LeserclubAlle Jahre wieder legt Sachsens Finanzminister Georg Unland (CDU) dem Landtag eine Broschüre mit dem Titel "Mittelfristige Finanzplanung des Freistaates Sachsen" vor. Ende Februar bekamen die Abgeordneten das Zahlenwerk für 2014 bis 2018 auf den Tisch. Hinten drin gibt's auch noch Zahlen bis 2025. Aber das ist dann schon echte ifo-Kaffeesatzleserei.

Über die Zahlen, mit denen Georg Unland seine Haushalte plant, ärgert sich die Opposition im Landtag jedes Jahr. Denn am Ende stellte sich in den letzten Jahren jedes Mal heraus, dass der übervorsichtige Minister viel zu tief gestapelt hatte. Jedes Mal nahm er am Jahresende dreistellige Millionenbeträge mehr ein. Was besonders deshalb frustrierte, weil parallel dazu ein rigides Sparprogramm bei den Landesbediensteten gefahren wurde.

In seiner “Mittelfristigen Finanzplanung” erklärt Georg Unland sogar, wie er das macht. Und warum. Denn es gibt eine Instanz, der er partout nicht über den Weg traut. Das ist der Arbeitskreis Steuerschätzungen im Bundesfinanzministerium.

Wie sehr Sachsens Finanzminister diesem Gremium misstraut, formuliert er in der Broschüre so: “So werden die vor allem für Ostdeutschland wichtigen demografischen Veränderungen vom AK ‘Steuerschätzungen’ nicht nachvollzogen. Stattdessen liegt allen Schätzjahren der aktuelle Bevölkerungsstand zugrunde. Da der bundesstaatliche Finanzausgleich insgesamt stark einwohnerbezogen ist, müssen Länder mit vergleichsweise ungünstiger demografischer Perspektive daher Korrekturen am Schätzergebnis vornehmen. Dabei wird für Sachsen sowohl die natürliche Bevölkerungsentwicklung (Geburten und Sterbefälle) als auch der Wanderungssaldo einbezogen.”

Für Unland war das jedes Mal Anlass, die zwei Mal im Jahr vorgelegten Steuerschätzungen des Arbeitskreises (in dem auch das sächsische Finanzministerium vertreten ist) nach unten zu korrigieren. Ein halbes Jahr später stellt das Ministerium dann in der Regel verblüfft fest, dass die Steuereinnahmen doch wieder höher waren. Zuweilen ergibt das erstaunliche Pirouetten in seiner Berichterstattung – wie zuletzt zur November-Steuerschätzung des AK Steuerschätzung.

Immer ein bisschen drunter und drüber

“In 2014 werden die Steuereinnahmen im sächsischen Staatshaushalt voraussichtlich bei 12,05 Milliarden Euro liegen. Damit dürfte die Prognose von der Mai-Schätzung des laufenden Jahres um 111 Millionen Euro übertroffen werden”, stellte sein Ministerium im November verblüft fest. “Für die nächsten beiden Jahre werden weniger Steuereinnahmen als bisher angenommen zur Verfügung stehen.” Tatsächlich war die Lücke noch größer: Mit 11,5 Milliarden Euro hatte der Finanzminister das Jahr 2014 geplant. Am Ende war es also wieder eine halbe Milliarde mehr.

Unland selbst nun zu 2015 und 2016: „Gegenüber der Mai-Steuerschätzung sinken die Erwartungen für 2015 um 107 Millionen Euro auf 12,28 Milliarden Euro und für 2016 um 41 Millionen Euro auf 12,62 Milliarden Euro. Das ist die Grundlage für die anstehenden Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2015/2016.”

Tatsächlich steigen sie also. Und zwar seit 2011 kontinuierlich. Was den gestrengen Finanzminister nicht davon abhält, statt mit 12,28 Millarden Euro in die Haushaltsplanung für 2015 zu gehen, hier nur 12,06 Milliarden anzusetzen. Puffer muss sein.

Denn tatsächlich macht ihm eine Zahl Angst, auf die nun wirklich kein Verlass mehr ist: die Bevölkerungszahl. Denn dass er so emsig die Erwartungen gedämpft hat, hat mit der schon längst nicht mehr haltbaren Bevölkerungsprognose des Sächsischen Landesamtes für Statistik von 2005 zu tun. Aber Unland hat zumindest registriert, dass man mit diesen Zahlen nicht mehr arbeiten kann.

“Eine aussagekräftige Bevölkerungsprognose liegt derzeitig nicht vor, da die aktuelle Bevölkerungsprognose durch den Zensus 2011 und die in diesem Maße unerwartet hohe Dynamik der Zuwanderung überholt wurde”, heißt es in der “Mittelfristigen Finanzplanung”. Aber er mag sich noch immer nicht von dem Gedanken trennen, dass Sachsen nun mal ein schrumpfendes Ländchen sei. “Eine neue Bevölkerungsprognose wird gerade durch die statistischen Ämter erstellt. Die Veröffentlichung wird voraussichtlich 2015 stattfinden. Im Finanzplanungszeitraum wird sich aber nach derzeitigem Kenntnisstand an den generellen demografischen Trends nichts ändern. Ein leichter jährlicher Bevölkerungsrückgang bei fortschreitender Alterung der Bevölkerung wird erwartet. Die regional differenzierte Entwicklung setzt sich ebenfalls fort.”

Tatsächlich wächst die sächsische Bevölkerung seit 2014 wieder. Die Zuwanderung kompensiert das Minus aus Geburten und Sterbefällen komplett.

Steuermehreinnahmen gleichen SoBez-Rückgang aus

Und parallel dazu trägt die sächsische Wirtschaft verstärkt dazu bei, dass die so lange befürchteten Rückgänge der Solidarpaktmittel durch steigende Steuereinnahmen kompensiert werden: “Die Gesamteinnahmen dürften sich auf einem Niveau zwischen 17 Milliarden Euro und 17,5 Milliarden Euro bewegen. Dies resultiert im Wesentlichen aus zwei gegenläufigen Faktoren. Zum einen gehen die Solidarpaktmittel zurück, welches sich insbesondere durch den Rückgang der SoBEZ aber ebenfalls durch den Rückgang von Bundeszuweisungen (Korb II) äußert. Zum anderen wird ein kontinuierlicher Anstieg der Steuereinnahmen bis 2018 prognostiziert, welcher diesen Einnahmerückgang kompensieren kann.”

Weiter geht zumindest Unland in der Prognose nicht.

Doch nicht nur Unland glaubt noch immer an den Bevölkerungsrückgang. Die komplette Staatsregierung tut’s nach wie vor.

Und das Ergebnis ist: Beim Personal wird weiter gespart wie zu FDP-Zeiten. Auch 2015 und 2016 werden weiter Stellen gestrichen.

“Mit dem Doppelhaushalt 2015/16 wird die im Stellenentwicklungsbericht 2013/2014 dargestellte Stellenentwicklung an die im Koalitionsvertrag vereinbarten Änderungen angepasst. Bis zum Ende des Finanzplanungszeitraums ist eine Rückführung der Stellen um 2 % geplant”, heißt es in Unlands “Finanzplanung”. Von 85.543 Stellen im Dezember 2014 soll es auf 84.754 Ende 2016 runter gehen. SPD und CDU haben zwar eine Evaluation der Personalpläne beschlossen. Aber bis jetzt stehen auch für 2017 und 2018 weitere Stellenkürzungen auf dem Papier.

Will Sachsen wirklich 11 Milliarden Euro im Generationenfonds zur Seite legen?

Dafür steigen die Zahlungen aus dem laufenden Haushalt in den Generationenfonds von 500 auf rund 600 Millionen Euro jährlich. Der Fonds wird so lange aufgefüllt, bis die möglichen Risiken aus den Zahlungsverpflichtungen an Sachsens Pensionäre aufgefangen werden. Diese Pensionslasten hat der Finanzminister 2013 mal hochgerechnet: 11 Milliarden Euro sollen es sein. “Derzeitig werden durch das Vermögen des Generationenfonds rund ein Drittel der bestehenden Pensionsverpflichtungen gedeckt.”

Derzeit zahlt Sachsen etwas über 200 Millionen Euro an seine Pensionäre und kann das eigentlich problemlos aus dem Haushalt finanzieren. Bis 2018 könnte der Wert auf über 300 Millionen Euro ansteigen.

Nur zum Vergleich die Personalausgaben für die Landesbediensteten: Die lagen 2014 bei 4,1 Milliarden Euro und könnten bis 2018 auf 4,9 Milliarden Euro steigen.

Wesentlich zurückhaltender geht der sächsische Finanzminister an den Schuldenabbau.

“Der Freistaat Sachsen war zum 31.12.2013 in Höhe von 11,4 Milliarden Euro verschuldet. Dies entspricht 2.829 Euro pro Einwohner und ist zugleich der zweitniedrigste Wert im Ländervergleich (haushalterischer Schuldenstand Bayern 2.522 EUR pro Einwohner). Seit 2006 konnte der Schuldenstand um rund 850 Millionen Euro reduziert werden. Bis zum Ende des Finanzplanungszeitraums wird der Schuldenstand um weitere rund 400 Millionen auf 11 Milliarden Euro zurückgeführt, um weiterhin im Sinne einer generationengerechten Finanzpolitik bei rückläufiger Bevölkerungszahl eine konstante Pro-Kopf-Verschuldung zu erhalten.”

75 Millionen Euro beträgt die Rate, mit der jählich ein wenig vom Schuldenberg abgetragen wird.

Zahlen bis 2025 – mal so übern Daumen gepeilt

Und ganz am Ende hat der Finanzminister noch einen Kasten eingebaut, in dem er zeigt, woher seine Ängste stammen: aus der Einsteinstraße 3 in Dresden. Da sitzt der sächsische Ableger des Münchner ifo Instituts. Und das hat etwas gemacht, was volkswirtschaftlich nicht mal mehr mit dem Wort Kaffeesatzleserei zu beschreiben ist: Es hat die Einnahmen für den Freistaat Sachsen bis zum Jahr 2025 hochgerechnet.

“Die bereinigten Einnahmen werden, ausgehend von 16,8 Milliarden Euro im Jahr 2014, auf 14,8 Milliarden Euro im Jahr 2025 zurückgehen”, heißt es in der “Mittelfristigen Finanzplanung”. Wo man zumindest in Andeutung zugibt, dass sich dieser Unfug von Jahr zu Jahr ändern wird – und zwar nach oben. Allein schon von 2013 zu 2014 musste das Institut diese seltsame Rechnung nach oben korrigieren: “Damit liegen in der aktuellen Projektionsrechnung die Einnahmen im Jahr 2014 über den Schätzergebnissen des Vorjahres. Für das Jahr 2025 liegen die Ergebnisse um rund 600 Millionen Euro über denen der Vorjahresprojektion. Die Gründe für die Unterschiede in den Projektionen liegen vornehmlich in der unterstellten günstigeren Bevölkerungsentwicklung über den gesamten Projektionszeitraum.”

Hoppla: Schon wieder die Bevölkerungsprognose?

Natürlich hängen die sächsischen Einnahmen von der Bevölkerungszahl ab.

Zumindest ein wenig wird das im ifo-Kasten noch erklärt: “Der negative Osttransfereffekt hat den größten Einfluss auf die zukünftige Einnahmeentwicklung. Die ostspezifischen Transfers, die derzeit bei rund 2,5 Milliarden Euro liegen, werden bis zum Projektionsende vollständig im Landeshaushalt fehlen. Ein Rückgang in den Einnahmen ist auch durch den Bevölkerungseffekt zu erwarten: Bis zum Jahr 2025 werden vor allem durch die Pro-Kopf-Orientierung der Zuweisungen im Länderfinanzausgleich die Landeseinnahmen um 870 Millionen Euro zurückgehen (technische Annahme: Bestand des heutigen Länderfinanzausgleichssystem bis 2025), wobei dieser Effekt – wie oben bereits erwähnt – deutlich geringer ausfällt als in der Vorjahresprojektion.”

Tatsächlich sieht es aber so aus, dass Sachsen das Auslaufen der Solidarpaktmittel bis 2020 durch zusätzliche Steureinnahmen zum großen Teil wird ausgleichen können (siehe oben: Stichwort SoBez). Einem Rückgang der “Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen” um 1,5 Milliarden Euro gegenüber 2014 (nachzulesen auf Seite 7) stehen prognostizierte Steuerzuwächse in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gegenüber. Und wenn der Bevölkerungstrend, wie er 2014 sichtbar wurde, so bleibt, wird es auch den vom ifo-Institut unterstellten “Bevölkerungseffekt” von -870 Millionen Euro nicht geben.

Aber nicht nur die 1,5 Milliarden aus den SoBez-Zuweisungen hat das ifo-Institut als “Osttransfers” gerechnet, sondern insgesamt 2,5 Milliarden Euro, wobei völlig offen ist, ob diese 1 Milliarde “Rest” überhaupt entfallen. Statt eines Minus von 2 Milliarden Euro ist ein leichter Rückgang von 200 Millionen viel wahrscheinlicher. Wenn überhaupt. Denn wie die wirtschaftliche Entwicklung Sachsens tatsächlich die eigene Finanzierungskraft stärkt, ist auf so einen Zeitraum überhaupt nicht zu berechnen. Das Finanzministerium führt im Text immerhin stolz aus, dass Sachsen seine Eigenfinanzierung von 58 auf 67 Prozent steigern konnte. Und niemand weiß, wie die Zunahme der Beschäftigung und die Steigerung der Einkommen diesen Faktor weiter erhöhen.

Tatsächlich entsteht durch die Kaffeesatzleserei des ifo-Institutes das Bild eines Bundeslandes, das es so in der Realität nicht gibt, das aber immer wieder als Argument verwendet wird für Kürzungen insbesondere beim Personal.

Die “Mittelfristige Finanzplanung 2014 – 2018” als PDF.

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