Hat Leipzig nun einen angespannten Wohnungsmarkt? Oder ist nur die Situation angespannt, wie es die Vertreter der Leipziger Wohnungsgenossenschaften am Dienstag, 14. August, bei ihrem Pressefrรผhstรผck anklingen lieรen? Hat Leipzig tatsรคchlich schon โMรผnchner Verhรคltnisseโ? โNeinโ, sagt Axel Viehweger aus dem Vorstand des Verbandes der sรคchsischen Wohnungsgenossenschaften.
Die Leerstandsquote der Leipziger Wohnungsgenossenschaften betrรคgt aktuell 7,2 Prozent. Dies entspricht bei einem Gesamtbestand von 53.313 Wohnungen insgesamt 3.814 Wohnungen, die momentan leerstehen. Im Vergleich zu den Dresdener Wohnungsgenossenschaften (2,0 Prozent Leerstand) und den Chemnitzer Wohnungsgenossenschaften (6,7 Prozent Leerstand) ist dieser im Ballungszentrum Leipzig am hรถchsten. Die LWB meldet 4 bis 5 Prozent Leerstand. Nur die stรคdtischen Zahlen sind mit 2 bis 3 Prozent deutlich geringer.
Was aber Grรผnde hat.
โUnsere Leerstandsressourcen konnten die letzten Jahre kontinuierlich durch gezielte Aufwertung der Bestรคnde abgebaut werden. Dennoch verfรผgen allein die Wohnungsgenossenschaften รผber fast 4.000 leerstehende Wohnungen im gesamten Stadtgebiet. Entgegen den Prognosen der Stadt Leipzig wird daher nicht zwingend neuer Wohnraum benรถtigt, wenn dieser doch schon vorhanden istโ, erklรคrten die Vorstรคnde der Leipziger Wohnungsgenossenschaften.
Im vergangenen Jahr investierten die Leipziger Wohnungsgenossenschaften insgesamt 88,8 Millionen Euro in ihre Leipziger Bestรคnde โ 19,7 Millionen Euro flossen dabei in den Neubau von 262 Wohnungen, 23,2 Millionen Euro in die Modernisierung und 45,9 Millionen Euro in die Instandhaltung und Sanierung der Bestรคnde. Im Geschรคftsjahr 2018 wird diese Summe auf fast 100 Millionen Euro gesteigert (94 Millionen).
Fรผr den Neubau werden 17,2 Millionen Euro, fรผr die Modernisierung 29,4 Millionen Euro und fรผr die Instandhaltung 47,8 Millionen Euro investiert. Dieses Geld flieรt gleichzeitig wieder in die Leipziger Wirtschaft durch Beauftragung lokaler Handwerksbetriebe und Geschรคftspartner, betonen die Genossenschaften.
Der wirtschaftliche Aspekt ist ihnen wichtig: Hier wird nicht drauflosgebaut, um vielleicht mal fรผr ein berechnetes Bevรถlkerungswachstum gerรผstet zu sein, sondern โmit Augenmaรโ, wie Jรถrg Keim von der WBG โKontaktโ betont. Der grรถรte Teil der jรคhrlichen Investitionen flieรt in die Sanierung und wieder Verfรผgbarmachung der eigenen โ oft denkmalgeschรผtzten โ Bestรคnde.
Und zwar auch jener Bestรคnde in Ortsteilen, die nun ein Vierteljahrhundert lang eher die Stiefkinder der Leipziger Stadtpolitik waren: Sellerhausen, Paunsdorf, Schรถnefeld, Mockau, Groรzschocher, aber auch Grรผnau. Alles eher von DDR-Wohnungsbau geprรคgte Gebiete am Stadtrand, die erst in den vergangenen drei, vier Jahren wirklich zum Umzugsziel vieler Leipziger geworden sind.
โEs kรถnnen nicht alle in der Sรผdvorstadt wohnenโ, sagt Wolf-Rรผdiger Kliebes von der VLW. Trotzdem wollen es viele. Und deshalb sind auch im Wohnungsbestand der Genossenschaften die Wohnungen im Innern der Stadt praktisch voll vermietet. Und deshalb sind die Leerstรคnde dann โweiter drauรenโ in Sellerhausen, Paunsdorf usw. umso grรถรer. Diese Wohnviertel hatte die Stadtplanung wirklich lange nicht auf dem Schirm. Aber mit dem neuen Integrierten Stadtentwicklungskonzept (INSEK) รคndert sich das. Muss sich auch รคndern, denn einige dieser Wohngebiete leiden auch unter einem schlechten Ruf. โUnd ich weiร eigentlich nicht, woher das kommtโ, sagt Kliebes.
Leser der Leipziger Zeitungen wissen es schon. Einige Redaktionen machen sich ja gern einen Sport daraus, einige Wohngebiete gezielt ins Negative zu schreiben. Selbst dann, wenn sich die Probleme kaum von anderen Stadtgebieten unterscheiden.
Aber so ganz unbeteiligt ist die Stadtplanung daran auch nicht. Sie hat sich รผber Jahre schwergetan, diese Wohnquartiere zu Entwicklungsschwerpunkten zu machen und damit auch fรผr Menschen attraktiv zu machen, die nicht aus Not hinziehen, weil sie sich innerstรคdtische Mieten nicht mehr leisten kรถnnen. Was aber trotzdem passiert. Und auch daran ist die Stadt nicht ganz unschuldig, denn wer KdU-Ansรคtze vorgibt, fรผr die man im Stadtinneren keine Wohnung mehr findet, der zwingt Bedarfsfamilien, an den Stadtrand zu ziehen. Die viel zitierte โSegregationโ passiert also trotzdem oder gerade deshalb.
Was aber fรผr Kliebes eben nicht heiรen kann, dass diese Wohnquartiere die Rote Laterne behalten. Und ein Thema ist fรผr ihn ganz zentral: Die Anbindung an den รPNV. Denn dass viele Leipziger dort nicht wohnen wollen, hat auch mit der oft ungenรผgenden Ausstattung mit Bus- und Straรenbahnanschlรผssen zu tun. Was รผbrigens auch die Bรผrgerumfragen zum Thema bestรคtigen.
Und nicht nur das LVB-Angebot spielt bei der Bevรถlkerungsentwicklung eine Rolle.
Fast lustvoll schildert Axel Viehweger die Mรผnchner Zustรคnde, wo man selbst mit der S-Bahn aus den Stadtrandbereichen eine Stunde Fahrzeit hat bis zum Arbeitsort. Und die S-Bahnen in Mรผnchen sind voll. Kein Vergleich mit Leipzig. Und deshalb findet es Viehweger auch fatal, wenn Leipzigs Stadtplaner sich immer nur aufs Leipziger Stadtgebiet fokussieren, wenn selbst in den Stรคdten direkt im S-Bahn-Netz auch noch groรe Bestรคnde an Genossenschaftswohnungen leerstehen.
Er nennt Borna, Delitzsch, Wurzen. Eilenburg bewirbt sich ja schon lange als โDas Beste an Leipzigโ. Und anders ginge es auch nicht. Beim Thema Wohnen mรผsste Leipzigs Verwaltung endlich den ganzen Groรraum Leipzig in den Blick nehmen. Aus Delitzsch braucht man mit der S-Bahn keine Stunde ins Stadtzentrum, sondern nur 17 Minuten.
Aus seiner Warte gibt es in Leipzig keinen Grund, beim schrumpfenden Leerstand jetzt in Panik zu verfallen.
Entsprechend schlecht kam dann auch ein Termin in der Verwaltung an, bei dem die Wohnungsgenossenschaften von der Baubรผrgermeisterin verpflichtet werden sollten, 500 bis 700 neu gebaute Wohnungen jedes Jahr zu garantieren. โSo etwas kann man nicht unterschreiben, wenn man seiner Verantwortung gegenรผber den Mitgliedern gerecht werden willโ, sagt Kliebes. Wobei es auch eine ebenso heftige Begegnung mit OBM Burkhard Jung gegeben haben soll, wie Axel Viehweger berichtete. Der setzt nun augenscheinlich auf die Losung โBauen, Bauen, Bauen!โ Als wรคre Bauen die Lรถsung fรผr die Leipziger Wohnungsprobleme.
Aber Viehweger muss nur auf die Baukosten schauen, um zu sehen, dass das nicht funktioniert.
Aktuell ist es keinem Bauherren mรถglich, so preiswert zu bauen, dass hinterher eine Kaltmiete unter 9,80 Euro herauskommt. Auf 6,50 Euro kommt man im Neubau nur mit der Fรถrderung fรผr sozialen Wohnungsbau des Freistaats.
Aber wer soll in Wohnungen fรผr 9,80 Euro einziehen, wenn die Durchschnittseinkommen der Leipziger in der Regel gerade mal fรผr 5 bis 6 Euro reichen? Entweder zahlt der Bauherr hinterher drauf โ oder diese Wohnungen stehen dauerhaft leer, weil die Mieter dafรผr fehlen.
Auch die privaten Investoren, die am Hauptbahnhof, am Eutritzscher Freiladebahnhof oder am Bayerischen Bahnhof bauen, stehen vor dem Problem. Selbst dann, wenn sie die Wohnungen erst einmal nur als Anlageobjekt fรผr Kรคufer in Bayern bauen, die nie nach Leipzig kommen werden. Aber um die Investition und die Rendite einzuspielen, mรผssen die Wohnungen dann trotzdem fรผr 11 bis 14 Euro vermietet werden.
Da hilft der Ruf des OBM nach mehr Neubau รผberhaupt nicht.
Und die Baukosten steigen praktisch monatlich, sagt Viehweger. Die Baufirmen sind bis zur Kante ausgelastet.
Und die Wohnungsgenossenschaften signalisieren deutlich, dass sie auf die Wรผnsche der Stadt so nicht eingehen kรถnnen. โWir werden neu bauen, keine Frageโ, sagt Jรถrg Keim. โAber mit Augenmaร und nur da, wo der Neubau fรผr uns auch Sinn macht.โ
Und den Lรถwenanteil der Gelder wolle man auch in den nรคchsten Jahren lieber in Sanierung und Modernisierung investieren, um die vorhandenden Bestรคnde zu sichern oder auch รผberhaupt erst einmal wieder verfรผgbar zu machen.
Was dann auch in fรผnf Forderungen an die Leipziger Stadtverwaltung mรผndet.
Fรผr ein zukunftssicheres Leipzig fordern die Leipziger Wohnungsgenossenschaften gemeinsam:
โ eine konstruktive, lรถsungsorientierte Stadtverwaltung,
โ einen transparenten Umgang mit den Daten zur aktuellen Marktsituation,
โ eine ausgewogene Stadtentwicklung anstelle einer Fokussierung auf die Entwicklung in sogenannte Trendviertel,
โ eine bedarfsgerechte Anpassung der Kosten der Unterkunft und
โ die Nutzung vorhandener Leerstandsressourcen vor Nachverdichtungs- und Neubaustandorten.
Sozialer Wohnungsbau und KdU passen in Leipzig รผberhaupt nicht zusammen
Sozialer Wohnungsbau und KdU passen in Leipzig รผberhaupt nicht zusammen
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Vor allem die bedarfsgerechte und zeitnahe Anpassung der KdU-Sรคtze ist wichtig. Mit den derzeit gรผltigen, seit mehr als 2 Jahren รผberfรคlligen und damit lรคngst รผberholten KdU-Sรคtzen ist es jedenfalls kaum mehr mรถglich, eine Wohnung anzumieten, selbst im unteren Standard und Sanierungszustand ist fรผr die Preise nur mit viel Glรผck noch was zu bekommen