Am Ende hatten die Medien immer mehr Fragen zu seiner Vergangenheit, seinen Verbindungen zur „Alten Prager Landsmannschaft Herzynia“ und seinem Amtsverständnis heute. Parallel dazu forderte ihn eine öffentliche Petition von drei Leipziger Pfarrern seit dem 27.09.2019 dazu auf, klar Stellung zu einem 2013er Auftritt bei der „Bibliothek des Konservatismus“ zu beziehen. Am 11. Oktober 2019 hatte Landesbischof Carsten Rentzing genug und trat zurück.

Nach knapp vier Jahren Amtszeit als Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen (EVLKS) gab Rentzing am Nachmittag des 11. Oktober 2019 seinen Rücktritt bekannt. Nicht freiwillig, denn nach einem L-IZ-Interview scheint ihn neben den Unklarheiten der vergangenen Wochen vor allem seine Vergangenheit eingeholt zu haben.

„Um Schaden von meiner Kirche abzuwenden, habe ich mich entschieden, mein Amt zum nächstmöglichen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen“, so Carsten Rentzing am heutigen Freitag in einer Stellungnahme auf den Seiten der EVLKS (hier vollständig).

2015 sei er „angetreten mit dem Wunsch, die verschiedenen Positionen innerhalb der Landeskirche wieder einander näherzubringen. Mein oberstes Ziel war und ist die Einheit der Kirche. Ich muss mit großem Bedauern feststellen, dass die aktuelle Diskussion um meine Person diesem Ziel schadet. Sie ist nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die gesamte Kirche derzeit eine Belastung.“

Ob ihm sein Ziel der kirchlichen Einheit gelungen wäre, wenn er sich von seiner bis heute bestehenden Mitgliedschaft bei der Landsmannschaft „Herzynia“ losgesagt und diese gekündigt hätte, wird so nicht mehr zu erfahren sein.

Im L-IZ-Interview vom 2. Oktober 2019 räumte er seine Mitgliedschaft als „Alter Herr“ und vier selbst gefochtene Mensuren für die „Herzynia“ ein. Und machte klar, dass ihm die Freundschaften in der pflichtschlagenden Landsmannschaft wichtig seien, sodass er zwar einerseits keine offiziellen Anlässe mehr bei dieser oder dem Coburger Convent besucht habe, aber auch seinen Austritt nie vollzogen hätte. Bis heute führe Rentzing seine Mitgliedsbeiträge ab.

Auch zu seinem 2013er Auftritt bei der „Bibliothek des Konservatismus“ (BdK) verlangten die Leipziger Pfarrer Andreas Dohrn (Peterskirche), Frank Martin, Sebastian Keller und Matthias Rudolph (Kirchvorsteher der Versöhnungskirche Leipzig) in ihrer Petition Aufklärung über Umstand und Grund der Einladung des heutigen Landesbischofs.

Das Netzwerk der Neuen Rechten und die BdK

Wohl nicht grundlos, denn bei der BdK handelt es sich um eine von der „Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung“ (FKBF) getragene Berliner Institution, welche die Autoren Christian Fuchs und Paul Middelhof in ihrem 2019 bei Rowohlt erschienenem Buch „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ nach einem Ortsbesuch wie folgt beschreiben: Caspar Freiherr von Schreck-Nortzing habe „seine umfangreiche Büchersammlung nach seinem Tod der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Gemeinsam mit Dieter Stein, dem Chefredakteur der Jungen Freiheit, entwickelte er die Idee einer Bibliothek …“

Und in dieser könne man sich nun „die Namen der Autoren, die Titel der Bücher anschauen“, um zu erkennen, „worum es hier geht: Armin Mohler. Ernst Jünger. Oswald Spengler. Carl Schmitt. Die Vordenker der ‚konservativen Revolution‘. Manch einer von ihnen bewunderte den Faschismus, andere standen dem NS-Regime nahe. Es ist der Kanon der Szene, das theoretische Fundament der Neuen Rechten, das hier lagert.“

Was das Buch der beiden Autoren innerhalb der rechten Szene auslöste, zeigte übrigens das Frühjahr 2019. Die Recherchen lösten heftige Gegenwehr aus, doch die Fakten hielten auch juristischen Interventionen stand, wie Rowohlt mitteilte.

Die Erklärung wie es zum Vortrag in dieser Einrichtung kam, versuchte Rentzing ebenfalls im Interview mit der L-IZ.de zu geben, als er mitteilte, dass ihm der Gründer sowie der aktuelle Vorsitzende der „Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung“ (FKBF) nicht bekannt waren oder sind. Auch über die seit 2007 gegebene Verbindung zwischen dem Gründer der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, Dieter Stein, zur „Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung“ (FKBF), deren Vorsitzender ebenfalls seit 2007 Stein ist, äußerte sich Rentzing.

„Ich kenne diese Zeitung eigentlich nicht und kann sie daher auch nicht einschätzen. Auch die Person Dieter Stein ist mir nicht bekannt.“. Auch der Gründer der FKBF, Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing „war und ist mir nicht bekannt“, so Rentzing gegenüber L-IZ.de.

Seine Einladung zum Vortrag am 11. Dezember 2013 in der „Bibliothek des Konservatismus“ führte er maßgeblich auf seinen bereits damals bestehenden Ruf als konservativen Theologen zurück. Wiederholen würde er diese Stippvisite heute nicht noch einmal, verortet die BdK heute selbst im „rechten Spektrum in Deutschland“.

Neue Vorwürfe nach dem L-IZ.de-Interview

Dass Rentzings Beziehungen zur „neurechten Denkschule“, wie die FKBF aufgrund ihres Wirkens in den vergangenen Jahren durch Vorträge von unter anderem Erika Steinbach, Georg Pazderski (aktuell Vorstand der AfD), Oliver Janich oder Thilo Sarrazin durchaus genannt werden kann, näher sein könnten als bislang bekannt, steht nach neueren L-IZ.de-Informationen mittlerweile mindestens im Raum.

Über nachfolgende Zusammenhänge wurde Carsten Rentzing in den vergangenen Stunden von seinen kircheninternen Kritikern in einem Gespräch informiert und – wie schon bei den Vorwürfen in der Petition – um Klarstellung gebeten.

So soll Carsten Rentzing in seiner Studienzeit gemeinsam mit dem heutigen Leiter der Bibliothek des Konservatismus, Dr. Wolfgang Fenske, Teil einer sechsköpfigen Redaktion gewesen sein, die die Zeitschrift „Fragmente“ verantwortete. „Fragmente“ selbst soll sich im „jungkonservativen“ Spektrum eben jener „Konservativen Revolution“ verortet haben, die nun in der Berliner „Bibliothek des Konservatismus“ (BdK) ihr neues Zuhause gefunden hat.

Wenn auch nur drei Jahre lang ab 1989 herausgegeben, sollen sich in eben dieser „Fragmente“-Zeitschrift Bezüge von Rentzing zu Freiherr von Schrenck-Notzing finden lassen. So verweise Rentzing selbst in „Fragmente“ auf einen Beitrag der damalige Zeitschrift „Criticón“. Auf den Seiten der BdK kann man dazu lesen: „Von 1970 bis 1998 leitete Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing die von ihm gegründete Zeitschrift Criticón.“

In ihrer letzten Ausgabe soll „Fragmente“ zudem für die entstehende Zeitschrift „Junge Freiheit“ von Dieter Stein geworben haben. Mit einem Gutschein für drei Gratisexemplare und der Zeile „Der Traum von einer ‚richtigen‘ Zeitung“. Zudem sollen in der Folgezeit einige damalige Redaktionskollegen von Carsten Rentzing auch für die „Junge Freiheit“ tätig geworden sein. Unter ihnen abermals Dr. Wolfgang Fenske, der heutige Leiter der „Bibliothek des Konservatismus“.

Offen muss zur Stunde bleiben, ob Carsten Rentzing diese ihm seit spätestens gestern bekannten neuen Vorwürfe wirksam entkräften könnte. Oder ob er es gar nicht möchte. Getan hat er es bislang nicht, nicht gegenüber seinen innerkirchlichen Kritikern, nicht in seiner Rücktrittserklärung. Ob er also Gefahr lief, dass alte Exemplare der „Fragmente“ diese Bezüge belegen und seine Antworten im L-IZ-Interview in einem anderen Licht erscheinen lassen können, ist unklar.

Fest stehen nur der heutige Rücktritt, der Hinweis Rentzings, dass er „Positionen, die (er) vor 30 Jahren vertreten habe“ heute nicht mehr teile und seine Bitte: „Meine Landeskirche, alle die in ihr Dienst tun und alle Gemeindeglieder bitte ich aufeinander zuzugehen.“

Die sächsische Landeskirche sucht nun erst einmal eine neue Bischöfin oder einen Bischof. Und somit auch eine Antwort auf die Frage, wie man es demnächst mit der „Klarheit in der Nächstenliebe“ halten möchte.

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