Die Kritik hat gesessen. Aber bereit zum Dialog zeigt sich Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) nicht. Statt die Einladung des Leipziger Oberbürgermeisters Burkhard Jung (SPD) anzunehmen und mit ihm über die Probleme mit fehlenden Polizisten in Leipzig zu reden, nutzt er sein Amt zur öffentlichen Schelte: „Die Vorwürfe von Leipzigs Oberbürgermeister sind haltlos und unverantwortlich“, ließ er noch am Dienstag, 5. September, vermelden. Er hätte wohl besser schweigen und endlich handeln sollen.

Zu den Vorwürfen von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, der Freistaat würde die Messestadt bei der Ausstattung mit Polizeipersonal und in Sicherheitsfragen im Stich lassen, erklärte Markus Ulbig stattdessen: „Ich habe ja in diesen Tagen für viele parteipolitische Äußerungen Verständnis. Aber das was Herr Jung an falschen Tatsachen unter dem Deckmantel einer konstruktiven Kritik verkauft hat, ist nicht nur haltlos, sondern ungeheuerlich und wird der Verantwortung eines Oberbürgermeisters in keinster Weise gerecht. So wurde im Gegensatz zu den anderen Polizeidirektionen das Personal in Leipzig kontinuierlich aufgestockt. Gab es in der Direktion Leipzig 2015 noch 2.965 Bedienstete bei der Polizei, waren es 2016 insgesamt 3.040 und seit diesem Jahr bereits 3.110. Immerhin ein Anstieg um 145 Polizistinnen und Polizisten innerhalb von zwei Jahren“, polterte der Minister.

Eine Zahl, die postwendend einer kritisiert, der Ulbig nun seit Jahren beharrlich nach Zahlen fragt, Enrico Stange, der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag: „Das Innenministerium verwendet in seiner versandten Mitteilung übrigens nicht die Ist-Zahl, sondern die Soll-Zahl zur aktuellen Personalausstattung der PD Leipzig (3.110 Bedienstete), die seit Jahren nicht erreicht wird. Die tatsächliche Zahl liegt bei 3.041, denn bekanntlich können nur Bedienstete eingesetzt werden, die existieren.“ Zahlen, die zudem den Krankenstand von rund 10 Prozent nicht abbilden.

Ulbig argumentiert also mit einer Zahl, die Leipzigs Polizeidirektion überhaupt nicht erreicht.

Ganz zu schweigen davon, dass die Vergleichszahl von Ulbig mit den 2.965 Bediensteten von 2015 schon ein kläglicher Tiefpunkt der Entwicklung war, nachdem bei der Leipziger Polizei seit 2006 über 200 Polizeistellen abgebaut worden waren.

Und nicht nur hier versucht Markus Ulbig, die Lage schönzumalen: „Insgesamt wird Sachsen in den kommenden Jahren 1.000 Polizeibeamte zusätzlich einstellen. Das hat bereits eine Kommission im Dezember 2015 vorgeschlagen und wird seitdem konsequent umgesetzt. So hat der Freistaat bereits in diesem Jahr 600 neue Polizeianwärter eingestellt, im kommenden Jahr werden es weitere 700 sein. Zum Vergleich: zwischen 2011 und 2014 lag der Einstellungskorridor jeweils bei 300. Hinzu kommt, dass von den in Sachsen derzeit insgesamt 481 Wachpolizisten 132 ihren Dienst in der Polizeidirektion Leipzig ausüben.“

Nur zur Ergänzung: Dass der Einstellungskorridor 2011 bis 2014 so niedrig war, liegt auch in Ulbigs Verantwortung. Und dass es überhaupt ein Programm gibt, wieder 1.000 Polizisten mehr in Dienst zu bekommen, hat erst der kleine Koalitionspartner SPD seit 2014 in Mitverantwortung durchsetzen müssen. Ulbig hätte mit seiner „Polizeireform 2020“ einfach weitergemacht.

Und ebenfalls zur Wahrheit gehört, dass Sachsen mit dem höheren Einstellungskorridor trotzdem erst im Jahr 2023 wieder die Polizeizahl von 2006 erreicht. Das Vergleichsjahr 2006 kommt zudem mit gerade einmal rund 506.000 Leipzigern daher, Stand derzeit 585.000 Einwohner plus X, denn mittlerweile kratzt die Messestadt systematisch an der 600.000er Marke.

„Parallel zur Erhöhung der Einstellungszahlen investiert der Freistaat in die Ausrüstung und in die Ausbildungsstätten der Polizei. So stehen für die Sachmittelausstattung der Polizei in diesem Jahr 131,7 Millionen Euro und nächstes Jahr noch einmal 148,8 Millionen Euro zur Verfügung“, meinte Ulbig noch.

„An den Standorten Leipzig, Chemnitz, Schneeberg, Bautzen und Rothenburg werden die baulichen und personellen Ressourcen laufend angepasst. Bis Ende 2018 investieren wir rund 27 Millionen Euro in die polizeieigenen Schulen und das Lehrpersonal. Insofern bedarf es keines medienwirksam inszenierten Hilferufs eines Oberbürgermeisters. Wir haben den Bedarf für ganz Sachsen schon lange selber erkannt und handeln bereits seit zwei Jahren“, so Ulbig.

Und dann wird er parteipolitisch und empfiehlt Leipzig dieselbe Placebo-Politik wie Dresden und Chemnitz und natürlich, dass nun Leipzig das jahrelang gesparte Geld investieren soll – in Unsinn: „Im Übrigen gibt das aktuelle Polizeigesetz den Ortspolizeibehörden bereits umfangreiche Befugnisse für zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen. Man muss sie nur anwenden, mit Personal ausstatten und umsetzen. Im Gegensatz zu Leipzig, haben das die beiden anderen Großstädte Dresden und Chemnitz auch bereits vorbildlich getan. Vielleicht sollte sich Herr Jung zunächst einmal bei seinen beiden Kollegen informieren.“

Die vielgepriesenen Befugnisse für den Stadtordnungsdienst umfassen aber eben nicht die polizeilichen Befugnisse zu Täterermittlung, Gewaltanwendung und anderen Zwangsmaßnahmen. Fakt ist für die Leipziger Polizeistärke, wie Enrico Stange betont: „Seit 2006 ging die Zahl der Bediensteten von 3.230 auf 3.041 zurück.“

Mit dem von Ulbig erwähnten zwischenzeitlichen Tiefpunkt bei 2.965 Bediensteten im Jahr 2015. Seit 2006 ist Leipzigs Bevölkerungszahl also um 80.000 angestiegen, das heißt: um 15 Prozent. Um allein die 2006er Polizistenausstattung in Leipzig wieder zu erreichen, braucht Leipzig also nicht nur 200 Polizisten mehr oder 250, wie Burkhard Jung als Zahl nannte. Auch nicht die 400, die die Linke mittlerweile als belastbaren Richtwert nennt. Denn 15 Prozent bei 3.230 Polizeibediensteten sind sogar 485 zusätzliche Polizisten. Zusätzlich zu den 189, die heute schon fehlen.

In Leipzig fehlen also 674 Polizeibedienstete gemessen am Bevölkerungswachstum. Da helfen auch keine Kameraüberwachung, keine neuen Wasserwerfer oder mehr Polizeiausbilder. Die Beamten fehlen auf der Straße, bei der Bearbeitung von Strafanzeigen, bei der Ermittlungsarbeit, am Rechner, bei Befragungen und im Notfall bei raschen Einsätzen.

Das ist das Loch, das der verantwortliche Innenminister hat aufreißen lassen. Und es zeigt, dass auch die aktuellen Planungen erneut unter einem verträglichen Limit liegen.

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