Eigentlich ist alles gesagt. Die sächsische Landesregierung hat weder eine nachvollziehbare Wirtschaftsstrategie noch eine irgendwie konturierte Energiepolitik. Und sie hat in den letzten Monaten genauso couragiert falsche Entscheidungen getroffen wie die brandenburgische Landesregierung. Parteifarben ändern daran nichts. Beim Thema Arbeitsplätze lassen sich beide Regierungen am Ring durch die Manege führen. Die Entwicklung in Schweden erwischte beide auf dem falschen Fuß.

Und nun setzten sich die beiden überraschten Ministerpräsidenten – der eine CDU, der andere SPD – hin und schrieben einen Brief an die schwedische Regierung.

“Angesichts der in Schweden laufenden Diskussion über die Neuausrichtung des Staatsunternehmens Vattenfall haben die Ministerpräsidenten Sachsens und Brandenburgs, Stanislaw Tillich und Dietmar Woidke, auf die existenzielle Bedeutung des Braunkohlebergbaus und die besondere Situation in der Lausitz hingewiesen. Tillich und Woidke wollen dazu mit der schwedischen Regierung Gespräche führen”, teilt die sächsische Staatskanzlei dazu mit.

In einem Brief beider Regierungschefs an den neuen schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven heißt es: “In dieser strukturschwachen Region sind rund 30.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Braunkohleabbau und der Braunkohleverstromung abhängig. Mit den bisherigen und noch geplanten erheblichen Investitionen bietet die Braunkohle insbesondere jungen Menschen eine Perspektive und verhindert ihre Abwanderung aus der Region.”

Und dann wird Honig verteilt. Die Staatskanzlei dazu: “Vattenfall habe mit seinen hohen Investitionen dafür gesorgt, dass die ostdeutschen Braunkohlekraftwerke weltweit nicht nur zu den modernsten und effizientesten zählten, sondern auch die erhöhten Anforderungen eines flexiblen Betriebs im Zusammenspiel mit den erneuerbaren Energien erfolgreich meistern könnten. – Die Ministerpräsidenten verweisen darauf, dass sich Deutschland für den Atomausstieg als energiepolitische Zielsetzung entschieden habe. Gleichzeitig sei Deutschland eng in die klimapolitischen Rahmenbedingungen der EU eingebunden und habe sich selbst anspruchsvolle CO2-Minderungsziele gesetzt.”

Nur Sachsen eben nicht. Ohne Kohleausstieg bis 2030 werden die Klimaziele in Deutschland verfehlt.

“Diese großen Herausforderungen können nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Sicherheit der Energieversorgung nicht gefährdet wird. Insbesondere im ehemaligen ostdeutschen Netzgebiet kommt daher der Braunkohleverstromung eine besondere netzstabilisierende Rolle zu”, finden die beiden Ministerpräsidenten. Sie werde als Brückentechnologie bis zu einer hundertprozentigen CO2-freien Stromversorgung noch lange erforderlich sein.

Eine Haltung, die augenscheinlich die neue schwedische Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen nicht teilt. Sie will die Braunkohle-Expansionspläne von Vattenfall in Deutschland stoppen. Und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) plant, rasch 10.000 Megawatt überschüssiger Kohlekraftwerkskapazitäten vom Netz zu nehmen.

“In diesen Tagen erinnern wir uns gern an Gorbatschows weisen Satz aus den Oktobertagen des Jahres 1989: ‘Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben'”, kommentiert der energiepolitische Sprecher der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Gerd Lippold den Brief. “Das heißt nichts anderes als veränderte Realitäten erzwingen verändertes Handeln. Wer das nicht wahr haben will und stattdessen versucht, sich die veränderten Realitäten zurechtzubiegen, wird umso gründlicher scheitern.”

Womit das Problem derzeitiger sächsischer Politik in den Fokus rückt: Sie weist keine belastbaren Zukunftsperspektiven auf. In der Regel ist sie reine Bestandswahrung – bei Kohleverstromung genauso wie bei der industriellen Landwirtschaft, in vielen Teilen aber sogar schon panischer Rückzug, wenn man an die Hochschulpolitik denkt. Damit wird die eigentliche Zukunft des Landes systematisch verspielt.

“Die veränderten Realitäten in der Energie- und Klimapolitik des Jahres 2014 bedeuten: das Kohlezeitalter geht auch in Sachsen und Brandenburg zu Ende”, erklärt Lippold. “Dennoch beschränkt sich das Nachdenken über neue Strategien für eine zukunftsfähige sächsische Energiepolitik derzeit in der Staatsregierung allein darauf, wie man die Veränderung vermeiden kann. – “Der Brief der Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) und Dietmar Woidke (SPD) an den neuen schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven ist eine Demonstration dieses Geistes. Anstatt die zukunftsgerichteten Ziele der neuen schwedischen Regierung hier in Deutschland willkommen zu heißen und Vattenfall politische Unterstützung beim Umsteuern seines Geschäftsbetriebes auch in der Lausitz zu versichern, klammert man sich an die Vergangenheit. Mit dieser rückwärtsgewandten Haltung sichert man auf Dauer in der Lausitz weder Arbeitsplätze noch Infrastrukturfinanzierung. Mit dieser Haltung steigt das Risiko, dass ein Abschied Vattenfalls von der Kohle auch ein Abschied von der Lausitz wird.”

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