Die Grünen nerven. Das gefällt nicht jedem. Schon gar nicht braven Bürgern, die gern das Gefühl behalten wollen, dass alles seinen geregelten Gang geht und "die da oben" schon wissen, was sie tun. Doch gerade bei den Themenfeldern, die Sachsens Grüne nun seit Jahren beackern, ist der Widerspruch zwischen Versprechen und Realität in der sächsischen Regierungspolitik eklatant.

Erst gestern berichteten wir über die jüngste Umfrage der Leipziger Unternehmensberatung Hitschfeld, die diesmal die Einschätzung der Bürger zum Gleichgewicht zwischen Naturschutz und den Belangen der von Projekten betroffenen Menschen betraf. Eine verblüffende Mehrheit war dabei der Meinung, Naturschutz würde regelrecht missbraucht, um (Bau-)Projekte zum Erliegen zu bringen.

Doch die Realität ist eine andere. Noch immer stapeln sich im sächsischen Wirtschaftsministerium die Anträge zu Bauprojekten, die reihenweise Naturschutzgebiete beeinträchtigen und Waldfläche und Landwirtschaftsfläche verschlingen.

Und ein aktueller Antrag der beiden Regierungsfraktionen von CDU und SPD macht die Grünen-Fraktion regelrecht sauer. Denn der Antrag suggeriert, dass ausgerechnet die Schaffung von Ausgleichsflächen für Baumaßnahmen dafür sorgt, dass in Sachsen jedes Jahr hunderte Hektar wertvolles Ackerland verloren gehen.

Den Antrag brachten die Fraktionen von CDU und SPD am Donnerstag, 2. Oktober, im Umweltausschuss des Sächsischen Landtags zur Anhörung. Und für den Grünen-Abgeordneten Wolfram Günther unterstellt dieser Antrag, dass vor allem naturschutzrechtliche Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen landwirtschaftliche Flächen vernichten würden.

Dabei hat er vorher extra nachgefragt. Eigentlich ein Fragepaket, das die Grünen jedes Jahr einmal vorlegen, um zu erfahren, wie viel landwirtschaftliche Flächen in Sachsen immer noch jedes Jahr verloren gehen, versiegelt und verbaut werden. Immerhin hat auch der Freistaat Sachsen das Ziel, diese Vernichtung wertvoller Ackerböden zu stoppen und den Flächenverbrauch auf Null zu bringen. In offiziellen Reden zumindest.

Ein frohes Zeichen gab es immerhin: Der Flächenverbrauch hat sich in den letzten Jahren verringert, ist aber noch lange nicht gestoppt.

Laut Antwort des Ministers betrug die Zunahme der Flächen für Siedlung und Verkehr im Zeitraum vom 31. Dezember 2000 bis 31. Dezember 2013 28.419 Hektar. Über den gesamten Zeitraum gesehen bedeutet dies eine tägliche Flächenneuinanspruchnahme von durchschnittlich knapp sechs Hektar pro Tag. Das entspricht der Fläche von 8,4 Fußballfeldern (1 Fußballfeld = 0,714 Hektar).

Laut Aussagen des Ministers werden rund 50 Prozent dieser neu in Anspruch genommenen Flächen auch versiegelt. Im Klartext: Seit 15 Jahren wurden täglich in Sachsen Flächen vom Ausmaß von mehr als vier Fußballfeldern versiegelt, kommentiert Wolfram Günther die Zahlen.

Dadurch schwand in Sachsen die Landwirtschaftsfläche enorm: Zwischen 2000 und 2013 reduzierte sich die Landwirtschaftsfläche von 1.031.675 Hektar auf nur noch 1.008.947 Hektar. Das ist ein Rückgang um knapp 23.000 Hektar.

Woher die Behauptung kommt, dass vor allem naturschutzrechtliche Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen landwirtschaftliche Flächen vernichten würden, weiß Günther auch: Der Vorwurf kommt seit Jahren  aus der CDU, die sich dabei vor allem als Anwalt der Landwirte fühlt. Gegen die Naturschützer.

Das Muster gibt es so nicht nur in Sachsen. Doch dabei werden eindeutig die Falschen an den Pranger gestellt – und es wird genau das Bild damit erzeugt, das die Hitschfeld-Umfrage zu Tage brachte: Die meisten Bürger glauben, die Naturschutzverbände seien so mächtig, dass sie mit Schmetterlingen, Feldlerchen und Maulwürfen ganze Bauprojekte zu Fall bringen können.

“Entgegen anderslautender Behauptungen waren nach Angaben des Umweltministers naturschutzfachliche Ausgleichsflächen nur zum geringsten Teil für den zunehmenden Verlust von Landwirtschaftsflächen verantwortlich”, erläutert Günther. “Der Antrag von CDU und SPD entspringt nur Anti-Naturschutz-Reflexen. Von CDU und FDP waren wir so etwas ja gewöhnt, aber ich bin überrascht und enttäuscht, dass sich die SPD für dieses schlechte Spiel hergibt.”

Denn laut Auskunft von Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt (CDU) wurden vom 1.1.2000 bis 14.7.2015 nur 1.100 Hektar Landwirtschaftsfläche für naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen genutzt, weitere 590 Hektar zur Waldkompensation. Das sind nach Adam Ries nicht einmal 7,5 Prozent der beanspruchten Fläche.

Die Ursachen für den Rückgang der Landwirtschaftsflächen in Sachsen liegen demnach woanders, so Günther. Seit dem Jahr 2000 ging die Landwirtschaftsfläche in Sachsen um rund 23.000 Hektar zurück. Im gleichen Zeitraum stieg die Siedlungs- und Verkehrsfläche um ca. 28.400 Hektar.

Die Siedlungs- und Verkehrsfläche (SuV) wuchs insgesamt vom Jahr 2000 bis 2013 von 207.288 Hektar auf 235.707 Hektar.

Das bedeutet eine Zunahme um zwölf Prozent. Etwa 11.900 Hektar dieser neu entstandenen Siedlungs- und Verkehrsfläche sind z.B. durch Braunkohlesanierung entstandene Erholungsflächen. Zieht man diese 11.900 Hektar von den 28.400 Hektar Siedlungs- und Verkehrsfläche ab, bleiben ca. 16.500 Hektar überwiegend neu versiegelte Flächen übrig. Verkehrsflächen nahmen seit dem Jahr 2000 dabei um rund 6.000 Hektar zu. Betriebsflächen stiegen im gleichen Zeitraum um ca. 2.100 Hektar. Um weitere 8.400 Hektar nahmen die Gebäudeflächen und die dazugehörigen Freiflächen zu.

“Laut den Antworten des Umweltministers ist die Landwirtschaftsfläche in Sachsen seit dem Jahr 2000 um 23.000 Hektar zurückgegangen. Flächen für naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen fallen mit 1.100 Hektar dabei kaum ins Gewicht. Eine der Lieblingslegenden der sächsischen CDU, Ackerland gehe vor allem wegen des Naturschutzes verloren, ist somit nicht zu halten”, stellt Günther nun fest. “Die Hauptursache für den Flächenverlust in den letzten 15 Jahren liegt in der Ausweitung der Verkehrsflächen sowie der Bau- und Gewerbegebiete.”

Ein Thema, das die Grünen übrigens heute auch auf einer Pressekonferenz in Dresden aufgreifen, wo sie mal wieder (auch das ist ein altes grünes Nerv-Thema) die vom Freistaat Sachsen beim Bund angemeldeten Projekte für den Bundesverkehrswegeplan vorknöpfen. Denn es sind diese großen Verkehrsbauprojekte, die vor allem wertvolle Ackerflächen fressen.

Direkt vor den Toren Leipzigs etwa droht der Ausbau der B 181 im Westen, neben Naturschutzflächen auch wieder Ackerflächen zu verschlingen, im Nordosten schwebt nach wie vor das Damoklesschwert des Ausbaus der B 87n. Es sind Sachsens Verkehrsminister, die gar nicht einsehen, warum sie auf Naturschutz- und Ackerflächen überhaupt Rücksicht nehmen sollen.

“Mit 78 angemeldeten Straßenbauprojekten, deren Realisierung rund 2 Milliarden Euro kosten würde, ist Sachsens Anmeldung für den Bundesverkehrswegeplan 2015 gewohnt überbordend und unfinanzierbar ausgefallen”, kommentieren die Grünen die neue Wunschliste aus Dresden. Und genau da wird sichtbar, wie wenig gerade das bauwütigste Ministerium Rücksicht nimmt auf Äcker und Naturschutzgebiete. “Die sächsische Wunschliste nimmt praktisch keinen Bezug auf die Grundkonzeption für den BVWP 2015. Die dort formulierten Oberziele – wie die Begrenzung der Inanspruchnahme von Natur und Landschaft und Klimaschutz – haben bei der Auswahl und Anmeldung der sächsischen Straßenbauvorhaben offenbar keine Rolle gespielt. Auch die vom Bund vorgegebene Maxime ‘Ausbau vor Neubau’ wurde bisher von der sächsischen Staatsregierung ignoriert. Bei der Bahn kommt es darauf an, das Netz fit zu machen, für das verkehrspolitische Ziel ‘mehr Verkehr auf die Schiene’ zu verlagern. Vertakteter Fernverkehr und Nahverkehr mit garantierten Anschlüssen in den Bahnknoten stellt allerdings spezifische Anforderungen an den Ausbau der Schieneninfrastruktur, der beim Bundesverkehrswegeplan berücksichtigt werden muss.”

Da wird recht deutlich, wie fatal die falschen Zuweisungen der ministeriellen Geldverschwender sind: Man zeigt mit großem Finger auf die Naturschützer, erklärt immer wieder die Suche nach Ausgleichflächen zur Hauptursache für den Ackerverlust. Aber auf den Gedanken, endlich einmal raumschonende Verkehrsprojekte zu planen, kommt man im betonverliebten Verkehrsministerium nicht.

Das Tempo der Flächenversiegelung in Sachsen verlangsamt sich zwar seit dem Jahr 2009. Doch täglich werden immer noch etwa drei Hektar in Anspruch genommen. Der Höhepunkt der Flächeninanspruchnahme war laut Aussagen des sächsischen Umweltministers dabei im Jahr 2007 erreicht. Damals wurden täglich 11,2 Hektar Flächen neu in Anspruch genommen. 2013 lag die Größe der täglichen Flächeninanspruchnahme noch bei drei Hektar – ähnliche Werte wurden auch für die Jahre 2004 und 2005 angegeben.

“Ich begrüße den positiven Trend”, so Günther. “Allerdings wird weiterhin täglich wertvoller Boden in Sachsen zulasten von Landwirtschafts- und Grünlandflächen versiegelt. Und das trotz massiv zurückgehender Einwohnerzahlen. Wir Grünen wollen den fortschreitenden Verbrauch von Flächen für neue Bebauung von vornherein begrenzen. Aus unserer Sicht muss der Flächenneuverbrauch bis 2020 auf nahe Null verringert werden. Dafür schlagen wir ein Entsiegelungsprogramm vor. Neuversiegelungen sollen mit -entsiegelungen einer gleich großen Fläche in gleichartiger Umgebung gekoppelt werden. Dies geschieht bisher kaum. Bislang sind die Kompensationen oft wahllos und verstreut. Zudem wird die Umsetzung von Entsiegelung schlecht kontrolliert.”

Der Antrag der Fraktionen von CDU und SPD “Reduzierung des Flächenverbrauchs – grundsätzlich keine landwirtschaftliche Nutzfläche für Ausgleichsmaßnahmen”.

Die Anfrage von Wolfram Günther zum Flächenverbrauch in Sachsen.

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