Nicht nur Journalisten haben irgendwann die Nase voll, wenn das 100. oder 200. Grundsatzpapier veröffentlicht wird, das xte Aktionsprogramm, das ungezählt neueste Arbeitskonzept. Und dann blättert man das oft auf Hochglanz gedruckte Ding durch und findet wieder nur lauter Marketingsprüche. Das kann doch nicht Politik sein! Jetzt hat auch das Leipziger Büro Hitschfeld von dem Quatsch die Nase voll.

Das Büro Hitschfeld betreut seit vielen Jahren akzeptanzkritische Infrastrukturprojekte, insbesondere Netzausbauprojekte im Übertragungs- und Verteilnetzbereich in ganz Deutschland. Und es beschäftigt sich vor allem mit Akzeptanzproblemen und der Einbeziehung der Bürger. Denn wenn große Infrastrukturprojekte gegen den Willen der betroffenen Bürger oder gar unter Ausschluss ihrer berechtigten Mitwirkungsrechte durchgezogen werden, dann entsteht genau das, was seit 2014 bundesweit für Verstimmung sorgt: das Gefühl, dass „die da oben“ einfach machen, was sie wollen, dass eine abgeschottete Elite ihren Reibach macht und demokratische Mitwirkung geradezu unerwünscht ist.

Und da gehen augenscheinlich zwischen den Parteien selbst in der Bundesregierung die Ansichten über das, was man den Bürgern zumuten möchte, weit auseinander. In einer anderen Zeit mit einer mutigeren SPD wäre diese Regierung längst auseinandergeflogen. Was nicht nur an einem irrlichternden Heimatminister liegt, sondern auch an der Art Politikverständnis, die auch in CDU-geführten Ministerien irgendwie Gewohnheit geworden ist. Hier werden besonders gern bunte Aktionsprogramme vorgestellt und der Presse zum Genießen dargereicht, ohne dass daraus auch nur irgendwelche Taten folgen.

Das Gesagte und Angekündigte steht fürs Getane. Und es steht jahrelang da, ohne dass es überhaupt angepackt wird.

Uwe Hitschfeld betrachtet die Sache eher aus der SPD-Perspektive. Im Rahmen eines Projektes des Umweltbundesamtes (das dem SPD-geführten Bundesumweltministerium zugeordnet ist) ist das Büro Hitschfeld an der Evaluierung der Beschleunigung des Netzausbaus („Evaluierung des gestuften Planungs- und Genehmigungsverfahrens Stromnetzausbau im Hinblick auf seine Wirksamkeit für den Umweltschutz – juristisch, planerisch, technisch“) beteiligt und forscht zu strategischen Elementen von Partizipation und Kommunikation.

Der Netzausbau ist eines der größten Streitthemen in der Energiewende. Aber ein ausreichend ausgebautes Stromnetz ist nun einmal die Grundlage dafür, dass alternative und vor allem hochflexible Stromerzeugung auch funktioniert. Da sind Bürgerinteressen genauso zu berücksichtigen wie Naturschutzstandards.

Am 14. August hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den „Aktionsplan Stromnetz“ des BMWi vorgestellt und dabei wieder Worte gewählt, die man seit 2005 so ungefähr von jedem Wirtschaftsminister gehört hat: „Für eine erfolgreiche Energiewende brauchen wir moderne und gut ausgebaute Netze genauso wie den Ausbau Erneuerbarer Energien. Die Stromnetze sind dabei das Herz-Kreislauf-System unserer Stromversorgung. Diese muss vom Windrad in der Nordsee bis zur Ladesäule in Bayern zuverlässig funktionieren.

Doch beim Ausbau der Netze ist Deutschland im Verzug, das verursacht Kosten für die Verbraucher. Deshalb schlage ich mit dem ‚Aktionsplan Stromnetz‘ Maßnahmen vor, mit denen wir endlich durchstarten, den Netzausbau deutlich beschleunigen und bestehende Netze optimieren können. Mit der Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes, des ‚NABEG 2.0‘, im Herbst werden wir die Planungsverfahren verschlanken und einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten.“

Ein „Netzausbaubeschleunigungsgesetz“ wäre niemals nötig geworden, wenn man ab 2005 systematisch und transparent am Ausbau der Netze gearbeitet hätte – mit dem spürbaren Willen, so schnell wie möglich ein funktionierendes Leitungsnetz für die Energiewende zu bekommen. Aber selbst das jetzt von Altmaier vorgelegte Papier macht Uwe Hitschfeld Kopfzerbrechen.

Der für Energie zuständige Bundeswirtschaftsminister Altmeier legte seinen „Aktionsplan Stromnetz“ vor und brach dann gleich zu einer mehrtägigen Reise zu „Brennpunkten“ des Netzausbaus auf.

„Versucht man sich von der PR-Maschinerie des BMWi und dem – durchaus verhaltenen – Medienecho nicht zu sehr beeindrucken zu lassen, fallen einige Dinge auf“, stellt der geschäftsführende Gesellschafter des Büros Hitschfeld fest. Gut findet er, dass der Netzausbau durch diesen Aktionsplan vielleicht nun die politische Aufmerksamkeit bekommt, die dieses zentrale Projekt der Energiewende seit Jahren benötigt.

„Die nötige Skepsis speist sich aus der Erfahrung, dass es schon mancherlei Lippenbekenntnisse von hoher und höchster politischer Ebene (auch von Wirtschaftsministern früherer Regierungen) gegeben hat, die sich sehr rasch im Alltag der Auseinandersetzungen um die konkreten Projekte vor Ort als wenig substanziell und belastbar erwiesen. Aber man wird sehen.“

Also doch nichts Neues?

Wahrscheinlich schon.

Hitschfeld: „Auffällig ist, dass der Wirtschaftsminister erst seinen Aktionsplan verkündet und sich dann vor Ort ein Bild macht. Umgekehrt wäre es überzeugender gewesen.“ Und: „Verwunderlich ist, dass der – immerhin vierseitige – Aktionsplan sich als Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten liest. Beispiele gefällig? – Da müssen es ein weiteres Mal die Digitalisierung und die ‚Smart Grids‘ richten (Seite 2), man will Hochtemperaturseile einsetzen, und man will – man höre und staune – miteinander reden und sich abstimmen (Seite 3)! Man will ‚konkrete Zielvereinbarungen‘ mit ‚klaren Verantwortlichkeiten‘ und festlegen, ‚Wer hat bis wann was zu tun?‘! Wenn das ein innovativer Managementansatz ist!“

Statt also einen abgestimmten Fahrplan aufzusetzen, in dem Fristen und Kosten bis zur Komplettierung des Stromnetzes festgeschrieben sind, doch wieder nur eine bunte Absichtserklärung. Und auch die betroffene Bevölkerung kommt wieder nicht vor. Auch Altmaier steuert das Schiff so wie die meisten seiner Vorgänger: Als Kapitän, der nur mit Kapitänen anderer Schiffe spricht, vielleicht noch mit seinen Offizieren, aber nicht mit dem Volk im Laderaum.

„Schlecht ist, dass auf den 4 Seiten Aktionsplan kein Wort über die Beteiligung und Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger verloren wird. Oder ist Bürgerengagement mit ‚Identifikation von konkreten Hindernissen und Risiken für den Zeitplan und mögliche(n) Gegenmaßnahmen‘ (Seite 3 unten) gemeint?“, fragt sich Uwe Hitschfeld, der ja nun aus jahrelanger Forschung weiß, wie man genau mit so einer „Politik von oben“ jedes Vertrauen bei den Betroffenen zerstören kann.

„Die – durchaus auch schmerzlichen – Erfahrungen der vergangenen Jahre Netzausbau haben doch gezeigt, dass eine projektbegleitende, strategisch angelegte Kommunikation, die Akzeptanzmanagement und Partizipation mit der Projektplanung und Umsetzung verknüpft, wesentliche Voraussetzung für den Projekterfolg gerade beim Netzausbau ist.“

Für ihn bleibt der Eindruck, dass der „Aktionsplan Stromnetz des BMWi“ eher Marketing im Sommerloch ist, als ein substantieller Ansatz, den Netzausbau auf ein neues Niveau zu heben.

Womit eigentlich auch klar ist, dass es nicht nur die Bundeskanzlerin so macht. Es scheint in vielen Ministerien so zu sein, dass man die Probleme lieber aufschiebt und vertagt und die Bevölkerung dafür lieber mit Schönwetter-Aktionsplänen erfreut. Und es ist auch nicht nur die Bundesebene, wo man so in aller Gemütlichkeit vor sich hinregiert.

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