Stellen Sie sich vor, Sie leiten eine Malerfirma. Sie haben diese Firma vor rund 30 Jahren gegründet, Sie haben Lehrlinge ausgebildet – unter anderem auch ihren Sohn, der seit mehr als zehn Jahren ebenfalls in Ihrem Betrieb arbeitet. Er soll die Firma übernehmen, wenn Sie sich in den Ruhestand setzen wollen, Zeit dafür wäre es. Nicht nur das Alter, auch die jahrelange körperliche Anstrengung machen sich bemerkbar. Doch es fällt Ihnen schwer, das „Zepter“ abzugeben.

Nicht nur, weil Loslassen nach so vielen Jahren eben kein leichtes Unterfangen ist, sondern auch, weil Sie sich Sorgen machen um die Zukunft Ihrer Firma. Denn bisher laufen alle Bemühungen, geeignete Mitarbeitende als Zuwachs für das Team zu finden, ins Leere. Wo sind die angehenden Maler*innen, Stuckateur*innen, Lackierer*innen?

Vor einigen Wochen sprach ich einen guten Freund, besagten Sohn, auf das Thema Fachkräftemangel an. Ein großes Problem bestätigte er mir. So wie die Firma seines Vaters derzeit dastünde, sagte er, ginge es vielen Handwerksbetrieben. Nicht umsonst sieht man im Stadtbild immer mehr Fahrzeuge, die neben dem Firmennamen und -logo auch den Slogan „Bewirb‘ dich jetzt bei uns!“ spazieren fahren. Dennoch: Es ist eine subjektive Einschätzung meines Freundes, ein Erfahrungsbericht.

„Eines der großen Problemkinder“

Fakt ist, dass der Mangel an qualifiziertem Personal schon längst eine Aufgabe ist, der sich auch die Bundesregierung mit zunehmender Kraftanstrengung annimmt. „Neben all den anderen Herausforderungen, die uns und dieses Land gerade drücken – hohe Energiepreise, poröse Lieferketten, blockierte Absatzmärkte – ist der strukturelle Wandel der Arbeitswelt und die fehlenden Fachkräfte eines der großen Problemkinder der Politik für einen wirtschaftlichen Aufschwung und für Wohlstand und Wachstum in Deutschland.“ Worte, die Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90 / Die Grünen) verlauten lässt im Zusammenhang mit der Kampagne des Wirtschaftsministeriums zur aktiven Gewinnung von Fachkräften.

Auch in der Leipziger Stadtverwaltung sieht man den Mangel an qualifiziertem Personal als ein Problem mit weitreichenden Folgen: „Eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung Leipzigs hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Die Gewinnung und Sicherung von Fachkräften ist dabei eine der drängendsten Aufgaben für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“, lautet der erste Satz im Handlungskonzept der Fachkräfteallianz Leipzig, unter sich neben weiteren Akteur*innen die Arbeitsagentur, das Jobcenter, der Deutsche Gewerkschaftsbund, das Sächsische Bildungsministerium und die Uni Leipzig sowie die Industrie- und Handelskammer und die Handwerkskammer Leipzig versammeln.

Letztere bestätigt mir auf Anfrage die Erzählung meines Bekannten. „Fehlendes Personal ist schon seit geraumer Zeit Realität in vielen Betrieben“, heißt es von der HWK. „Der Fachkräftebedarf in den Handwerksunternehmen ist hoch und Fachkräfte werden in (fast) allen Handwerksbranchen gesucht.“ Denn sie sind essenzieller Bestandteil im Kampf gegen den Klimawandel.

„Um Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende, energetische Gebäudesanierung sowie klimaeffizienten Wohnungsbau, SmartHome und E-Health umzusetzen, sind qualifizierte Fachkräfte Voraussetzung“, betont die Kammer. „Wachstum und damit die wirtschaftliche Stärke der Unternehmen […] schwierig, wenn Fachkräfte fehlen.“

Besonders deutlich werde das bei der Frage der Unternehmensfolge. Wie schon oben benannt, wie der Vater meines Bekannten suchen viele Betriebe nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger, in deren/ dessen Hände die Geschicke des Unternehmens gelegt werden können. Laut Handwerkskammer betrifft das in Leipzig etwa 2.000 Unternehmen in den nächsten fünf Jahren.

Wieso, weshalb, warum?

Wo liegen die Gründe für die verzwickte Situation? Auf diese Frage gibt es natürlich keine eindeutige Antwort. Die Hauptursache sieht die Kammer aber im demografischen Wandel. Personen, die in den starken Geburtenjahrgängen der 50er und 60er Jahre auf die Welt kamen, treten langsam, aber sicher den wohlverdienten Ruhestand an. Auch werden die Menschen älter.

epaper Nr. 117, Titelbild. Foto: LZ
Cover Leipziger Zeitung Nr. 117, VÖ 29.09.2023. Foto: LZ

„Die Alterung verstärkt als Teil des demografischen Wandels die Engpässe im Fachkräftebereich. Laut aktuellen Vorausberechnungen wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, also Personen zwischen 20 und unter 65 Jahren, bereits im Jahr 2030 um 3,9 Millionen auf einen Bestand von 45,9 Millionen Menschen sinken“, stellt das Bundeswirtschaftsministerium in Aussicht.

Neben dem Wandel der Bevölkerung sieht die Leipziger Handwerkskammer auch das in den letzten Jahrzehnten eher schlechte „Image“ des Handwerks als einen Faktor an, der zum aktuellen Personalmangel führte. So gab es den „langanhaltenden [Trend] zu einer Studierneigung von Jugendlichen, die gesellschaftlich lange Zeit gefördert wurde.“ Der notwendige Paradigmenwechsel müsse nun vor allem die Gleichwertigkeit von dualer und akademischer Ausbildung anerkennen – sowohl ideell als auch finanziell.

Was tun?

Die Anerkennung sei ein Baustein, die Ausbildung des eigenen Fachkräftenachwuchses aber „die wichtigste Strategie im Handwerk.“ Die Bereitschaft, den Nachwuchs auszubilden, liege laut HWK in der Handwerksbranche über der in vielen anderen Wirtschaftsbereichen.

„Trotz der großen Verunsicherungen und Belastungen durch Energie- und Baukrise, Inflation und Arbeitskräftemangel setzen die Betriebe auf die Ausbildung des Fachkräftenachwuchses. Die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge ist gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent gestiegen.“ Zur Wahrheit gehört aber auch dazu: Noch vor Corona, im Jahr 2019, waren es satte zehn Prozent mehr gewesen.

Und obwohl das neue Lehrjahr bereits begonnen hat, verzeichnet die Lehrstellenbörse der Handwerkskammer noch immer fast 300 offene Plätze in 47 Berufen. Da Unternehmen aber nicht gezwungen sind, diese Plätze anzugeben, sei es nur eine Momentaufnahme, betont die Kammer. Auch jetzt noch, nach Schuljahresbeginn, könnten Bewerber*innen eine Ausbildung beginnen.

„Sag’ mir, wo die Handerker*innen sind … Wer übernimmt den Handwerksbetrieb?“ erschien erstmals zum thematischen Schwerpunkt „Mangel“ im am 29.09.2023 fertiggestellten ePaper LZ 117 der LEIPZIGER ZEITUNG.

Sie wollen zukünftig einmal im Monat unser neues ePaper erhalten? Hier können Sie es buchen.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar