Die Diskussion um das 365-Euro-Jahresticket für Leipzig zeigt Folgen – gleich in mehrfacher Hinsicht. Jetzt wird nicht nur ernsthaft darüber diskutiert, wie das Angebot der LVB wachsen müsste, um die erwartbaren Fahrgastzahlen zu stemmen. Die Linksfraktion, die den Antrag dazu im Stadtrat gestellt hatte, das Ticket gleich nach Ende des Tarifmoratoriums 2021 einzuführen, bekommt jetzt mit der SPD-Fraktion direkte Unterstützung.

Ursprünglich war ja die Leipziger SPD mit der Idee in den Kommunalwahlkampf gestartet. Eine Idee, die eigentlich seit Jahren auf dem Tisch liegt, denn in diversen Plänen hat der Stadtrat schon vor Jahren beschlossen, dass der Anteil des ÖPNV am „Modal Split“, also dem Anteil der verschiedenen Verkehrsarten an der Mobilität der Leipziger, von derzeit gerade einmal 16 Prozent auf 25 Prozent steigen sollte.

Das wurde dann zwar auf 23 Prozent heruntergehandelt. Aber jeder konnte sich selbst ausrechnen, dass selbst das eine massive Steigerung der Fahrgastzahlen von derzeit eher lütten 156 Millionen bedeutet – nämlich (mindestens) auf 220 Millionen, wie es im 2018 vom Stadtrat beschlossenen Nachhaltigkeitsszenario steht.

Den Ratsfraktionen ist also sehr wohl bewusst, dass das Angebot deutlich steigen muss, wenn man die Fahrpreise so deutlich senkt und damit Bus und Bahn für die Leipziger deutlich attraktiver macht.

Das ist wahrscheinlich bis 2021 nicht zu schaffen.

Deswegen formulieren SPD- und Linksfraktion es in ihrem Antrag, den sie am Freitag auch noch in einer Pressekonferenz erläutern wollen, diesmal deutlich variantenreicher: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis zum 31.12.2019 ein Konzept vorzulegen, welches das Ziel verfolgt, im Rahmen der Umsetzung des im Herbst 2018 beschlossenen Nachhaltigkeitsszenarios auch die Einführung eines 365-Euro-Tickets zu realisieren. Dies soll für verschiedene Zeitpunkte bewertet werden: 01.01.2021, 01.01.2024 und 01.01.2027. Darüber hinaus sollen Erfahrungen aus anderen deutschen Städten in diese Betrachtung einfließen, die aktuell mit Fahrpreissenkungen arbeiten.“

Denn natürlich hat so ein Ticket, das für Abo-Kunden das LVB-Angebot praktisch um die Hälfte preiswerter macht, Folgen.

LVB-Haltestelle Hauptbahnhof. Foto: Ralf Julke
LVB-Haltestelle Hauptbahnhof. Foto: Ralf Julke

Zum Beispiel eben für den dann nötigen Zeitplan für das Nachhaltigkeitsszenario.

Und damit auch für die induzierte Nachfrage: „Es soll abgeschätzt werden, wie viele Kundinnen und Kunden der Leipziger ÖPNV durch ein 365-Euro-Ticket gewinnen kann. Bei der zugrunde gelegten Preiselastizität soll besonders das insgesamt niedrige Einkommensniveau in Leipzig berücksichtigt werden.“

Und zu nötigen Angebotserweiterungen – zum Beispiel mit einer neuen Busnetzreform vor dem Jahr 2024, „weil diese vor allem Verbindungen im Außenbereich und Radialverbindungen stärken würde.“

Und weil das Ticket direkt beeinflusst, wie schnell das Nachhaltigkeitsszenario umgesetzt wird: „Abschließend legt der Oberbürgermeister ebenfalls bis 31.12.2019 ein Finanzierungskonzept über das Nachhaltigkeitsszenario für den Zeitraum 2021 bis 2030 vor, sowohl für die Stadt als auch für die LVV Gruppe. Dabei sind für die einzelnen Haushaltsjahre bzw. Wirtschaftsjahre die benötigten finanziellen Mittel in einen laufenden Zuschuss (Ausgleichsbedarf ÖPNV) und in einen Investitionszuschuss (Zusätzlicher Investitionsbedarf) aufzuschlüsseln.“

Auch die berechtigte Kritik von FDP-Stadtrat Sven Morlok greifen die beiden Fraktionen auf. Sie sehen es im Grunde genauso: Ohne die möglichgst baldige Umsetzung des Nachhaltigkeitsszenarios (bei dem bis 2030 rund 800 bis 900 Millionen Euro zusätzlich in den ÖPNV investiert werden sollen) ist das 365-Euro-Jahresticket nicht denkbar.

Aber sie sehen auch die Symbolwirkung des Tickets für diesen noch gar nicht begonnenen Ausbau: „Der Stadtrat hat im Herbst 2018 das Nachhaltigkeitsszenario als Grundlage der Restrukturierung des urbanen Verkehrs beschlossen. Die Umsetzung ist eine große Herausforderung, denn vor allem die Ziele für den Ausbau und die attraktivere Gestaltung des ÖPNV sind sehr ambitioniert. Es geht darum, das Nachhaltigkeitsszenario energisch umzusetzen und dazu dient auch die Idee eines 365-Euro-Jahrestickets …“

Und warum sie auf dem preiswerteren Jahresabo nach Wiener Modell beharren, erklären sie auch: „Wir gehen davon aus, dass allein eine Verbesserung des ÖPNV-Angebots aufgrund des in der Stadt nach wie vor recht geringen Einkommens nicht zielführend sein kann. Vielmehr müssen Impulse gesetzt werden, um die Nachfrage nach dem ÖPNV zu erhöhen. Es soll allen gleichermaßen möglich sein, Busse und Bahnen zu nutzen.“

Denn: „Die aktuellen Fahrpreise in Leipzig und das hier verfügbare Einkommen stehen in einem deutlichen Kontrast zu einander. Aus unserer Sicht ist es nicht zielführend gesamtdeutsche Durchschnittswerte beim Einkommen in die Untersuchung nach möglichen Kundenpotenzialen für den Leipziger ÖPNV einfließen zu lassen.“

Und es geht um Tempo. Denn bevor neue Kapazitäten im Gleisnetz der Straßenbahn geschaffen werden, vergehen in der Regel fünf bis zehn Jahre. Mehr Kapazitäten könne man mit Bussen schaffen, so die beiden Fraktionen: „Der Vorteil einer Ergänzung des Busnetzes liegt vor allem darin, dass dafür geringere Investitionen notwendig sind und sich dies schneller umsetzen ließe. Sie kann vor allem da ansetzen, wo das aktuelle Angebot nicht ausreichend ist, so beispielsweise in den Außenbereichen der Stadt und auf den Radialen. Maßgabe hierfür ist, dass jeder Bus mindestens zwei Umstiegshaltestellen auf einem neuen Busring anfahren soll, um so unkomplizierte Übergänge zu S-Bahn oder Straßenbahn zu ermöglichen. Zudem soll die Einführung reiner Radial-Busse als Expressbusse geprüft werden, die nur markierte Umstiegspunkte miteinander verbinden. Im Außenbereich der Stadt ist ein Takt von 20 Minuten anzustreben.“

Was einen natürlich daran erinnert, dass auf vielen Linien derzeit Vordereinstieg und Fahrscheinkontrolle beim Fahrer gewünscht sind, was das Nutzen vieler dieser Buslinien viel zu umständlich macht und Ein- und Aussteigevorgänge verzögert. Eine Vorgabe, die sich mit der gewünschten Erhöhung der Fahrgastzahlen nicht verträgt und die auch die Entwicklung attraktiver Radial- und Ringlinien deutlich erschwert.

Das wichtigste Anliegen ist freilich, jetzt erst einmal herauszubekommen, was die Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets tatsächlich kosten würde. Denn die kolportierten 20 bis 30 Millionen Euro als Linienentgelt-Ausfall können nicht wirklich belastbar sein, schon gar nicht, wenn das preiswertere Abo tatsächlich Erfolg hat und die Zahl der Abo-Kunden deutlich gesteigert werden kann.

In der vorletzten Ratsversammlung war ja auch Planungsbürgermeisterin Dorothee Dubrau noch nicht wirklich auskunftsfähig, darauf wies sie auch hin. Weder in der Verwaltung noch bei den LVB oder im MDV hat man so ein Modell jemals gründlich durchgerechnet. Aber ohne belastbare Zahlen kann niemand planen.

„Der Oberbürgermeister soll ein Finanzierungskonzept sowohl für die Stadt als auch die LVV für den Zeitraum 2021 bis 2030 vorlegen“, formulieren die beiden antragstellenden Fraktionen deshalb. „Dabei sind für die einzelnen Haushaltsjahre bzw. Wirtschaftsjahre die benötigten finanziellen Mittel in einen laufenden Zuschuss (Ausgleichsbedarf ÖPNV) und in einen Investitionszuschuss (Zusätzlicher Investitionsbedarf) aufzuschlüsseln.“

Entscheidet der Stadtrat tatsächlich schon im Mai zur Einführung des Wiener Modells in Leipzig?

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