Leben wir in einer seltsamen Zeit? Mit seltsamen Menschen? Sieht ganz so aus. Man nehme ein paar Wölfe, ein paar Agrarminister, die zwar Traktor fahren können, von Biodiversität aber keine Ahnung haben, und heraus kommt eine wilde Wolfsjagd. Nicht nur in Sachsen. Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hat sich auch schon eingemischt und nachgedacht, mit welcher hübschen Begründung man Wölfe schießen dürfte.

Unter anderem fand er in seiner Weisheit: Die Bestände müssten ja reguliert werden. Denn: Dem Wolf fehlen in deutschen Landen die natürlichen Feinde.

Da muss man erst einmal drauf kommen. Und kommt ins Überlegen. Welche natürlichen Feinde sollten das sein bei einem Raubtier, das in den meisten Gegenden, in denen es vorkommt, an der Spitze der Nahrungskette steht. Normalerweise kommt das im Biologieunterricht sechste Klasse vor. Oder schon früher. Da lernen Kinder etwas über Nahrungsketten. Vielleicht nur nicht das hübsche Wort, das Wissenschaftler für die Raubtiere an der Spitze der Pyramide gefunden haben: Spitzenprädator. In wärmeren Gegenden sind das Löwen, Tiger oder Leoparden.

In Mitteleuropa war es der Wolf. Bis ihn der Superprädator, der überall auf der Erde an der Spitze der Nahrungskette steht, ausgerottet hat: der Mensch. Seit 1904 war der Wolf praktisch ausgerottet in hiesigen Breiten.

Da merkten dann auch ein paar Bauern, dass irgendetwas schieflief – das Wild in den Wäldern und Feldern vermehrte sich ungebremst. Und die Jäger kamen mit Schießen nicht hinterher. Es hat immer Auswirkungen, wenn man Elemente aus der Nahrungskette entfernt. Der Wolf steht nicht nur deshalb unter Schutz, weil er vom Aussterben bedroht war. Zumindest in Europa und den USA, wo er immer als Konkurrent für die zunehmend intensivierte Landwirtschaft begriffen wurde. „Platz da“, hieß die Devise.

Von einer wirklich schonend behandelten Natur sind wir weit entfernt. Auch in Sachsen wird ja intensiv über kleine Paragraphen diskutiert, mit denen man das Abschießen der seit 2004 wieder auftauchenden Wölfe genehmigen könnte. CDU und SPD im Sächsischen Landtag haben dazu einen Antrag geschrieben, in dem es unter Punkt Nr. 5 heißt: Die Regierung möge darlegen, „unter welchen rechtlichen Voraussetzungen es möglich ist und wann zwingend geboten, dass die Entnahme verhaltensauffälliger Wölfe erfolgen kann bzw. muss.“

Man merkt: Die Jäger in der Lausitz, von denen einige schon mal vorsorglich ein paar ihnen auffällige Wölfe erlegt haben, machen Druck. Mit Wölfen kann man Angst machen. Die meisten Leute über 60 kennen noch die alten Grimmschen Märchen.

Die Regierung wird sich schwertun, eine solche Definition zu finden. Denn wann ist ein Wolf „verhaltensauffällig“? Wenn er Schafe reißt? Das ist seine Natur. Erst recht, wenn es um Rehe, Wildschweine oder andere Wildtiere geht. Über die sich sächsische Waldbesitzer ja auch beklagen: Es gibt derer zu viele – sie schädigen die Wälder. Ihr natürlicher Feind fehlt einfach. Das ist nun einmal der Wolf.

Also: Was denn nun?

Vielleicht doch mal ein Wolfsmanagement, das Ahnung von den Tieren hat und weiß, wie sie in ihren natürlichen Zusammenhängen „funktionieren“, um mal so ein Wort zu verwenden. Denn in der ganzen Diskussion wird der Wolf immer noch vermenschlicht, werden ihm Absichten unterstellt. Und es wird völlig ignoriert, dass auch und gerade Raubtiere sich in ihren Nahrungssystemen selbst regulieren.

So, wie es Wolfram Günther erläutert, agrarpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag. Den Ausfall von Bundesagrarminister Christian Schmidt zur „beschränkten Abschussfreigabe“ für Wölfe fand er völlig daneben. Hat der Bundesminister keine fachliche Beratung mehr in seinem Haus? Irgendeine wissenschaftliche Abteilung, die weiß, wie sich natürliche Gleichgewichte wieder einpegeln, wenn der Mensch endlich aufhört, alles zu eliminieren, was ihm nicht passt?

„Wir Grünen schätzen die Rückkehr der Wölfe als Wiederherstellung natürlicher Verhältnisse ein, die neben allen Anpassungsschwierigkeiten insgesamt als Gewinn zu betrachten ist. Der Erhalt der Weidewirtschaft ist uns – auch ganz unabhängig vom Wolf – ein großes Anliegen, sowohl im Hinblick auf den Erhalt unserer Kulturlandschaft, den Artenerhalt im Offenland und die Entwicklung im ländlichen Raum insgesamt“, sagt Günther. Und erklärt dann mal kurz, was da eigentlich in sächsischen Landschaften passiert: „Bezüglich der Bestandsregulierung, also des Abschusses, den der Bundesagrarminister fordert, sind wir anderer Meinung. Uns geht es allein darum, das Zusammenleben von Wolf, Mensch und Weidetieren in einen verträglichen Ausgleich zu bringen. Wie sich auch in Sachsen bereits bestätigt, sind dabei gerade reviertreue stabile Wolfsfamilien, neben den Präventionsmaßnahmen der sicherste Schutz vor Übergriffen. Diese Wölfe haben in den meisten Fällen bereits gelernt, dass die Weidetiere geschützt sind und dadurch keine leichte Beute darstellen und geben diese Erfahrungen an den Nachwuchs weiter. Werden die erwachsenen Wölfe geschossen und die Reviergrenzen des Rudels nicht mehr verteidigt, können mehr und fremde Wölfe in das Gebiet eindringen und werden damit größeren Schaden verursachen.“

Denn Wölfe sind (so wie ihre Abkömmlinge, die Haushunde, auch) Tiere, die ein ausgeprägtes Revierverhalten haben. Sie vermehren sich nicht einfach wild drauflos, wie es CDU und SPD in ihrem Antrag beschrieben haben: „Dadurch konnte sich in der Mitteleuropäischen Tieflandspopulation, zu der auch der größte Teil der Wölfe in Deutschland gehört, nach letzten Erkenntnissen des BMUB der Wolfsbestand in den letzten 15 Jahren von 3 bekannten Rudeln auf 114 Rudel/Paare (46 Rudel/15 Paare auf deutscher Seite und 43 Rudel/10 Paare auf polnischer Seite) entwickeln. Der Trend wird weiterhin anhalten und bei der derzeitigen Dynamik werden spätestens in zwei Jahren möglicherweise mehr als 125 bestätigte Rudel in der Mitteleuropäischen Tieflandspopulation nachweisbar sein.“

BMUB ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, geführt von der SPD-Ministerin Barbara Hendricks, die Herrn Schmidt gerade mal wieder die Rote Karte gezeigt hat, denn in seinem Landwirtschaftssektor stinkt so einiges zum Himmel – jede Menge Gülle zum Beispiel. Es gibt zwei Ministerien, die völlig konträr denken. Im einen weiß man, dass sich – auch mit Wölfen – ganz von allein stabile natürliche Verhältnisse herstellen.

Und im anderen pflegt man mit Inbrunst das alte, umweltzerstörende Tonnagedenken. Und da stört der Wolf auf einmal. Zwar nicht wirklich, denn für das Reißen von Nutztieren gibt es ausgefeilte Entschädigungssysteme. Aber es ist ein Weltbild, in dem eine sich selbst regulierende Biodiversität keinen Platz hat. Der Wolf ist dafür nur symptomatisch.

Und das ist das Drama unserer Landwirtschaft, die ohne Umweltzerstörung nicht zu funktionieren scheint. Aber das geht nicht dauerhaft gut. Wenn die Agrarministerien in Deutschland nicht umlernen, haben wir mittelfristig ein Problem: nämlich eine Nahrungserwirtschaftung, die ohne große Mengen von Dünger und Pestiziden nicht mehr funktioniert und heute schon höchst störanfällig ist. Der Wolf ist in der Debatte um diese risikoreiche Landwirtschaft ein Ablenkungsmanöver.

Aber das kennt man irgendwie aus der Regierungstruppe in Berlin und in Dresden. Man redet nicht darüber, wie man das natürliche System wieder nachhaltig stabilisiert, sondern malt das Schreckgespenst vom verhaltensauffälligen Wolf an die Wand. Panik als politische Zündgranate.

Eigentlich für Herren in hochbezahlten Ministerämtern schlicht unwürdig. Unzeitgemäß sowieso.

Antrag von CDU und SPD. Drs. 7236

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Wenn man verhaltensauffällige Politiker doch auch mal so leicht “entnehmen” könnte…

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