Lange nichts gehört von den erwarteten Fahrgastzahlen in den S-Bahnen, die den City-Tunnel durchqueren sollen. Dabei war und ist diese Prognose doch extrem wichtig für die Begründung des gesamten Projekts und für seine Finanzierung. Nachschlagen in den alten Gutachten lohnt sich. Jeder am City-Tunnel Interessierte erfährt viel über Stationen, Linien, Takte und manchmal sogar über Kosten. Nur bei einer Größe werden die S-Bahn-Planer einsilbig - bei den zu erwartenden Fahrgastzahlen.

Wer an Planungsunterlagen rankommt, liest Sagenhaftes. Das bescheidene Leipziger S-Bahn-Netz, wie es im Juli 1969 in Betrieb ging, zählte im Jahr 1989 rund acht Millionen Fahrgäste. Mit dem politischen und wirtschaftlichen Umbruch und der schlagartig beschleunigten Motorisierung sank diese Zahl bis 1993 auf etwa 4,5 Millionen. Der Zusammenbruch der Industrie und der daraus folgende drastische Rückgang des Berufsverkehrs zeigten Wirkung. Doch just zu diesem Zeitpunkt wurden die Planungen für ein S-Bahn-System im Großraum Leipzig/Halle, und zwar wesentlich getragen durch die unterirdische Eisenbahnverbindung unter dem Leipziger Zentrum, konkret.

Sagenhafte 200.000 “Beförderungsfälle” pro Werktag errechneten die beauftragten Verkehrsplaner für das Jahr 2010 im S-Bahn-Netz Leipzig/Halle, das zu diesem Zeitpunkt (einschließlich City-Tunnel) längst komplett funktionieren sollte. Mit dieser Prognose im Rücken warf sich die Planungsgesellschaft 1998 in das Getümmel um die erforderliche Finanzierung.

Die S-Bahn-Verbindung zwischen Leipzig und Halle bildet von den Fahrgastzahlen her das Rückgrat des ganzen Systems. Als diese S 10 genannte S-Bahn nach jahrelangen Querelen im Dezember 2005 auf geänderter und modernisierter Trasse endlich in Betrieb ging, war sich die Bahn sicher, schnell auf 20.000 Fahrgäste pro Tag zu kommen. Nun, die Realität war eine andere. Die S 10 hatte zu tun, 8.000 Fahrgäste pro Tag zu befördern. Wie viele es heute sind, sagt die Bahn nicht. Die Zahl bewegt sich wohl zwischen 12.000 und 15.000 pro Tag, vermuten Kenner.Die realen Werte sind wichtig für alle Prognosen des City-Tunnel-Verkehrs. Um die Finanzierung hinzubekommen, musste schon in den 1990er Jahren möglichst realistisch prognostiziert werden. Im sächsischen Landesverkehrsplan von 1996 sind 85.000 Reisende pro Tag für die Tunnelstrecke südlich des Hauptbahnhofs ausgewiesen. Die Prognose, die von der Planungsgesellschaft 1997 bei der Ingenieurgemeinschaft S-Bahn-Tunnel Leipzig GmbH aus Schüßler-Plan und DE-Consult in Auftrag gegeben wurde, kam auf 61.400 Fahrgäste in 24 Stunden auf der Tunnelstrecke zwischen Hauptbahnhof und Bayerischem Bahnhof. In der Spitzenzeit zwischen 6:00 und 8:00 Uhr sollten im Jahr 2010 laut Annahme der Experten jede Stunde 7.700 Fahrgäste in den S-Bahnen im City-Tunnel unterwegs sein, also vergleichsweise jene Zahl, die anfangs von den S-Bahn-Zügen zwischen Leipzig und Halle innerhalb eines Tages erreicht wurde.

Mit dem schleppenden Anlauf der S 10 und den mehrfach verschobenen Eröffnungsterminen des City-Tunnels im Rücken – angekündigt waren bereits 2005, 2009, 2011, 2012 und 2013, sank die Auskunftswilligkeit hinsichtlich der Fahrgast-Prognosen für die unterirdische Bahnverbindung. Man wolle lieber die Inbetriebnahme abwarten, um realistische Zahlen zu liefern, und im Übrigen sei man sich sicher, dass die Fahrgäste den Tunnel schon “annehmen” würden, hieß es bei der DB.

Vor wenigen Wochen ging nunmehr der Leipziger Baubürgermeister Martin zur Nedden in einer Diskussionsrunde der Friedrich-Ebert-Stiftung mit einer neuen Zahl an die Öffentlichkeit. 36.800 Personenfahrten pro Werktag würden im City-Tunnel erwartet. Das ist freilich ungefähr nur noch die Hälfte dessen, was vor anderthalb Jahrzehnten beim planerischen Start des Gesamtprojekts als Zielgröße galt. Und darauf baute die Kosten-Nutzen-Rechnung als Basis der Finanzierungsentscheidung und für die Gewährung von öffentlichen Fördermitteln auf.

Anders gerechnet, läuft die zuletzt genannte Prognose auf der Tunnelstrecke auf 7.360.000 Fahrgäste pro Jahr allein an den Werktagen hinaus. Unter Einrechnung der Wochenenden und Feiertage würden dann deutlich mehr als acht Millionen Fahrgäste (die Beförderungsleistung der Leipziger S-Bahn im Jahr 1989) erreicht. Eine solche Rückkehr zur alten Leistung ist gewollt. Sie ist ambitioniert, gleichwohl aber meilenweit von den 40 Millionen Fahrgästen entfernt, wie sie 1997 für das Jahr 2010 als Gesamtleistung der S-Bahn Leipzig/Halle an sämtlichen Werktagen des ganzen Jahres angekündigt wurde.

Ab dem 15. Dezember 2013 soll der neue mitteldeutsche S-Bahn-Alltag zeigen, ob wenigstens die zuletzt präsentierte Prognose realistisch war.

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