Wie bestraft man Menschen, die kein Geld haben? Oder ist es nicht schon genug, dass sie kein Geld haben? Noch immer sieht die deutsche und sächsische Rechtsprechung hier Gefängnisstrafen vor, wenn Menschen die Strafgelder aus Bagatelldelikten nicht begleichen können oder wollen. Obwohl diese Strafen nichts nützen. Die Linksfraktion will mit einem neuen Landtagsantrag (Drucksache 7/9269) erreichen, den Einsatz von Ersatzfreiheitsstrafen in Sachsen zu verringern und sie letztendlich zu überwinden.

Zuletzt hatte auch die sächsische Justizministerin Katja Meier Schritte in diese Richtung vorgeschlagen. Gerade der Einsatz der Ersatzfreiheitsstrafe gegen Schwarzfahrer ist auch aus ihrer Sicht völlig unangemessen.

In einem Jahr über 70.000 Hafttage für Ersatzfreiheitsstrafen

„Die Anzahl der pro Jahr bundesweit vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen wird seit 2002 (damals 56.187) nicht mehr erhoben. Berechnungen und Schätzungen aus verfügbaren Daten gehen von einem jährlichen Korridor von ca. 40.000 bis 50.000 aus. Selbst im Pandemiejahr 2021 wurden Berichten des MDR zufolge allein in Sachsen noch knapp 1.400 Ersatzfreiheitsstrafen vollzogen“, begründet die Linksfraktion ihren Vorstoß im Sächsischen Landtag.

„Viele Menschen waren so im Gefängnis, um ihre Geldstrafe abzusitzen. Insgesamt ordneten die Staatsanwaltschaften dafür 70.044 Tage in Haft an. Nur wegen des Erschleichens von Leistungen nach § 265a Absatz 1 StGB wurden 2021 allein in Sachsen 215 Ersatzfreiheitsstrafen vollzogen.“

Linke kritisiert Ersatzfreiheitsstrafen für marginalisierte Menschen

Aber nur die wenigsten dieser Menschen gegen freiwillig ins Gefängnis, weil sie auferlegte Geldstrafen nicht bezahlen wollen. Meistens trifft es immer wieder dieselbe Bevölkerungsgruppe, stellt die Linksfraktion fest: „Feststellbar ist, dass Armut ein Hauptgrund dafür ist, dass Menschen Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen müssen. Häufig sind die Betroffenen arbeitslose Menschen, Menschen ohne festen Wohnsitz und Menschen, welche als suizidgefährdet gelten oder bei welchen eine Abhängigkeit von legalen und illegalen Drogen besteht.

Die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen in der Praxis vornehmlich für diesen Personenkreis läuft einer Resozialisierung zuwider. Eine kontinuierliche, professionelle soziale Begleitung wäre das nachhaltigere Mittel. Das System der Ersatzfreiheitsstrafen ist zwar so ausgestaltet, dass erst am Ende einer Kette als letztes Mittel die Haft droht. So kann die Vollstreckung unter gewissen Umständen durch die Erbringung unentgeltlicher gemeinnütziger Arbeit theoretisch abgewendet werden.“

Aber gerade Menschen ohne ausreichendes Einkommen können die Mittel zur Verhinderung der Strafverschärfung meist nicht nutzen.

Ersatzfreiheitsstrafen: sinnlos und teuer?

„Wer gegen Gesetze verstößt, muss sich dafür verantworten. Ein zivilisiertes Gemeinwesen darf sich aber nicht darauf beschränken, Fehlverhalten zu bestrafen. Vielmehr müssen wir in unserem eigenen Interesse auch darauf hinwirken, dass die Betroffenen künftig gesetzestreu leben“, erläutert der Vorsitzende und rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Rico Gebhardt, den Vorstoß für diese Gesetzesinitiative.

„Gerade, weil Armut in den meisten Fällen ursächlich für die Begehung von Bagatelldelikten wie Beförderungserschleichung ist, wird dieses Ziel mit Ersatzfreiheitsstrafen komplett verfehlt: Diese ändern schließlich ebenso wie Geldstrafen nichts an der Armut der Betroffenen. Ersatzfreiheitsstrafen helfen nicht dabei, kriminelle Verhaltensweisen zu überwinden. Strafe darf kein Selbstzweck sein – sie muss auch der Resozialisierung, dem Schuldausgleich und der Prävention dienen.“

Die Ersatzfreiheitsstrafen ändern nichts am oft prekären Lebenszustand der Bestraften. Und sie kosten den Freistaat Millionen, da die Unterbringung in Justizvollzugsanstalten ja bezahlt werden muss.

Vorschlag: mehr gemeinnützige Arbeit und Entkriminalisierung

„Mit Ersatzfreiheitsstrafen erreicht unsere Gesellschaft dennoch meist keine Verhaltensänderung“, sagt Rico Gebhardt.

„Deshalb ist es gut, dass die Justizministerin unsere Forderung aufgreift, Ersatzfreiheitsstrafen zu überwinden. Das würde auch die Justizvollzugsanstalten entlasten. Wir schlagen jetzt dem Landtag vor, der Regierung einen solchen Auftrag zu erteilen. Wir müssen künftig verstärkt auf gemeinnützige Arbeit und auch auf die Entkriminalisierung klassischer Bagatelldelikte wie Beförderungserschleichung setzen. Die dafür nötige Trägerlandschaft muss unterstützt und ausgebaut werden.“

Der MDR hatte die entstehenden Kosten im Dezember auf knapp 10 Millionen Euro pro Jahr beziffert: „Das Justizministerium schätzt die Kosten für die vollstreckte Ersatzteilhaft in Sachsen in diesem Jahr basierend auf dem Tagessatz von 140,13 Euro auf insgesamt 9,81 Millionen Euro. Für Schwarzfahrer im Gefängnis zahlte der Freistaat 1,21 Millionen Euro.“

Haftstrafe allein bringt es nicht

Für Gebhardt ist klar: „Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ist für Menschen, die ursprünglich lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, eine drastische Strafschärfung. Ein Aufenthalt im Justizvollzug hat zahlreiche negative Folgen, etwa Stigmatisierung und einen Bruch der sozialen und beruflichen Bindungen.

Der Aufenthalt im Vollzug verschlimmert dadurch zumeist die Probleme der Betroffenen. Wird stattdessen gemeinnützige Arbeit geleistet, ergeben sich kriminalpädagogische Ansatzpunkte. Wenn Betroffene persönliche Lebenskrisen wie Suchtprobleme oder Verschuldung überwinden können, werden sie mit höherer Wahrscheinlichkeit künftig rechtstreu leben als nach dem Verbüßen einer bloßen Haftstrafe.“

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Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, egal, ob arm oder reich.
Natürlich ist es richtig, in bestimmten Intervallen zu prüfen, ob bestimmte Strafen noch angemessen ist. Aber ganz ohne Strafe geht es nicht.

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