Der 1. August naht. Und den Bewohnern des Landkreises Nordsachsen geht es genauso wie den Leipzigern und Hallensern: Die Tarife im ÖPNV steigen happig. Und eine Idee, wie sich das ÖPNV-System in Nordsachsen ändern kann und besser werden kann, gibt es genausowenig wie in Leipzig. Auch in Nordsachsen gilt die Preiserhöhung als alternativlos, weil sonst "das Angebot gekürzt werden müsste", wie der MDV die Erhöhung begründet.

Diesmal geht es auch in Nordsachsen um bis zu 4 Prozent rauf, je nach Tarifzone. “Das klingt nach nicht viel, doch dieser Eindruck täuscht. So kostete noch im Jahr 2007 ein Einzelticket in der Tarifzone Leipzig 1,80 Euro, ab August aber 2,50 Euro. Wer hatte schon auf seinem Gehaltszettel in den letzten 8 Jahren eine Steigerung um fast 40 Prozent”, fragt Dr. Michael Friedrich, Fraktionsvorsitzender der Linken im Kreistag Nordsachsen. “Wie die sprichwörtliche einsame Ruferin in der Wüste hat die Linke diesen jährlichen Automatismus immer wieder als unsozial und ideenlos kritisiert. Zuletzt bei der Behandlung der Online-Petition für ein MDV-Tarifmoratorium im Kreistag. Dort haben wir als einzige Fraktion geschlossen gegen die Ablehnung dieser Petition gestimmt.”

Das Problem ist auch in Nordsachsen weniger die ÖPNV-Fremdheit der anderen Fraktionen. Die meisten würden gern auch einen besseren ÖPNV haben. Doch der nordsächsische Kreistag ist gegen die falschen Strukturen in der sächsischen ÖPNV-Finanzierung genauso machtlos wie der Stadtrat in Leipzig, dem sogar die Verwaltung selbst offiziell bescheinigt hat, dass er bei den Preiserhöhungen im MDV überhaupt nichts mitzubestimmen habe.

Tatsächlich verhindern auch die kommunalen Strukturen eine wirklich große Systemlösung im Mitteldeutschen Verkehrsverbund, eine starre Landesgrenze mittendurch verhindert den Rest. Zwar hat der MDV eine entsprechende Diskussion über Strategie und Finanzierung der Zukunft begonnen. Aber die meisten Abgeordneten in Kreistagen und Ratsversammlungen haben noch nicht einmal begriffen, wie sehr die Kommunen tatsächlich an ihrer ÖPNV-Strategie ändern müssen, damit aus einem starren und nur im Kleinen gestaltungsfähigen Verband übehaupt mal ein modernes ÖPNV-System wird.

Die Linke in Nordsachsen begrüße zwar die von MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann angeschobene Strategiediskussion des MDV. Aber sie schaut auch nicht wirklich über den nordsächsischen Tellerrand hinaus.

“Für diesen Herbst erwarten wir die Diskussion konkreter alternativer Finanzierungsmodelle”, sagt Dr. Michael Friedrich. “Diese sollen neben den individuellen Nutzern von Bus und Bahn gemäß dem Solidarprinzip auch all jene in die Pflicht nehmen, die nicht nur unbeträchtlich – sei es nun unmittelbar oder mittelbar –  von einem guten ÖPNV profitieren. Da sind alte Denkweisen aufzubrechen und das dicke Brett solidarischer Finanzierungmöglichkeiten zu bohren. Entsprechende Lösungen existieren längst in anderen Städten wie z. B. in Erfurt.”

Und dann zählt er auf, was alles denkbar ist – aber selbst im Einzelnen nur schwer gegen politische Mehrheiten durchzusetzen sein wird: “Denkbar wären z. B. eine ÖPNV-Abgabe für Betriebe ab einer gewissen Größenordnung, eine zielgerichtete Verwendung von Parkplatzgebühren zur Mitfinanzierung des ÖPNV oder gar eine fahrscheinlose ÖPNV-Flatrate gegen Zahlung einer moderaten Monatsgebühr für alle Einwohner ab dem 18. Lebensjahr, wobei natürlich soziale Härtefälle wie Hartz IV-Empfänger oder Studenten außen vor bleiben müssen (Modell Bürgerticket).”

Aber genau da beginnen die eigentlich wichtigen Fragen, wobei auch die Linke eine Verbesserung des Systems ÖPNV noch nicht mal auf dem Schirm hat. Denn mehr Bürger oder gar Unternehmen zur Finanzierung des ÖPNV heranzuziehen, heißt zwangsläufig, dass dieses System besser, bequemer und attraktiver werden muss. Ein Herumdoktern an Symptomen verschiebt die Probleme nur in die Zukunft.

“Ob und inwieweit einzelne dieser Vorschläge oder eine Kombination davon politisch durchsetzbar sind, müssen die entsprechenden Stadträte und Kreistage im MDV-Gebiet und gegebenenfalls sogar Bürgerbegehren/Bürgerentscheide  entscheiden. Dies dürfte zu kontroversen und hitzigen Debatten führen, an deren Ende aber ein gleich dreifacher Gewinn stehen kann”, verspricht sich Friedrich. “1. eine deutlich höhere Attraktivität des ÖPNV in Stadt und Land, 2. einen beträchtlichen Anstieg der Fahrgastzahlen bei gleichzeitiger Zurückdrängung des individuellen PKW-Verkehrs, 3. eine zumindest massive Dämpfung des Kostenanstiegs für die Nutzer des ÖPNV.”

Die drei Punkte sind schon wichtig. Aber wenn die Struktur eines zukunftsfähigen ÖPNV – ohne die bisherigen provinziellen Hoheitsgrenzen – nicht durchdacht ist, ist jede Finanzierungsdebatte sinnlos. Dann wird ein an seiner Funktionsfähigkeit lädiertes System nur mit mehr Geld gefüttert, während die Investitionen in wirklich zukunftsfähige Strukturen nicht passieren.

Aber auch in Nordsachsen hat man gemerkt, dass der Freistaat Sachsen nun schon seit Jahren bei der ÖPNV-Finanzierung kneift.

Dr. Michael Friedrich: “Allerdings dürfen diese alternativen Überlegungen keinesfalls dazu führen, dass sich das Land nach dem Motto ‘Die da unten werden´s schon richten!’ noch weiter aus seiner Mitverantwortung für einen guten ÖPNV zurückzieht. Vor allem müssen die Regionalisierungsmittel des Bundes ohne Abstriche an die Kommunen weitergeleitet und durch das Land weitaus bessere Förderprogramme für den ÖPNV aufgelegt werden. Es bedarf deutlich höherer Investitionen vor allem in moderne Straßenbahnen und in kleinere und sparsamere Busse, um den beträchtlichen Modernisierungsstau abzubauen. Hier sind unsere Landtagsabgeordneten fraktionsübergreifend in der Pflicht, sich in Dresden entsprechend stark zu machen.”

Irgendwie gab es aus Leipzig einen ganz ähnlichen Ruf.

Vielleicht sollten sich die Parlamentarier im Flickenteppich MDV wenigstens erst mal zusammen tun, um die nötigen Fördergelder in Dresden zu bekommen. Sonst wird der MDV auch 2017 noch sagen: Ohne Fahrpreiserhöhung müssen wir Angebote streichen. Alternativlos.

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