Es gibt sie noch, die Wirtschaftsförderung der Region Leipzig, die Invest Region Leipzig GmbH (IRL), die eigentlich Working Region Leipzig heißen müsste. Denn sie kümmert sich zentral fast nur noch um Fachkräfte. Die Zeiten, da man riesige Werbeposter in Stuttgart aufhängte, sind zwar vorbei. Aber der zunehmende Fachkräftemangel in einigen Branchen macht Sorgen. Woher nehmen die Leute? Gute Frage.

Und wie das so ist mit solchen Instituten: Man gibt erst mal eine Studie in Auftrag. Erstellt hat sie das Zentrum für Sozialforschung der Uni Halle. Sie wirkt irgendwie seltsam, wie aus der Zeit gefallen. Als wenn man einfach wie in Zeiten der großen Gastarbeiterwerbung losfahren müsste, um mit den Regierungen verschiedener Länder Kontingente auszuhandeln. Von hier bitte hochgebildete Forscher, von dort bitte niedrigqualifizierte Kraftfahrer.

„Der Wettbewerb um Fachkräfte wird für kleine und mittlere Unternehmen in der Region Leipzig zunehmend intensiver“, versucht die IRL zu umschreiben, worum es geht. „Die Invest Region Leipzig GmbH (IRL) ist als hiesige Akquisitionsgesellschaft auch für die Gewinnung von Fachkräften zuständig.“

Die Studie konzentriert sich dabei auf sogenannte Engpassberufe, also das, wo die Unternehmen schon Schwierigkeiten bei der Fachkräftegewinnung melden.

In der Region Leipzig fehlen beispielsweise Fachkräfte in fertigungstechnischen Berufen, in der Unternehmensführung, in IT und Bauplanung, im Verkehrs- und Logistiksektor sowie in naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen.

Und dann wird rundum alles abgeleuchtet – auch die westlichen Bundesländer, was schon verblüfft, wo es dort doch schon wesentlich heftigere Fachkräfteengpässe gibt.

So kommt die Studie zu dem erstaunlichen Befund: „Geeignetes Personal findet sich demnach sowohl in anderen Bundesländern, als auch in ost- und südeuropäischen Ländern. National liegen Bayern, Baden-Württemberg und Hessen vorn. Auf europäischer Ebene sind vor allem in Tschechien, der Slowakei, in Italien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien potentielle Fachkräfte zu finden.“

Dabei stellt die Studie auch fest, dass die Region Leipzig mit dem Lohnniveau der westlichen Bundesländer gar nicht konkurrieren kann: „Im nationalen und internationalen Wettbewerb um Fachkräfte und Wissenschaftler wird die Region Leipzig nicht über das Lohnniveau bestehen können. Vielversprechender erscheinen differenzierte Strategien zur Anwerbung und Bindung wanderungsbereiter qualifizierter Arbeitnehmer.“

Wer diese differenzierten Strategien sucht, findet sie nicht.

Es stehen keine im Papier.

„Doch die Rekrutierung und Bindung von Fachkräften ist aufwendig und vielschichtig. Um Menschen für den Raum Leipzig zu begeistern, bedarf es eines Bündels verschiedenster, aufeinander abgestimmter Maßnahmen, so das zentrale Ergebnis der Studie“, zieht die IRL ihre Schlüsse aus dem Papier. „Dazu zählen beispielsweise die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen, spezifische Weiterbildungen aber auch soziale Faktoren wie eine gelungene Integration und gesellschaftliche Aufstiegschancen.“

Und auch die anderen Ansätze sind allesamt nicht nur einfach – etwa die verstärkte Werbung um Rückkehrer, abgewanderte Ostdeutsche, die im Westen Karrieren gemacht haben und vielleicht sogar auf Geld verzichten würden, um wieder in heimatlichen Regionen zu leben und zu arbeiten.

Und noch erstaunlicher wird es, wenn die Studie das Anwerben von ausländischen Fachkräften benennt, dann aber erstaunt feststellt: „Für die Frage nach der Einwanderung von Fachkräften in die Sozialsysteme konnten weder in der Literatur noch durch das Expertengespräch Anhaltspunkte gefunden werden.“

Dabei reden die Glanzlichter der Politik doch ständig von der (von ihnen nicht gewollten) Einwanderung in die Sozialsysteme. Und dann steht da: Es gibt gar keine Literatur dazu. Es interessiert niemanden wirklich.

Denn wer in Deutschland einen Job aufnimmt, der zahlt ja sofort in diese Sozialsysteme ein.

„Alle Akteure in der Region sind jetzt aufgerufen, auf Grundlage der Studienergebnisse gemeinsame Strategien zu erarbeiten“, meint nun Michael Körner, Geschäftsführer der Invest Region Leipzig GmbH. „Nur zusammen und mit einem Mix unterschiedlichster Maßnahmen können wir die Region Leipzig langfristig als attraktiven Standort etablieren und so neue Fachkräfte rekrutieren, integrieren und binden.“

Ob die Studie dafür eine gute Grundlage ist? Das ist wohl zu bezweifeln, auch wenn sie jetzt sogar Länder wie Italien als möglichen Quellmarkt für Arbeitskräfte in den Fokus rückt. Augenscheinlich hatte bislang niemand die Krisenländer der EU auf dem Radar.

Und es fehlt eine grundständige Strategie, die Region Leipzig für Fachkräftezuwanderung attraktiver zu machen.

Was die Studie völlig verschweigt, ist die Tatsache, dass die Region längst Mittelpunkt massiver Fachkräftezuwanderung ist. Gerade die bundesdeutschen „Quellmärkte“, die als besonders geeignet hervorgehoben werden, sind schon jetzt die Regionen, von denen Leipzig als Umzugsziel und Arbeitsort profitiert.

Und außer den Faktor Geld benennt die Studie kein anderes Kriterium, das dabei eine Rolle spielen könnte. Was schon erstaunt, da doch gerade die Wirtschaftsberichte der Stadt fortwährend von den Pluspunkten Leipzigs als Invest- und Arbeitsort erzählt.

Metropolkerne funktionieren im Grunde von allein, wenn sie die richtigen Signale senden, die auf junge, mobile Menschen attraktiv und verlässlich wirken.

Welche das sind, steht in der Studie nicht. Sie wirkt eher so, als stünde man nach all der Arbeit wieder ganz am Anfang: Woher Leute nehmen, wenn die nicht ganz von selbst nach Leipzig kommen?

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