Am Donnerstag, 19. Oktober, wurde in Cottbus ein Strukturwandelkonzept für die Lausitz vorgestellt, das vom überparteilichen Berliner Energiepolitik-Thinktank Agora erarbeitet worden ist. Das war am selben Tag, an dem Siemens die mögliche Schließung seines Turbinenwerks in Görlitz ankündigte, worauf Sachsens Noch-Ministerpräsident Stanislaw Tillich mit einem Jammerstatement reagierte. Das kontrastierte deutlich mit dem Agora-Vorschlag.

Und es zeigte einmal mehr, dass Sachsens Regierung keine Vorstellung davon hat, wie man in bedrohten Regionen gute Strukturpolitik machen kann. Es fehlt schlicht die Kompetenz. Und man hat sich all die Jahre nicht mal die Mühe gemacht, diese Kompetenz aufzubauen.

„Sowohl der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) als auch der von ihm vorgeschlagene Nachfolger Michael Kretschmer – seit über zehn Jahren Generalsekretär der sächsischen CDU – müssen sich vorwerfen lassen, mit ideologisch geprägten energiepolitischen Dogmen jahrelang in den eigenen Reihen Denkblockaden errichtet zu haben. Sie müssen jetzt zuschauen, wie Zukunftskonzepte für ihre eigenen Wahlkreise ohne ihr Zutun ganz konkret werden“, kommentiert das nun Dr. Gerd Lippold, Sprecher für Energie- und Wirtschaftspolitik der Grünen-Fraktion im Landtag. „Das ist weder besonders konservativ noch besonders verantwortungsvoll. Das ist einfach Politik von gestern in einer Zeit, die Antworten von heute auf Herausforderungen von morgen verlangt.“

Und es zeugt von politischer Blindheit, denn die Klimaschutzziele der Bundesregierung liegen seit Jahren auf dem Tisch. Da genügt ein simpler Taschenrechner, um sich ausrechnen zu können, dass diese Ziele mit einem Weiterbetrieb der alten Braunkohlekraftwerke nicht zu erreichen sind. Stanislaw Tillich hat sich möglicherweise darauf verlassen, dass Angela Merkel die nötigen Weichenstellungen einfach aussitzen würde und die Gewerkschaft IG BCE die möglichen Schließungspläne für die Kohlekraftwerke einfach wegstreiken würde.

Aber in Wirklichkeit ist der Rückzug aus der Braunkohle längst im Gang, die Stilllegung der ersten Kraftwerke längst vertraglich vereinbart. Die Beschäftigtenzahlen im Bergbau sinken seit Jahren. Und selbst die LEAG hat einige Projekte im Lausitz-Bergbau verschoben und auf Eis gelegt. Eine Zusage zum Weiterbetrieb im aktuellen Umfang hat der Konzern tatsächlich nur bis 2020 gegeben. Für alles, was danach passiert, hat er keine Zusagen gemacht.

„Während es in der bundespolitischen Debatte offensichtlich längst um die konkreten Sachfragen beim Braunkohleausstieg geht, läuft die Staatsregierung in Sachsen nach langer Denk- und Arbeitsverweigerung zu diesem Thema Gefahr, immer mehr eigene Gestaltungsfähigkeit einzubüßen“, stellt Lippold fest. „Deshalb empfehle ich der sächsischen Staatsregierung und insbesondere auch dem aus der Lausitz stammenden Kretschmer die rasche und gründliche Lektüre des neuen Strukturwandelkonzeptes ‚Eine Zukunft für die Lausitz‘ ausdrücklich.“

Wobei das Agora-Papier (PDF zum Download) auch eine deutliche Forderung an die Bundesregierung enthält. Diese soll ab 2019 einen „Strukturwandelfonds Lausitz“ auflegen. „Der Lausitzfonds sollte für 15 Jahre mit jährlich 100 Millionen Euro ausgestattet werden und seine Mittel auf vier Fördersäulen verteilen: Wirtschaft, Wissenschaft, Infrastruktur und Zivilgesellschaft.“

Das ist eine überschaubare Summe, wenn es darum geht, eine Region, der in Teilen der industrielle Kahlschlag droht, bei der Schaffung neuer Wirtschaftsstrukturen zu begleiten. Der Strukturwandel kommt – so oder so. Es liegt an der Politik, dabei belastbare Handlungskonzepte direkt mit den betroffenen Regionen zu entwickeln.

Was übrigens nicht nur die Lausitz betrifft. Das Mitteldeutsche Revier im Verbund mit dem Mansfelder Land betrifft das schon lange. Nur ist hier die Wahrnehmung des Problems nicht so akut wie in der Lausitz, denn einige der Negativeffekte werden durch den kleinen Leipziger Wirtschaftsboom aufgefangen.

Nur ist in Ostsachsen das Mantra von der Braunkohle aufs Engste verbunden mit der Bestandspolitik der ostsächsischen CDU, die in Sachsen politisch den Ton angibt. Was dann all diese seltsamen Heimat-Verrenkungen im Regierungsalltag ergibt, als bestünde Sachsen tatsächlich nur aus Sächsischer Schweiz, Görlitzer Filmkulisse und ein paar christlichen Grüßen aus dem Erzgebirge.

Zwei Drittel des Landes kommen in der sächsischen Politikwahrnehmung so gut wie gar nicht vor.

Und an einem sachdienlichen Vergleich auf Bundesebene fehlt es völlig. Als hätte man sich einfach den bayerischen Lederknaller „Mia san mia“ übergeholfen und sich damit in olympische Sphären katapultiert.

„Wer wie Michael Kretschmer bis in jüngste Zeit in Berlin eine ‚Bestandsgarantie‘ für die Braunkohle bis mindestens 2050 fordert, der hinkt der aktuellen energie- und klimapolitischen Debatte um Jahre hinterher. Er schafft damit denkbar schlechte Voraussetzungen, um die Interessen der sächsischen Lausitz künftig wirksam zu vertreten und eine aktive Rolle in den längst angelaufenen Veränderungsprozessen zu spielen“, geht Lippold auf den möglichen Nachfolger von Tillich ein, der eher für ein Weiterso steht, nicht für kluge Ideen für den Strukturwandel.

„Das Konzept von Agora ist vor dem Hintergrund der Sondierungen für eine ‚Jamaika‘-Regierungskoalition, in denen ein verbindlicher Einstieg in den Kohleausstieg eine wesentliche Rolle spielt, als wertvoller, fachlich fundierter Diskussionsbeitrag für Fragen der Umsetzung zu sehen“, beschreibt Lippold seine Sicht auf das am 19. Oktober in Cottbus vorgestellte Papier für die Lausitz (die übrigens mit etwas über 1 Million Einwohner ähnlich bevölkert ist wie der Direktionsbezirk Leipzig – Cottbus ist mit knapp 100.000 Einwohnern die größte Stadt).

„Im vorgestellten Konzept geht es darum, wie vorgeschlagene 100 Millionen Euro pro Jahr über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren bereits ab 2019 möglichst rasch und möglichst nachhaltig für die regionale Strukturentwicklung in der Lausitz wirksam werden können“, zählt Lippold auf. „In dem neuen Strukturwandelkonzept geht es ganz konkret um die Ausgestaltung der Instrumente, mit denen innovative Wirtschaft, zeitgemäße Infrastruktur, kulturelles Leben vorangebracht und die Rolle als Energieregion auch in Zeiten der Energiewende erhalten werden können. Die Strukturentwicklung der Lausitz für das 21. Jahrhundert funktioniert am besten, wenn die Region in die Lage versetzt wird, ihre Zukunft selbst zu gestalten.“

Die Autoren des Papiers haben eine gewählte Regionalvertretung als Entscheidungsinstanz vorgeschlagen, also die Region selbst zum Akteur ihrer Umgestaltung zu machen.

„Wir Grüne in Sachsen und Brandenburg haben immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig die Rolle zivilgesellschaftlichen Engagements für die Akzeptanz von regionalen Leitbildprozessen und für die breite Unterstützung von Zukunftskonzepten ist. Wir haben in Diskussion mit den Menschen vor Ort seit Jahren eigene Konzepte, Impulse und Schwerpunkte vorgeschlagen, als sich die Landesregierungen noch jedem Nachdenken verweigerten“, sagt Lippold. Und er betont, dass das Papier auf Zuarbeit aus der Region zurückgreifen konnte: „Das neue Strukturwandelkonzept von Agora fasst die Positionen zusammen, die verschiedene Initiativen vor Ort in der Lausitz seit Jahren erarbeiten. Es kritisiert gleichzeitig, dass die Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg eine solche Debatte viel zu lange grundsätzlich abgelehnt haben.“

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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