. “Alle Verfahren gegen zwischenzeitlich 25 Beschuldigte wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wurden jetzt ohne Auflagen eingestellt. Bei 18 Personen geht die Staatsanwaltschaft von geringer Schuld aus. Dazu zählt auch der angebliche Rädelsführer. Bei ihm konnten die Ermittler lediglich feststellen, dass er an einer friedlichen Demonstration gegen Neonazis teilnahm.”

Man hat also schlichtweg ein Phantom gejagt, auch wenn der “Spiegel” nicht wirklich erzählt, wer das nun an welcher Stelle so verraten hat. Ein anderes Verfahren hat die Dresdner Staatsanwaltschaft schon 2012 eingestellt und auch damals schon festgestellt: “Es gab gar keine kriminelle Vereinigung.

Umso suspekter sind alle Verfahren, die seitdem immer weiter getrieben werden. Und in diesem Zusammenhang gerät auch der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König in ein neues Licht. Nicht weil bei dem zausbärtigen Pfarrer aus Jena irgendetwas gefunden worden wäre. Aber weil die Ramboaktion, mit der die sächsische Polizei 2011 in die Wohnung und die Amtsräume des Jenaer Pfarrers einrückte, genau so aussieht, als hätte man in einem Husarenritt gehofft, in Jena nun die Leitzentrale der “Antifa-Sportgruppe” ausheben zu können. Ein Pfarrer wäre doch eine schöne Tarnung. Gefunden wurde nichts.

Dass auch dieses Verfahren nicht beerdigt wurde, zeigt eigentlich nur zu gut, dass man in Dresden nicht wirklich eingestehen will, dass man mit der Jagd auf eine Phantom-“Sportgruppe” völlig überzogen hat. Und das just in dem Jahr, in dem eine wirklich kriminelle Vereinigung gerade ihre letzten Raubzüge durchzog – das “NSU”-Trio.

Was die nächste Frage aufwirft: Wer hat das Phantom “Antifa-Sportgruppe” eigentlich erfunden? Das ist eine spannende Frage und die Frage nach der eigentlichen Quelle, der Staatsanwaltschaft und Polizei aufgesessen sind. Den Sächsischen Verfassungsschutz nicht zu vergessen, der im Februar 2013 ebenfalls mit vor Ort war und nach Verdächtigen Ausschau hielt.

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