Im Verkehr hat Leipzig große Ziele. 70 Prozent der Wege, die die Leipziger 2020 zurücklegen, sollen sie mit Verkehrsmitteln des so genannten Umweltverbundes zurücklegen. Umweltfreundlich also - mit Tram, Bus, Fahrrad oder zu Fuß. Heute sind es 60,5 Prozent. Der Radwegeanteil soll sich von 14,4 Prozent (2008) auf 18 Prozent erhöhen.

Die 14,4 Prozent waren – nach langen Jahren des Rückgangs im Radverkehr – endlich wieder ein Zuwachs. Der den Leipziger Verkehrsplanern Hoffnung macht. Ein bisschen Ärger war auch dabei, denn die Landeshauptstadt Dresden, die beim Radverkehr immer etwas schlechter da stand als Leipzig, zog 2008 mit 16 Prozent Radwegeanteil vorbei. Höchste Zeit also, den Radverkehrsentwicklungsplan endlich aufs Gleis zu schieben.

Dran gearbeitet wird schon seit zwei Jahren. Eigentlich sollte damit das 2002 vom Stadtrat beschlossene Radverkehrskonzept auf den neuesten Stand gebracht werden. Über 60 Veranstaltungen wurden durchgeführt, um Initiativen und Bürger einzubinden. Rund 1.000 Bürgerhinweise gab es, die eingearbeitet wurden. Das wird sich nicht einfach 1:1 in Baumaßnahmen umsetzen. “Dazu bräuchten wir – grob überschlagen – 30 Millionen Euro”, sagte Baubürgermeister Martin zur Nedden am Donnerstag , 26. Januar, bei der Vorstellung des 200-Seiten-Paketes, das jetzt in die Ausschüsse geht und am 21. März im Stadtrat beschlossen werden soll. Zielweisend bis 2020.

Zur Nedden geht davon aus, dass sich bis dahin die Zahl der Fahrräder in Leipzig von derzeit geschätzten 400.000 noch einmal auf rund 470.000 bis 480.000 erhöht. Was logischerweise auch mehr Verkehrsteilnehmer bedeutet, die täglich mit dem Rad unterwegs sind. Auf Radwegen und anderswo. 330 Kilometer umfasst das so genannte Hauptnetz für den Radverkehr in Leipzig. 2011 konnten 11 Kilometer Radweg neu gebaut oder markiert werden.

“Je mehr Verkehrsteilnehmer mit ihren verschiedenen Fahrzeugen unterwegs sind, umso mehr Konfliktstellen gibt es logischerweise”, sagt Edeltraut Höfer, Leiterin des Verkehrs- und Tiefbauamtes. Deswegen betont die Stadt auch: “Die Senkung des Unfallrisikos kann nicht allein durch Verbesserungen der Infrastruktur erreicht werden. Ebenso wichtig sind Verkehrserziehung und -aufklärung, vor allem unter den besonders gefährdeten Altersklassen, den 16- bis 18-Jährigen und den über 60-Jährigen. Die Stadt unterstützt hierzu Maßnahmen verschiedener Träger.”Ach ja, die Radfahrer. Der Techniker möge an dieser Stelle bitte ein lautes Stöhnen einbauen. In den drei Zielen, die der Radverkehrsentwicklungsplan formuliert, ist das Stöhnen eingebaut. Das erste der drei Ziele ist: Ein durchgehend ausgebautes Radwegenetzes auf allen “radverkehrsrelevanten Hauptverkehrsstraßen” in Richtung Innenstadt. Schwerpunkt dabei: “Das Grundnetz von Hauptradrouten für den Alltagsverkehr soll mittelfristig als durchgängige, lückenlose Radverkehrsverbindung unter Einbeziehung bereits bestehender Routen realisiert werden. Die Innenstadt soll per Rad möglichst direkt erreichbar sein und geeignete Umfahrungsmöglichkeiten bieten. Die Einrichtung eines inneren Fahrradringes hat bereits begonnen.”

Zweites Ziel: Verringerung des Unfallrisikos für Radfahrer in Leipzig – um 25 Prozent. Schöne Zahl. Aber da man wieder die Gefährdetengruppe Radfahrer im Blick hat, blendet man wieder einmal aus: Hauptunfallverursacher in Leipzig – mit 75 Prozent aller Unfälle – sind die Fahrer von Personenkraftwagen. Zum Vergleich: Fahrradfahrer verursachten nur knapp 3 Prozent aller Unfälle. Obwohl einige unbelehrbar bei Rot über Kreuzungen fahren, auf Straßen, wo es untersagt ist oder in der Dunkelheit ohne Beleuchtung.

Der Gestus, den die beliebten Autofahrerzeitungen in Leipzig so gern einnehmen, wird – falls der Stadtrat dem Paket im März zustimmt – die Leipziger also auch die nächsten acht Jahre begleiten: ein vorwurfsvoller Zeigefinger – auf die Radfahrer.Zumindest ist bei den Planern so eine Ahnung gewachsen, dass man was dafür tun muss, die Akzeptanz für das Radfahren in Leipzig zu erhöhen. Denn von den Geländebedingungen her ist Leipzig genauso ideal fürs Radeln geeignet wie Münster und Bremen. In der Bürgerumfrage 2010 hat man einen Anfang gemacht und die Bürger nach den Radverkehrsbedingungen in Leipzig gefragt. Für eine flache Stadt wie Leipzig war die Benotung eher beschämend: 2,7. Nur 35 Prozent der Befragten fanden die Radbedingungen gut oder sehr gut. 36 Prozent vergaben die Note 3: befriedigend. 13 Prozent fanden sie schlecht bis sehr schlecht. Der Rest hatte keine Meinung, weil das möglicherweise die Leute sind, die nicht (mehr) Rad fahren.

Auch Autofahrer schwingen sich ja, wenn sie den vierrädrigen Untersatz nicht brauchen, gern aufs Rad. Am liebsten in der Freizeit. Unübersehbar in allen Bürgerumfragen ist, wie sehr viele Leipziger auf dem Weg zur Arbeit und zum Einkauf aufs Auto angewiesen sind. Ein ausgebautes Radnetz nutzt eben nichts, wenn der Rest der Infrastruktur aufs Auto berechnet ist. Gerade bei Wegen zum Einkauf hat sich der Anteil von Pkw-Fahrten in den letzten Jahren deutlich erhöht.

Aber da die Zufriedenheit mit den Radfahrverhältnissen künftig regelmäßig abgefragt werden soll, werden Leipzigs Verkehrsplaner hier vielleicht dazulernen. Denn der Verkehrsteilnehmer ist heutzutage ein “multimodaler”, wie Edeltraut Höfer formuliert. Er steigt um, wenn ein anderes Verkehrsmittel attraktiver ist. Und das Rad wird attraktiver, wenn die Radverbindungen in die City sicherer werden.

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Der vorgelegte Plan listet zu den drei Zielen 22 Beschlusspunkte und 247 Maßnahmen auf. Die meisten unter dem üblichen Vorbehalt: dem Geld. Mit 2 Millionen Euro möglicher Mittel rechnet Edeltraut Höfer 2012. Davon werden möglicherweise ein Teil der geplanten 1.000 Fahrradbügel in der Innenstadt realisiert. Neue Radwege entstehen auch an der derzeit ausgebauten Herrmann-Liebmann-Straße.

Teil des Konzeptes ist auch – den Alltagswegen nachgeordnet – die Einbindung Leipzigs in das überregionale Radwegenetz und die Radverbindung in die Umlandgemeinden. Puffer ist überall drin. Auch in der Stadt selbst. “48 Prozent aller mit Pkw zurückgelegten Wege in Leipzig sind kürzer als 5 Kilometer”, merkt zur Nedden an. Und benennt damit das Reservoir, aus dem künftige Nutzer von Tram, Bus und Rad kommen können. Denn auch ÖPNV- und Fußweg-Anteile sollen ja wachsen, damit der Umweltverbund bis 2020 auf 70 Prozent kommt – dann mit einem Radverkehrs-Anteil von 18 Prozent, einem Fußgänger-Anteil von 27 Prozent (derzeit 27,3) und einem ÖPNV-Anteil von 25 Prozent (derzeit 18,8) läge 2020 der Anteil des Umweltverbundes an den täglichen Wegen bei 70 Prozent.

Viele Wenn und Aber. Denn ob der ÖPNV so zulegen kann, ist noch offen. Der Freistaat hat seine Investitionszuweisungen hier drastisch zurückgefahren, will lieber mehr Auto und Privatbusse.

Die Schaffung eines Fahrradstraßenrings in der Innenstadt ist ein Versuch, die Akzeptanz fürs Radfahren zu erhöhen. Auch wenn bei den im Herbst eingerichteten Fahrradstraßen zwischen Rathaus und Fleischergasse die Autofahrer sich nur wundern und die Radfahrer Slalom fahren, weil sie nicht wirklich das Primat haben. Irgendwas fehlt da noch in der Verkehrsorganisation.

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