Bleiben wir beim Verkehr. Über die Finanzierung der LVB wird und muss in den nächsten Monaten diskutiert werden. So, wie das Leipziger Verkehrsunternehmen derzeit aufgestellt ist, ist es einfach nicht die attraktive Alternative für die Zukunft. Das Thema ist aber deutlich größer. Eigentlich heißt es "kompakte Stadt" und "Stadt der kurzen Wege".

Denn auf den zweiten Blick sind auch die “Verluste” von Straßenbahn und Bus an die S-Bahn nicht wirklich Grund für die Rückgänge der Anteile am “Modal Split”. Auch wenn Leipzigs Statistiker in Auswertung der Bürgerumfrage 2014 selbst schreiben: “Die Zunahme der Nutzung der S-Bahn geht zulasten der Straßenbahnnutzung”. Der Effekt täuscht. Zwar ist der Anteil der Leipziger, die die S-Bahn nutzen, mit der Eröffnung des City-Tunnels von 40 Prozent auf 57 Prozent gestiegen – aber von denen nutzten 65 Prozent auch noch ein anderes Verkehrsmittel – um entweder hinzukommen zur S-Bahn oder am Ziel weiterzufahren. Und in 80 Prozent der Fälle waren Straßenbahn und Bus die Zubringer. Das heißt: Die meisten S-Bahn-Nutzer sind den LVB gar nicht als Kunden verloren gegangen. Sie haben nur einen Teil der Strecke flotter mit der S-Bahn zurückgelegt.

30 Prozent der S-Bahn-Nutzer sind auch mit dem Rad zur S-Bahn gefahren. Klingt wenig – ist aber eine Menge, wenn die Bahn und der ZVNL den Wagenpark nicht für so viele Radfahrer eingerichtet haben. Nur 17 Prozent nutzten das Auto, um Anschluss an die S-Bahn zu bekommen.

Die Befragung macht auch deutlich, wie die viel beschworene Intermodalität der Verkehrsarten in Leipzig tatsächlich funktioniert. So gesehen war die enge Verzahnung der LVB-Haltestellen mit den S-Bahn-Stationen sogar die richtige Idee. Die Verzahnung hat das System ÖPNV gestärkt, hat aus vielen LVB-Kunden auch S-Bahn-Nutzer gemacht. Mit Betonung auf “auch”. Aber die S-Bahn erklärt nicht die Anteilsverluste des ÖPNV am “Modal Split” in Leipzig. Im Gegenteil: Der S-Bahn-Zuwachs hat die Verluste bei Bus und Straßenbahn nicht ausgeglichen.

Tatsächlich konkurriert die S-Bahn ja nur auf – für städtische Verhältnisse – längeren Strecken mit den Bahnen und Bussen der LVB. Die eigentliche “Konkurrenz” ist eine andere. Verloren hat der ÖPNV nämlich vor allem auf den kurzen Strecken. 4,2 Kilometer lang ist der durchschnittliche Weg, den die Leipziger in der Stadt zurücklegen. Das bestätigte auch die Verkehrserhebung „Mobilität in Städten – SrV 2013“. Alles, was drunter liegt, lässt sich problemlos mit dem Fahrrad bewältigen, wenn jemand gut zu Fuß ist, auch per pedes.

Das heißt: Wer sich die immer wieder steigenden Preise für Kurzstrecken auf den Fahrzeugen der LVB nicht mehr leisten kann oder will, der wird zum Fußgänger und Radfahrer. Wenn sich dann auch das Radwegenetz so langsam verbessert und sicherer wird, ist das für viele Leipziger keine große Entscheidung mehr.

Die LVB verlieren also vor allem auf den kurzen Strecken an die umweltfreundlichen (und preiswerteren) Verkehrsarten Radfahren und Zufußgehen. Was – wo die Strukturen stimmen – durch kompakte Versorgungsangebote im Stadtteil unterstützt wird.

Kann jetzt Einer dazwischen fragen: Warum betrachten wir da nicht den Pkw-Verkehr? – Einfache Antwort: Er wird zum Auslaufmodell. Und zwar beginnend in den innerstädtischen Quartieren, wo man für das mobile Gefährt immer seltener noch einen Parkplatz findet. Da denken gerade die jungen Leipziger lieber gleich “intermodal” und organisieren sich ihre Wege zu Fuß, mit Fahrrad, S-Bahn und (wenn es Sinn macht) auch mit Straßenbahn und Bus. Dass die Fahrzeuge der LVB hier eindeutig nicht die Nr. 1 sind, zeigt der Blick auf jede Radabstellanlage in der City: Es gibt viel mehr Radfahrer, die einen Abstellplatz suchen, als Abstellanlagen. An den S-Bahn-Stationen fehlen Abstellanlagen fast generell. Fast hat man den Eindruck, die Planer wollen das Aufkommen der Radnutzung bewusst erschweren.

Ein Blick in den “Modal Split”: 18 Prozent der Befragten fuhren 2014 mit dem Fahrrad in die City – im Vorjahr waren es 15 Prozent gewesen. Und die Anteile haben vor allem Straßenbahn und Bus verloren – ihr Anteil ging von 43 auf 37 Prozent zurück. Man kann den Anteilsverlust der LVB also auch nicht allein den Großbaustellen wie in der “KarLi” oder davor in der Lützner Straße zurechnen. Es ist ein ganz anderer Prozess im Gang, in dem – zeitgleich mit der Verdichtung des Wohnens in den innerstädtischen Quartieren – die Leipziger von vornherein andere Verkehrsverhaltensweisen favorisieren.

Dazu gehört auch der Verzicht aufs Auto. Gaben 2013 noch 37 Prozent der Haushalte an, kein Auto zu besitzen, waren es 2014 schon 41 Prozent. Seit 2011 ist der Ausstattungsgrad der Haushalte mit Pkw um 7 Prozent gesunken. Das ist also keine Eintagsfliege, sondern ein Trend. Dafür steigt die Zahl der Fahrräder ganz deutlich. Kamen 2008 noch 757 Fahrräder auf 1.000 Leipziger, waren es 2013 schon 912. Heißt: In Leipzig gibt es mehr als doppelt so viele Fahrräder wie Autos.

Zwar sank der Anteil der Haushalte ohne Fahrrad 2014 nur leicht (von 29 auf 28 Prozent), dafür stieg besonders die Zahl der Dritt- und Viertfahrräder, was vor allem darauf hindeutet, dass das Fahrrad zum Familienthema geworden ist.

Und weil das eindeutig das Zukunftsthema im Leipziger Verkehr ist, kümmern wir uns darum gleich mal in einem Extra-Artikel.

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Naja, wir wollen mal bitte nicht hyperventilieren, was diese “enge Verzahnung” zwischen LVB-Haltestellen und S-Bahn angeht. Die ist nämlich an (so gut wie) keinem Knotenpunkt gegeben. Selbst am Hauptbahnhof klettern kaum Fahrgäste von der Tram-Haltestelle runter in den Tiefbahnhof.
Das S-Bahn-Netz wird faktisch getrennt vom LVB-Netz benutzt. Jeder Umstieg wird mit erheblicher Reisezeitverlängerung abgestraft. Am ehesten funktioniert ein Umstieg in Connewitz, da lohnt sich der lange Anmarsch sogar noch (was ist nun mit der neuen Fußgängerbrücke dort??). Bei S MDR haben die LVB nun endlich etwas nachgebessert mit der 74.

Probleme sind die langen Zuwegungen, null abgestimmte Busanschlüsse (neulich an S Wahren erlebt) und Lücken im Busnetz (Buslinie verenden 1km vor der nächsten S-Bahn-Station).

Ich ergänze, dass die Behauptungen der LVB im STEP, sie hätten schon bei der Busnetzreform 2010 die geplante S-Bahn berücksichtigt, erlogen und nachgeschoben sind. Den damaligen Verlautbarungen zur Busnetzreform war nichts davon zu entnehmen. Überhaupt ist bei den LVB der Verbundgedanke immer noch nicht vorhanden; insbesondere wird die S-Bahn dort als Konkurrenz angesehen.

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