Die Aussitze-Politik der Bundesregierung rächt sich jetzt. Auch in Sachsen. Denn 14 Jahre Wirklichkeitsverweigerung beim notwendigen Strukturumbau komprimieren sich jetzt in einem explosiven Druck, der gleich zwei sächsische Branchen gleichzeitig trifft – die Energiegewinnung und den Automobilbau. Dass schon zwei andere mit falscher politischer Weichenstellung demoliert wurden, gehört auch mit zur Geschichte: Solar- und Windkraftanlagenbau.

Jetzt befürchtet die sächsische Metall-Gewerkschaft zu Recht, dass auch der sächsische Automobilbau bei dieser Politik auf der Strecke bleibt. Und es geht um eine Menge, wie die IG Metall-Organisationen von Chemnitz, Leipzig, Zwickau, Dresden/Riesa und Ostsachsen in ihrer „Chemnitzer Erklärung“ vom 14. November feststellen.

Zwei Cluster sind jetzt direkt betroffen: der Auto- und der Maschinenbau.

Zum Autobau: „Unbestritten gehört das sächsische Automobilcluster zu den führenden Automobilregionen Deutschlands und ist seit Jahren umsatzstärkste Branche in Sachsen. Fünf Fahrzeug- und Motorenwerke von Volkswagen, BMW und Porsche, rund 780 Zulieferer, Ausrüster und Dienstleister mit insgesamt rund 95.000 Beschäftigten – davon etwa 80 Prozent in der Zulieferindustrie – fertigen, liefern und entwickeln im Verbund mit Universitäten und Forschungseinrichtungen Fahrzeuge auf Weltniveau. Mit Entscheidungen für den vollständigen Umbau des Fahrzeugwerks von VW Mosel zu einem führenden E-Standort oder Investitionen bei BMW und Porsche in Leipzig oder der Ansiedlung der Daimlertochter Deutsche Accumotive in Ostsachsen haben die Hersteller deutliche Zeichen gesetzt.“

Zum Maschinenbau: „Innovationskraft entsteht für die Autobranche zudem durch die enge Vernetzung mit dem Maschinenbau. Der Maschinenbau ist in Sachsen konzentriert und realisiert mit etwa 360 Betrieben und rund 39.500 Beschäftigten ein rundes Fünftel der Industrieproduktion in Ostdeutschland. Damit zählt der Maschinenbau zu den wichtigsten sächsischen Industriebranchen und weist eine Exportquote von deutlich über 50 Prozent auf.“

In ihrer „Chemnitzer Erklärung“ wenden sich die IG Metall Geschäftsstellen in Sachsen an Politik und Öffentlichkeit. Darin formulieren sie ihre Forderungen zur Gestaltung der Transformation in der Metall- und Elektroindustrie.

Denn der Umstieg auf Elektromobilität, fortschreitende Digitalisierung sowie die Neuordnung von Konzernstrukturen der großen Automobilhersteller sorgen für grundlegende Veränderungen in der Branche. Nun sei konkretes politisches Handeln gefragt, fordert die Gewerkschaft vor allem mit Blick auf das sächsische Wirtschaftsministerium.

„Ob jetzt die Chancen der Transformation genutzt werden oder ihre Risiken voll durchschlagen, ob jetzt Gestaltung gelingt oder eine Erosion industrieller Kernstrukturen zugelassen wird, ob jetzt Beschäftigte mitgenommen oder entlassen und abgehängt werden, ob Vertrauen in demokratische Prozesse gestärkt oder reaktionäre/rechtspopulistische Kräfte sich demagogisch als ‚Alternative‘ profilieren können. Darüber entscheiden in nächster Zukunft alle gesellschaftlich verantwortlichen Akteure und müssen steuernd, fördernd und gegebenenfalls sichernd oder abwehrend eingreifen“, mahnen die Vertreter der IG Metall Sachsen in der Erklärung und fordern konkrete Maßnahmen und politische Entscheidungen.

Die Forderungsliste ist lang – reicht von den ostdeutschen Uralt-Problemen wie Mitbestimmung und Tarifbindung, die jetzt auch im Strukturwandel, wenn Arbeitsplätze direkt bedroht sind, immer mehr an Gewicht gewinnen, bis hin zur Finanzierung der Strukturpolitik. Denn es ist genauso wie beim Ende der Kohleverstromung: Die Regionen, die vom Ende der alten Industrien betroffen sind, brauchen verstärkte finanzielle Unterstützung, um den Umbau der Wirtschaftslandschaft auch gestalten zu können.

Deswegen richten sich einige zentrale Forderungen direkt an die Landesregierung. Denn die kann es sich nicht mehr erlauben, Strukturumbrüche (wie in der Solarbranche oder bei den Windkraftanlagenbauern) immer nur auszusitzen und damit den Verlust wichtiger Kernbranchen für Sachsen einfach in Kauf zu nehmen.

Der Freistaat brauche deshalb auch eine zentrale Transformationsstelle, die den Umbruch zentral gestalten kann: „Umgehende Einrichtung einer sächsischen Landes-Koordinierungsstelle Transformation (vgl. Thüringen) zur Initiierung von Sofortmaßnahmen, Beratung und Koordinierung erforderlicher Maßnahmen für Unternehmen in der Krise, im Zuge von Konzernentscheidungen usw. sowie Initiative für eine Bundes-Koordinierungsstelle ,Transformation Automobilbranche‘ unter Einbeziehung der Sozialpartner zur Gewährleistung nötiger Abstimmungen zwischen Ländern und Regionen zu Beschäftigungs- und Standortsicherungsmaßnahmen (Zukunftsverträge), Kompetenzförderung, Mittelvergaben usw. zur Vermeidung eines gegenseitigen Unterbietungswettbewerbs, von Mittelverschwendung und Doppelstrukturen.“

Aber so ein Umbruch kostet auch Geld. Was dann die nächste Forderung bedingt: „Einrichtung und Finanzierung eines sächsischen ,Transformationsfonds‘. Bereitstellung von Ressourcen, Fördermitteln und Risikokapital zum Erhalt und Ausbau der vitalen Branchenstruktur. Einrichtung eines paritätisch besetzten Vorstands, paritätische Festlegung der Vergabekriterien usw.“

Und ebenso sinnvoll sei auch der nächste Punkt: „Einrichtung eines Runden Tisches Maschinenbau Sachsen unter Beteiligung des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums, Vertretern der Tarifparteien und der sächsischen Wirtschaftsförderung. Mitgestaltung einer aktiven Industriepolitik unter Einbezug von Mitbestimmungsträgern zur Bewältigung von Strukturumbrüchen.“

Wenn man noch alle Forderungen zu Pilotregionen, Bildungsförderung und Förderung der E-Mobilität hinzunimmt, liest sich das ganze Papier wie eine Forderung nach einer neuen Wirtschaftspolitik in Sachsen, in der Wirtschaftsminister ihre Verantwortung wahrnehmen, Strukturprozesse auch steuernd und flankierend zu begleiten und eben nicht alles „dem Markt“ zu überlassen. Oder immer nur Feuerwehr zu spielen, wenn wieder ein einzelnes Unternehmen ins Straucheln kommt, weil die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen.

Natürlich wäre das eine andere Wirtschaftspolitik, in der Wirtschaftsminister auch zu Gestaltern des Strukturwandels werden müssen. Dass sie es in Sachsen nicht sind, machte ja die geradezu irritierende Hopplahopp-Aktion zum Einsammeln von Strukturprojekten für den Kohleausstieg deutlich, bei der die Kommunen auch allerlei Spaßprojekte, die überhaupt nichts mit dem Strukturwandel in der Kohle zu tun haben, angemeldet haben – von denen auch etliche mit Steuergeldern umgesetzt werden, während die Transformationen für die nötige Energiewende immer noch Stückwerk sind und bislang nirgendwo in einen gemeinsamen Transformationsprozess münden.

Die Chemnitzer Erklärung der IG Metall.

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