Ganz weit voraus denkt Piraten-Stadtrat Thomas Köhler. Er denkt an eine Zeit, in der in Leipzig der Nachwuchs für viele Tätigkeiten nicht nur knapp werden könnte, sondern auch städtische Unternehmen gezwungen sein werden, viele Angebote komplett zu automatisieren. Und zumindest technisch vorstellbar ist es heute schon, Straßenbahnen künftig ohne Fahrer auf die Gleise zu schicken. So ab 2040.

Weshalb die Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat, deren Mitglied er ist, jetzt beantragt, den Oberbürgermeister zu beauftragen, bis 2025 zu prüfen, wie ab 2040 die Straßenbahnen der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) im Stadtgebiet Leipzig auf smarten Linienführungen im autonomen Regelbetrieb fahren können.

Stadtrat Thomas Köhler (Piraten), für die Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat Mitglied im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau, begründet den Bedarf an smarten Linienführungen mit den Entwicklungen im Nutzungsverhalten im ÖPNV: „Das Konzept des ÖPNV-Massentransports mit gegenwärtig breiteren Straßenbahnzügen und entsprechend großen Gleisabständen, hat ausgedient. Die Bedarfe der Leipziger haben sich, beschleunigt durch Corona, grundlegend geändert. Durch den weiteren Ausbau von Homeoffice, der digitalen Verwaltung und den Anpassungen im beruflichen und privaten Alltag in den nächsten Jahren werden sie sich weiter grundlegend ändern.“

Köhler verweist dabei auf die Vorteile des elektrischen, smarten und autonomen Fahrens insbesondere kleinerer Straßenbahnen mit engeren Taktungen, die auf intelligenten und bedarfsgerechten Linien geführt werden: „Durch den Einsatz von künstlicher bzw. artifizieller Intelligenz können Änderungen und Bedarfsanpassungen im laufenden Straßenbahnbetrieb erfolgen. Dies ist nur durch das Konzept des autonomen Schienenverkehrs möglich, menschliche Intelligenz gerät hier schnell an seine Grenzen.“

Was natürlich ein Gleisnetz mit deutlich mehr Ausweich- und Alternativstrecken braucht. Bislang haben sich die Leipziger Verkehrsbetriebe vor allem auf leistungsstarke Hauptstrecken konzentriert, auf denen große Straßenbahnen viele Fahrgäste in starren Takten transportieren können. Da muss – außer wenn z. B. Unfälle eine Strecke blockieren – nicht viel umdisponiert werden. Andererseits neigt so ein System auch systematisch zu Verstopfungen, wenn die bereitgestellten Fahrzeuge nicht ausreichen, alle Fahrgäste flüssig durchs Stadtzentrum zu transportieren.

Dann schaukeln sich leichte Verspätungen durch zu langen Halt an der Haltestelle schnell zu einer Kette von Verspätungen auf, die kaum noch reparabel sind, weil Leipziger Fahrgäste selbst bei solchen „Verstopfungen“ dazu neigen, unbedingt mit der stauverursachenden überfüllten ersten Bahn mitzukommen.

Die Möglichkeiten, in so einem System smart zu reagieren und es quasi selbstregulierend auf die sich verändernden Nutzungen reagieren zu lassen, sind denkbar gering. Und das, obwohl heute schon solche smarten Programmierungen auch in Leipzig getestet werden.

Der Vorzug des autonomen Schienenverkehrs gegenüber dem autonomen Busverkehr aus Sicht Köhlers liegt auf der Hand: „Sensorik in Schienen, Oberleitungen und Fahrzeugen ist eine bereits international eingesetzte Technik. Die Risiken des autonomen Fahrens auf der Schiene sind wesentlich geringer als beim autonomen Fahren eines Straßenfahrzeuges. Einfach gesagt: Es gibt nur Fahren oder Bremsen.“

Als Grundvoraussetzung für den Einsatz mittels künstlicher Intelligenz gesteuerter autonomer Fahrzeuge verweist Köhler auf eine grundlegende Sanierung und Instandhaltung der Gleis- und Weichenanlagen. „Eine Grundvoraussetzung für den Einsatz der KI-gesteuerten autonomen Fahrzeuge ist selbstverständlich eine grundlegende Sanierung und Instandhaltung der Gleis- und Weichenanlagen“, heißt es im Antrag. „Eine KI kann nicht an einer Kreuzung mit dem Weichen-Stellhebel aussteigen, weil die Weiche versagt.“

Im Juni 2019 kündigten die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) schon an, dass sie ab Mitte der 2020er Jahre gemeinsam mit den Görlitzer Verkehrsbetrieben den Einsatz automatisierter Straßenbahnen testen wollen. Was die Freibeuter-Fraktion beantragt, wäre dann schon einen Schritt weiter gedacht und skizziert ein Straßenbahnnetz, das sich künftig den Bedürfnissen der Leipziger Fahrgäste KI-gesteuert anpasst.

Die Verweisung des Antrags in die Gremien ist für die Ratsversammlung am 16. September 2020 vorgesehen.

Görlitz und Leipzig wollen ab Mitte der 2020er Jahre automatisierte Straßenbahnen einsetzen

Görlitz und Leipzig wollen ab Mitte der 2020er Jahre automatisierte Straßenbahnen einsetzen

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Es gibt 2 Kommentare

Wie darf man sich das aus Nutzersicht vorstellen?
Angenommen ich fahre mit einer Bahn, die regulär von Grünau zum Bayrischen Platz fährt.
Die Mehrheit der Fahrgäste hat aber in ihrer App eingegeben, dass sie nach Gohlis will.

Muss ich dann in eine andere ‘Wundertüte’ umsteigen oder gibt es dann ein VIP-Abo, das die KI für mich zur ursprünglichen Streckenführung zwingt?

Wobei die KI wahrscheinlich die Passagiere als unberechenbaren Risikofaktor einstufen würde,
und die Türen deshalb grundsätzlich nicht öffnet ^^

Im Ernst. Gemeinschaftlicher Verkehr kann niemals ein Individualverkehr sein.

Und ob man bei “Stau” die nächste Bahn nimmt, hängt ja eher mit der Verlässlichkeit der Anzeigetafeln zusammen.

Und der (vermutlich) eher seltene Fall, dass sich Bahnen auf der Strecke stauen,
eine Durchsage in der Bahn: Bitte in die dahinterstehende Bahn umzusteigen, weil diese Bahn als “E”-Bahn demnächst endet, geht ja jetzt schon
und ist an entsprechende Doppelhaltestellen und Wendeschleifen gebunden.

Dass es auf einer Strecke staut und auf einer anderen, kreuzenden Strecke Bahnen fehlen,
wird wohl eher ein nettes Computer-Simulationsspiel für Gamer sein.

Wichtiger wäre wahrscheinlich, den Schicht-Arbeitsbetrieb für Straßenbahn-/Bus-Steuernde attraktiver zu gestalten also
bei den Fahrzeiten/Streckenführung auch die Fahr-/Pausenzeiten der FahrerInnen mehr zu beachten.

Ohne Fahrzeugsteuernde landet man ansonsten wahrscheinlich ganz schnell bei MIV-Flug-Autos..
um das autark von den urbanen Gegebenheiten zu gestalten.

Eine Stadt muss von Menschen mit Menschen gestaltet und gelebt werden,
meine ich.
Und da gehört “der wütend klingelnde Straßenbahnfahrer” dazu, mindestens wenn ein Auto die Schienen blockiert ^^

Deshalb bin ich auch dafür, aus kosten- und zeitsparenden Gründen den Sebastian als Gutachter einzusetzen, Dankeschön dafür 😉

Nach eingehender Prüfung wurde der Antrag abgelehnt, da man nicht davon ausgeht, dass die KI im Jahr 2040 in der Lage sein wird, zuverlässig heran eilende Mütter oder Väter mit Kinderwagen zu erkennen, um dann rechtzeitig die Türen zu verschließen und davon fahren zu können.

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