Einige Akteure in der mitteldeutschen Kohlewirtschaft wissen seit Donnerstag, 2. Juli, dass Kompromisse, um die man monatelang gerungen hat und die wie ein Sieg aussehen, richtig weh tun können. Und neue Unsicherheiten schaffen, auch wenn Sachsens CDU-Fraktion am Donnerstag noch felsenfest davon überzeugt war, dass für Sachsens Kohleunternehmen wieder alles hübsch in Ordnung wäre.

Da werden auch noch viele Redner aufstehen und den Sieg über die Gabrielsche “Klimaabgabe” feiern. Aber es ist wie so oft in den letzten Jahren: Wenn Koalitionen schon fünf Stunden lang in der Nacht (vom Mittwoch zum Donnerstag) verhandeln, dann geht es im Grunde nur um die Frage: Wer bezahlt eigentlich?

In den letzten Jahren war die Antwort immer deutlich: der Stromkunde.

Und wer genau aufgepasst hat, hat mitgekriegt, dass die Antwort am Donnerstagmorgen ebenfalls so war: Der Stromkunde zahlt.

Da passte schon ganz gut, dass die Spitze der sächsischen CDU-Fraktion am Donnerstag, 2. Juli, den Tagebau Schleenhain und den Zwenkauer See besuchten. Sie haben den Braunkohletagebau Schleenhain und die Renaturierungsflächen am Zwenkauer See im Leipziger Land besichtigt. Nur wenige Stunden nachdem sich der Koalitionsausschuss der Bundesregierung dafür entschieden hat, die Pläne zur Abgabe auf Kohlenstoffdioxid-Emissionen bei älteren Kohlekraftwerken zurückzunehmen, haben sich die Vertreter der sächsischen CDU-Landtagsfraktion vor Ort ein Bild über den Braunkohletagebau und die Fortschritte bei der Rekultivierung stillgelegter Tagebaue im Mitteldeutschen Revier gemacht.

CDU-Fraktionsspitze besucht Tagebau

„Mit großer Erleichterung habe ich die Entscheidung des Koalitionsausschusses in Berlin in der vergangenen Nacht zur Kenntnis genommen, dass es nun doch keine Klimaabgabe für die Kraftwerksbetreiber in Deutschland geben soll, wie sie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zunächst geplant hatte“, erklärte dazu der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Frank Kupfer, bei einem Treffen mit dem Geschäftsführer der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft mbH (MIBRAG), Joachim Geisler, und weiteren Mitarbeitern des Tagebaus Schleenhain in Groitzsch.

Entweder hatte sich die MIBRAG-Geschäftsführung noch nicht wirklich mit dem Kompromiss beschäftigt. Oder man verkniff sich lieber jeden Kommentar zum Inhalt. Selbst auf der eigenen Website gab sich das Unternehmen am Donnerstag zufrieden. MIBRAG-Chef Dr. Joachim Geisler wird zitiert mit den Worten: „Wir begrüßen, dass der Klimabeitrag nun ausgeräumt ist und ein Kompromiss gefunden wurde. Wie sich dieser auf MIBRAG und die Unternehmensentwicklung auswirkt, können wir erst bewerten, wenn wir das Gesamtpaket genau kennen. Festzustellen bleibt, wenn sich das Unternehmen weiter wirtschaftlich entwickeln und investieren kann, nutzt das auch der regionalen Entwicklung.”

Vielleicht wollte man die besorgten Christdemokraten auch nicht verunsichern, die so sicher sind, dass Sachsen nun ungeschoren davon kommt. Aber Frank Kupfer hat zumindest mitbekommen, dass die Stromkunden jetzt für den Kompromiss bezahlen müssen.

Frank Kupfer: “Ich freue mich, dass der Widerstand aus Sachsen und anderen betroffenen Bundesländern, an dem unsere Fraktion maßgeblich beteiligt war, zum Erfolg geführt hat. Ich danke ausdrücklich Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, dass sie in dieser Frage vermittelt und die Interessen der Union durchgesetzt hat. Die neue Paketlösung des Bundes zur Energiepolitik sichert tausende Arbeitsplätze sowie die Infrastruktur in den sächsischen Braunkohlerevieren um Leipzig und der Lausitz. Gleichzeitig kann Deutschland seine Klimaschutzziele einhalten. Da dafür bis zum Jahr 2020 sieben bis acht Kraftwerksblöcke mit einer Gesamtleistung von 2,7 Gigawatt endgültig stillgelegt werden sollen, muss es nun darum gehen, die Standorte in Sachsen zu sichern. Sowohl die Kraftwerke Boxberg in der Lausitz als auch Lippendorf bei Leipzig sind modernste Anlagen, in die der Betreiber Vattenfall bereits viel in die Filteranlagen investiert hat. Die für die Versorgungssicherheit ebenfalls beschlossene Bereithaltung von Reservekraftwerken wird den Stromkunden in jedem Fall Geld kosten. Ich appelliere an die Energieanbieter, diese Kostensteigerung moderat zu gestalten und die Umlagen breit zu verteilen. Eine Klimaabgabe wäre für die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen aber noch teurer geworden.”

Und auch der Wahlkreisabgeordnete aus Borna, Georg-Ludwig von Breitenbuch, gab sich zuversichtlich: “Für den Süden von Leipzig ist die Mibrag mit dem Tagebau ‘Vereinigtes Schleenhain’ und dem Kraftwerk Lippendorf der wichtigste Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler. Es ist wichtig, dass die Menschen und die Kommunen in dieser Region eine langfristige Perspektive haben. Deswegen werden wir uns weiterhin für die Nutzung der Braunkohle in Sachsen einsetzen, wie wir es in unserem Positionspapier zur Energiepolitik vor zwei Wochen beschlossen haben.“

2,7 Gigawatt sind viel zu wenig

Aber so langsam dürfte sich herumsprechen, dass eben doch Kraftwerke mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt stillgelegt werden. Und eine Investition der MIBRAG löst sich damit wahrscheinlich in Luft auf.

Diskutiert wurde von der Bundesregierung nämlich ein Kompromissmodell, in dem Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen (zusammen 1.300 MW),  Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg in eine Kapazitätsreserve versetzt werden und später komplett außer Betrieb gehen. Kapazitätsreserve heißt: Die Kraftwerke werden tatsächlich abgeschaltet, fahren also auch keine Grundlast mehr, sind nur noch da, um eventuell im Extremfall mal wieder hochgefahren zu werden. Was ganz bestimmt nicht passieren wird, denn mittlerweile schätzen selbst die Kraftwerksbetreiber ein, dass sogar 8 Gigawatt abgeschaltet werden könnten, ohne die Stromversorgung zu gefährden.

In Brandenburg sind zwei Blöcke von Vattenfall in Jänschwalde mit zusammen 1.000 MW betroffen. Sachsen wäre nicht betroffen, obwohl die Blöcke P und N älter sind als die betroffenen Blöcke in Jänschwalde. In Sachsen-Anhalt trifft es das MIBRAG-Altkraftwerk Deuben (86 MW) und in Niedersachsen ist das MIBRAG-Kraftwerk Buschhaus (392 MW) betroffen, das die MIBRAG gerade erst gekauft hat, möglicherweise mit der Absicht, das Kraftwerk künftig mit Braunkohle aus Mitteldeutschland zu befeuern.

Für die Mibrag ist es ein Rückschlag

Dr. Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag, kommentiert das mit den Worten: “Die beiden Mibrag-Schließungen dürften die Erweiterungspläne des Unternehmens in Mitteldeutschland erheblich erschweren.”

Und er weist auch darauf hin, dass der Kompromiss nicht mehr war als ein Kuhhandel, bei dem die Kraftwerksbetreiber finanziell so weit wie möglich verschont werden sollten. Und wenn ihre Kraftwerke nun in eine “Kraftwerksreserve” verschoben werden, muss natürlich irgendjemand die Kosten für diese Bereithaltung bezahlen. Und da die “Klima-Abgabe” für die Kraftwerksbetreiber nun vom Tisch ist, bleibt nur einer übrig, der die Rechnung mit einem steigenden Preis bekommt: der Stromkunde.

“Das vorgestellte Kompromissmodell ist eine teure Placebo-Pille”, sagt deshalb Dr. Gerd Lippold. “Damit wird weder der Strommarkt geheilt noch dem Klima geholfen.”

Außerdem sind 2,7 Gigawatt schlicht zu wenig. Selbst Gabriel war in seinem Papier zur “Klima-Abgabe” von 4 Gigawatt im ersten Schritt ausgegangen. Mit der “Klima-Abgabe” wollte er vor allem die ineffizientesten Meiler so schnell wie möglich vom Netz bekommen. Nun sind aber ausgerechnet die beiden ältesten sächsischen Meiler nicht dabei. Und die jetzt schon existierenden Überkapazitäten sind nicht wirklich abgebaut. Die tatsächlichen Unsicherheiten für die Energiekonzerne bleiben.

Jetzt ist höchstens bis 2018 etwas Ruhe in der Diskussion

“Deshalb werden wir diese Diskussion spätestens 2018 nach der nächsten Bundestagswahl erneut auf dem Tisch haben. Und die Bürgerinnen und Bürger werden dann zum zweiten Mal dafür zahlen, die heute bereits bekannten Ziele auch wirklich zu erreichen”, sagt Lippold dazu. “Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und sein Vize Martin Dulig (SPD) sollten sich nicht zu früh freuen: Der verkündete Kompromiss ist genau das Gegenteil von Planungssicherheit für Betreiber und Investoren in der Kohlewirtschaft.  Die Klimaschutzziele bestehen weiter. Der nun verkündete Kompromiss enthält kein Instrument, mit dem sie auch erreicht werden können. Die Entscheidung über wirksame Klimaschutzinstrumente steht somit noch bevor. Unberechenbarkeit ist jedoch Gift für Investitionsentscheidungen in langfristig agierenden Unternehmen. Und sie ist das Gegenteil von dem, was die betroffenen Menschen in der Lausitz und im Leipziger Südraum brauchen.”

Auch Vattenfall, das so oft das Wort “Planungssicherheit” in den Ring geworfen hat, bekommt also nicht, was es wollte. Der Kompromiss mindert nur kurzfristig den Druck, vielleicht sogar nur für wenige Wochen. Lippold: “Wer sich freut, dass die Einsparung von zusätzlichen 22 Millionen Tonnen CO2 bis zum Jahr 2020 für den Moment an der Braunkohle in Sachsen vorbei gegangen ist, der sollte sich verdeutlichen, dass bis zum Jahr 2030 200 Millionen Tonnen CO2 einzusparen sind.”

Umbau der sächsischen Energiewirtschaft ausgebremst

Von der Klimaschutzabgabe wären hingegen die beiden ältesten Blöcke im Kraftwerk Boxberg betroffen gewesen. Und zumindest die Grünen haben mal ausgerechnet, wer jetzt für den Kompromiss tiefer in die Börse greifen muss: “Laut vorliegenden Modellrechnungen kämen im Vergleich zur Klimaschutzabgabe neben höheren Stromrechnungen für Privathaushalte auch zusätzliche Umweltbelastungen auf die Menschen im Freistaat zu. 20 bis 40 Millionen Tonnen CO2 würde mehr ausgestoßen, dazu kämen 350 bis 700 Kilogramm Quecksilber und bis zu 1.000 Tonnen Feinstaub.”

Gegen diese Umweltentlastung hat die sächsische Regierung mit allen Bandagen gekämpft. Und dass die Bundesregierung mit ihrem Kompromiss auch die eigenen Klimaziele wieder aufweicht, ist für die Grünen schon erschreckend: “In internationalen Verträgen hat sich Deutschland zur Senkung seines Treibhausgas-Ausstoßes verpflichtet: bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990, bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990, bis zum Jahr 2040 um 70 Prozent gegenüber 1990. Das 40-Prozent-Ziel bis zum Jahr 2020 wurde im Jahr 2007 von der großen Koalition beschlossen, im Jahr 2010 von der CDU/CSU/FDP-Regierung bekräftigt und 2014 von der großen Koalition erneuert.”

Aber das ist vielleicht nicht einmal das Entscheidende. Denn viel wirkungsvoller ist der Marktpreis für Strom, der bei diesem kleingeschnürten Paket natürlich nicht wirklich steigen wird, womit die Rentabilität der Kraftwerke weiter unter Druck steht und immer mehr unter Druck kommt, je mehr Windparks und Photovoltaik-Anlagen ans Netz gehen.

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