Hat Sachsens SPD nicht davon geträumt, vielleicht mal den Ministerpräsidenten zu stellen? Wenn das so gewesen sein sollte, dann hat sie den Traum aber schnell wieder begraben. Auch gleich noch für die nächste Wahl. Denn eigenständige Politik sieht anders aus - auch in Energiefragen. Wer im Jahr 2015 noch derart kohlegläubig ist, enttäuscht nicht nur seine Wähler in der Lausitz.

Am Donnerstag, 20. März, war das „Eckpunktepapier Strommarkt“ von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bekannt geworden, mit dem der SPD-Vorsitzende endlich wieder Bewegung in die Energiepolitik bringen will, die seit den diversen Bremsversuchen gerade der großen Energiekonzerne nur noch ein heilloser Flickenteppich ist. Wichtige Weichen sind immer noch nicht gestellt. Und gerade die schmutzigsten Kraftwerke, die Kohlekraftwerke, gelten heute in einem Teil der Republik als Übergangstechnologie.

Doch während das Gabriel-Papier binnen fünf Jahren zumindest die Abschaltung der ältesten und ineffizientesten Meiler vorsieht, kommt aus dem SPD-geführten Wirtschaftsministerium in Sachsen die nächste Verlautbarung: “Nicht ohne unsere Kohle!”

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) widerspricht seinem Bundesvorsitzenden ganz genau so, wie es sein Amtsvorgänger Sven Morlok (FDP) getan hätte: “Wir engagieren uns weiter für eine vernünftige Energiepolitik. Die Braunkohle ist für uns ein verlässlicher Partner der Energiewende, auf den der Freistaat auch in den kommenden Jahrzehnten setzen wird.“

Nicht einmal die Wortwahl hat sich geändert. Was natürlich auch verrät, dass im Ministerium keine Weichenumstellung erfolgt ist. Der Wirtschaftsminister tappelt einfach dem CDU-Ministerpräsidenten hinterher, der den Braunkohletagebau in der Lausitz in Schweden anbietet wie lecker Butterbrot. Als ginge es nur noch um schöne politische Signale “für Arbeitsplätze” oder “für Versorgungssicherheit” – und nicht um die simple Tatsache, dass auch die Braunkohleverstromung sich wirtschaftlich immer weniger rechnet. Zehn Jahre Energiewende haben die Strommarkt-Bedingungen gründlich verändert. So gründlich, dass Vattenfall aus simplen unternehmerischen Gründen an den Verkauf der Sparte denkt.

Aber selbst die sächsische SPD scheint noch im letzten Jahrzehnt stecken geblieben zu sein. Das Ministerium wird geradezu nostalgisch, wenn es verlautbart: “In den vergangenen 25 Jahren haben die sächsischen Braunkohleregionen in der Lausitz und in Leipzig einen gewaltigen Umbruch verkraften müssen und die größten Zumutungen erfahren.”

Irgendwie hat man in Dresden wohl gar nicht mitbekommen, dass die Leipziger bis heute froh sind, den Brauntagekohlebau Cospuden vor dem Stadtrand gestoppt zu haben. Jedes einzelne Dorf, das seither abgebaggert wurde – wurde zum medialen Trauerfall. Die Region trauert dem Braunkohletagebau nicht hinterher. Im Gegenteil: Man feiert ein mit Sanierungsmitteln entstandenes Neuseenland.

Wie groß kann Dresdner Wirklichkeitsverweigerung denn noch sein?

„Wir haben eine große Verantwortung für die Menschen in diesen Regionen“, meint Dulig. Und behauptet auch noch breitbrüstig: „Der CO2-Anteil durch die Kohleverstromung wurde bereits durch einen hochmodernen Kraftwerkspark deutlich reduziert.“

Nein: Reduziert wurde der CO2-Ausstoß vor allem durch das Ende der kohlebasierten (Schwer-)Industrie und der Kohleverbrennung in den Haushalten. Der kleinere Teil ging auf den Ersatz alter, unrentabler Kraftwerke – wie in Lippendorf – durch neue, nicht ganz so umweltschädliche, zurück. Aber trotzdem bleiben die Kohlekraftwerke die größten CO2-Schleudern im Land – und nicht nur das. Sie spielen auch in der europäischen Spitzenliga der CO2-Sünder.

Da hilft auch nicht, wenn das SPD-geführte Ministerium – wieder im alten Jargon – behauptet: “Die sächsischen Braunkohlekraftwerke gehören zu den modernsten und effizientesten weltweit. Die energetische Nutzung der Braunkohle in diesen Kraftwerken leistet einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Stromversorgung in Sachsen und ganz Deutschland. Für den Transformationsprozess der Energiewende ist der zeitlich begrenzte Einsatz von Brückentechnologien für den Freistaat Sachsen unabdingbar. Die Braunkohlekraftwerke ergänzen die Nutzung der volatil zu Verfügung stehenden erneuerbaren Energien und sichern deren Einsatz ab.”

Übergangstechnologie – bis wann? Bis zum Auslaufen der Betriebsgenehmigung? Oder bis die Besitzer nur noch rote Zahlen unterm Jahresabschluss sehen? Was viel früher eintreten wird, als es sich Sachsens Politiker bislang so denken.

Es verblüfft schon, wenn ausgerechnet das Dulig-Ministerium dem eigenen Parteifreund eine Kehrtwende vorwirft: “Eine Kehrtwende, wie sie im Eckpunktepapier vorgeschlagen wird, lehnt der sächsische Wirtschaftsminister ab.” Hat er das Papier nicht gelesen, das zum ersten Mal überhaupt ein greifbares Ausstiegszenario aus der Kohleverstromung zeigt – und zwar eines, das den Energieunternehmen Planungssicherheit gibt? Was will da eigentlich Sachsen? Blindlings ins Chaos fahren?

„Wir müssen über diese Vorschläge jetzt ausführlich mit dem Bundeswirtschaftsminister diskutieren”, meint Dulig, nachdem Sachsens Regierung gemeinsam mit der brandenburgischen ja schon angekündigt hatte, unbedingt mit der schwedischen diskutieren zu müssen. Als könne man Wirtschaftspolitik mit Deklarationen machen und müsse auf Soll und Haben gar keine Rücksicht nehmen. “Dazu müssen alle Beteiligten, vor allem die betroffenen Bundesländer, an einen Tisch kommen. Die vorgelegten Vorschläge sind noch nicht das Ende der Fahnenstange“, meint Dulig. Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit müssten zwingend beachtet werden, „das sind wir den Menschen nicht nur in Sachsen schuldig.“

Das mit der Wirtschaftlichkeit sollte man vielleicht einmal die Chefetage von Vattenfall fragen.

Aber irgendwie lebt Sachsens Wirtschaftsminister in einer Welt, in der ein Sonderweg jenseits aller Marktentwicklungen für möglich gehalten wird: “Das Papier des Bundeswirtschaftsministers beachtet nicht, dass regionale Wirtschaftspolitik und energiepolitische Zielsetzungen angemessen ins Verhältnis gesetzt werden müssen. Einer Region muss Zeit zur Umstrukturierung und Neuausrichtung gegeben werden, wie es einst bei der Steinkohle geschehen ist und bei der Braunkohle im Freistaat Sachsen geplant war.”

Als stünde diese Transformation nicht seit über fünf Jahren auf der Tagesordnung. Wieviel Zeit glaubt Sachsens Wirtschaftsminister eigentlich zu haben, bis er seine Arbeit tut und die energiepolitischen Weichenstellungen vornimmt, die alle auf dem Tisch liegen? Fürs Plaudern wird er von seinem Genossen Sigmar Gabriel ganz bestimmt kein Bienchen bekommen.

Und dann meint Dulig noch: „Dass dieser bereits eingeleitete Prozess nun unterbrochen werden soll, ist nicht akzeptabel.“

Welcher Prozess? Wo hat Sachsen auch nur den ersten Schritt getan, den Ausstieg aus der Braunkohle vorzubereiten?

Zumindest begrüßt Martin Dulig die Vorschläge zum Netzausbau, welche sich ebenfalls in dem Eckpunktepapier finden: „Die Notwendigkeit ist da, die drei geplanten Stromtrassen zwischen Nord- und Süddeutschland sind für den deutschen Strommarkt der Zukunft zwingend erforderlich.“ Auch dass das Kapazitätsmarkt-Modell nicht weiter debattiert werde, begrüßt Dulig. „Die Fortentwicklung des bestehenden Strommarktes ist sinnvoll.“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar