Je mehr Strom aus Erneuerbaren Energien in die Netze eingespeist wird, umso öfter müssen die Netzbetreiber eingreifen, um in Überlastzeiten ganze Energieanlagen vom Netz zu nehmen. Deswegen ist die Entwicklung, die die Mitnetz Strom für 2015 zeichnet, nicht überraschend. Aber durchaus beeindruckend: 534 Mal musste die Mitnetz Strom 2015 eingreifen.

Logisch, dass das “so häufig wie noch nie” war. Die Entwicklung ist ja gerade erst so richtig angelaufen. Die in den letzten 15 Jahren installierten Erzeugeranlagen haben so langsam eine Kapazität erreicht, die ein Umdenken in der Stromversorgung zwingend macht. Und so nebenbei – auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen – die alten Kohlemeiler aus dem Rennen schmeißen sollte. Denn wenn so eine Anlage erst mal steht – egal, ob Windrad oder Solaranlage – braucht sie keinen Treibstoff mehr, keine Kohle, kein Erdgas, kein Öl. Nur regelmäßige Wartung. Aber das brauchen die alten Verbrennungsanlagen auch. Das heißt: Sie produzieren den Strom quasi zum Nulltarif. Und je mehr Sonnenstunden das Land hat oder je tüchtiger der Wind bläst, umso mehr Strom wird erzeugt. Und immer häufiger wird zu viel Strom erzeugt.

Dann greifen Versorger wie die Mitnetz Strom (die in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt tätig ist) mit einem Netzsicherheitsmanagement in das Stromnetz ein, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Und wer sich erinnert: 2015 war ein sonniges und windreiches Jahr. Am Jahresanfang sorgten ein paar Sturmtiefs dafür, dass mehrfach etliche Windparks vom Netz genommen werden mussten. Meistens trifft es eben Windparks. Sie sind am einfachsten aus dem Netz zu nehmen, anders als schwerfällige Kohlekraftwerke.

Der enviaM-Netzbetreiber reduzierte die Stromerzeugung der Einspeiser im Jahr 2015 insgesamt 534 Mal, um eine Überlastung des Netzes zu vermeiden. Im Vorjahr waren es 188 Eingriffe gewesen (2013 noch 159 Mal – man merkt, dass 2015 eine wichtige Schwelle überschritten wurde). Am häufigsten waren die Netzregionen Brandenburg (344 Eingriffe) und Sachsen-Anhalt (148 Eingriffe) betroffen, was natürlich mit der Konzentration von Windparks zu tun hat. Brandenburg ist im Osten der absolute Vorreiter in Sachen Windkraft, während Sachsen seit über sechs Jahren den Windkraft-Ausbau rigoros gebremst hat. Wo nicht so viel Kapazität im Wind steht, muss auch nicht so oft eingegriffen werden.

16 Prozent der Netzeingriffe gehen dann noch auf die Anforderungen des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz zurück.

Im Ergebnis der Netzeingriffe wurden 2015 im Netzgebiet der Mitnetz Strom insgesamt rund 175 Gigawattstunden eingespeister Energie aus Erneuerbaren Energien abgeregelt, rechnet das Unternehmen vor. Dies entspricht durchschnittlich nur 1,4 Prozent der insgesamt aus Erneuerbaren Energien eingespeisten Energie. Die Anteile in Brandenburg betrugen rund 3,4 Prozent und in Sachsen-Anhalt rund 0,9 Prozent.

Einordnen kann man die Zahlen, wenn man weiß, dass mittlerweile über 30 Prozent des Stroms in der Bundesrepublik aus Erneuerbaren Energien stammt.

“Die Energiewende findet im Verteilnetz statt, in dem 98 Prozent der Einspeiser angeschlossen sind. Wir bauen deshalb unsere Netze seit Jahren kontinuierlich aus. Trotzdem sind wir gezwungen, die Stromerzeugung auch aus Erneuerbaren Energien immer öfter herunterzufahren, um Netzengpässe zu vermeiden“, sagt Adolf Schweer, Technischer Geschäftsführer der Mitnetz Strom.

Das Netz muss also den neuen, sehr flexiblen Bedingungen angepasst werden. Dazu verstärkt oder erneuert die Mitnetz Schaltanlagen und Leitungen, mit denen die Energie aus den Engpassgebieten abtransportiert wird.

Ein Schwerpunkt ist beispielsweise der Raum Jessen. Das Unternehmen ersetzt dort die Hochspannungsleitung in Richtung Elster und schließt den Bau der Hochspannungsschaltanlage für das neue Umspannwerk Jessen/Nord ab. Mit Inbetriebnahme dieser Anlage steht ein weiterer Verknüpfungspunkt zum Höchstspannungsnetz zur Verfügung, um den aus erneuerbaren Energieanlagen erzeugten Strom abzuführen.

Weitere Arbeiten an Leitungen finden in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen statt.

“In die Überarbeitung des Energiewirtschaftsgesetzes wird voraussichtlich in Kürze die Spitzenkappung von Einspeisungen einfließen, so dass maximal drei Prozent der Jahresenergie abgeregelt werden kann. Dann braucht das Netz nicht für die maximale Einspeiseleistung ausgelegt werden”, meint Schweer. “Dies begrüßen wir. Unsere Netzausbaumaßnahmen werden jedoch kurzfristig kaum geringer ausfallen. Das liegt an dem Nachholbedarf und dem weiterhin starken Zuwachs der Erneuerbaren Energien, mit dem der Netzausbau nicht Schritt halten kann. Langfristig wird die Spitzenkappung den erforderlichen Netzausbaubedarf reduzieren. In einzelnen Fällen erfolgt dies schon.”

Wobei Spitzenkappung eben nicht heißt, dass dauerhaft übers Jahr 3 Prozent der mit erneuerbaren Anlagen erzeugten Energie eben nicht eingespeist werden, sondern dass eben in Erzeugerspitzen bis zu 30 Prozent der Leistung vom Netz gehen. Wenn es also stürmt wie im Herbst bei Sturmtief Iwan. Mit den 3 Prozent hat die Mitnetz Strom verglichen mit den 1,4 Prozent im Jahr 2015 noch einmal Spielraum gewonnen. Aber das ganze Gefüge verschiebt sich natürlich weiter, je mehr neue alternative Anlagen ans Netz gehen. Und nicht  eingespeister Strom ist natürlich irgendwo auch sinnlos. Aber es fehlen schlicht noch immer die großen Stromspeicher, die diese “überflüssige” Energie aufnehmen können, um sie in erzeugerschwachen Zeiten wieder einzuspeisen.

Hintergrund zum Netzsicherheitsmanagement:

Im Rahmen des Netzsicherheitsmanagements ist es Netzbetreibern gestattet, die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien herunterzufahren, wenn eine Überlastung des Stromnetzes droht. Grundlage bildet das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Bei der Mitnetz Strom erfolgt die Drosselung der Anlagen zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien per Funksignal über die zentrale Schaltleitung in Taucha bei Leipzig. Die Anlagenbetreiber erhalten vom Netzbetreiber für die Verringerung der Einspeiseleistung bei Vorliegen eines Netzengpasses eine Entschädigung als Ausgleich für die nicht eingespeiste Energie.

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