Die Corona-Pandemie hat unseren Blick auf das Thema Abfall verändert. Aber herumliegende Masken sind nur ein Nebenschauplatz, sagt HTWK-Verpackungsexperte Prof. Eugen Herzau. Durch die Pandemie werde lediglich sichtbar, was schon da war, auch beim Thema Abfall. Verpackungen bleiben generell problematisch.

Auf den Straßen fallen derzeit viele gebrauchte Mund-Nasen-Masken auf – dennoch ist der „Pandemie-Abfall“ ein bislang eher wenig beachteter Aspekt von Corona. Laut WHO entstehen durch Corona Millionen Tonnen zusätzlichen (Plastik-)Mülls, der ja ohnehin ein globales Problem ist. Von welchen Materialien sprechen wir vor allem?

Durch die Pandemie ist auf jeden Fall der Verbrauch an Verpackungswerkstoffen ganz grundsätzlich weiter gestiegen – das bedeutet automatisch, dass auch mehr Abfall entsteht. Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe: Zum einen der gewachsene E-Commerce, also der Onlinehandel. Zum anderen natürlich der Medizinbereich: Impfen und Testen.

Das Zubehör ist Einweg-Ware und muss aus hygienischen Gründen steril sein, und das ist mit erheblichem Verpackungsaufwand verbunden. Die Verpackungen bestehen aus beschichtetem Papier, Kunststoffen oder Kunststoffverbunden, das bedeutet in den meisten Fällen, sie sind weniger gut zu recyceln. Es einfacher zu gestalten, ginge jedoch zulasten der Sterilität der Medizinprodukte und der sogenannten „Maschinengängigkeit“.

Die Vorgaben dafür sind sehr speziell und die Vorlaufphasen der Entwicklung sehr lang, ein Jahr mindestens. Auf der anderen Seite sind solch strenge Vorgaben sehr wichtig, denn sie bringen Sicherheit. Und diese Sicherheit für uns Menschen geht im Zweifel vor den Umweltschutz.

Also hat Corona auch diese Art von „Abfallproblem“ lediglich sichtbar(er) gemacht?

Ja – „Die Krise ist eine Lupe“. Corona wirkt als Katalysator für vieles, macht bewusst, was längst bekannt ist. Die weggeworfenen Masken fallen im Moment gerade sehr auf – das ist nicht schön, aber im Vergleich zu anderem, „normalem“ Abfall ist das Aufkommen dennoch verschwindend gering.

Meine Meinung: Wir sollten zunächst erst einmal das richtig recyceln, wofür wir bereits die Systeme haben, und weltweit brauchen wir mehr Anreizsysteme für die Kreislaufwirtschaft. Wir müssen Abfälle als Wertstoffe erkennen und diesen ein „neues Leben“ geben.

Welche Alternativen bzw. alternative Materialien gibt es bzw. wird es geben?

Generell zählen die Abfälle aus Arztpraxen und Kliniken nicht als Abfälle, sondern sie sind meist Sondermüll. Da sie schlecht recycelbar sind, gibt es dafür ohnehin eigene Entsorgungssysteme – dieser Müll muss verbrannt werden, und zwar alle verwendeten Materialien zusammen, schon wegen der Sicherheit, denn es können pathogene Keime darin sein. Doch wenigstens kann daraus noch Energie gewonnen werden. Das wird auch so bleiben.

Grundsätzlich müssen medizinische Wirkstoffe, damit sie wirken können, Substanzen sein, die etwas auslösen. Und das funktioniert nur, wenn sie sich während des Transports und der Lagerung nicht verändern. Meist handelt es sich um chemisch-biologische Substanzen, die sehr empfindlich sind, weil sie z. B. mit Sauerstoff, Wasser o.ä. reagieren würden.

Die Verpackung muss diesen Wirkstoff deshalb vor allen möglichen Einflüssen schützen, oftmals auch vor Licht. Oder nehmen wir das Beispiel des Biontech-Impfstoffs – dieser braucht eine spezielle Kühlkette, er ist sehr empfindlich und nach dem Auftauen nur wenige Stunden halt- und verimpfbar. Das ist noch viel krasser als bei Lebensmitteln, und das leuchtet auch ein.

Die HTWK Leipzig begeht 2022 das Jubiläum ihres 30-jährigen Bestehens. Was ist Ihre Vision: Wie sehen Verpackungen in 30 Jahren aus?

Wir werden sicher Veränderungen haben, aber auch vieles – wie Glasbehälter zum Beispiel – behalten. Wir nutzen Glas seit mehr als 300 Jahren, das hat sich bewährt – warum sollte das verschwinden? Auch Metall werden wir weiter nutzen, vielleicht in anderen Formen als der guten alten Dose, anders konstruiert.

Auch (beschichtetes) Papier bleibt interessant. Wir bereiten gerade Versuche vor, um bei uns im Labor mit Studierenden die Recyclingfähigkeit von beschichteten Papieren zu untersuchen.

Die Verpackung in 30 Jahren wird extrem optimiert sein, v. a. hinsichtlich der eingesetzten Materialien, sie wird ressourcenschonender und sehr funktionell sein. Wir werden in den nächsten Jahren vor allem technologische Veränderungen erleben: die zwei großen Trends sind Recyclingfähigkeit und „Convenience“, also Bequemlichkeit bzw. bequeme Handhabung: wiederverschließbar, gut entleerbar, sogar personalisiert.

Wir werden viele papierbasierte Verpackungen haben und Kunststoffe weiterhin dort, wo es alternativlos ist: im Medizin- und Lebensmittelbereich, also dort, wo es vor allem um Frische – denken Sie an Tiefkühlkost – Hygiene und Haltbarkeit geht.

Wichtig ist mir – wir als Verbraucherinnen und Verbraucher können und sollten unseren Beitrag leisten: Nur das Notwendige kaufen, nicht jeden Trend mitmachen, Einkaufen als Belohnung oder aus Lust hinterfragen. Eben einfach etwas weniger von allem. Keiner muss leiden oder in Askese leben, aber vielleicht mehr nachdenken – das geht auch im Homeoffice.

Das Interview führte Franka Platz, Pressereferentin der HTWK Leipzig.

Den Studiengang Verpackunstechnologie und Nachhaltigkeit findet man hier.

Der nächste Hochschulinfotag für alle Studiengänge an der HTWK ist am Samstag, 7. Mai (direkt anschließend „Lange Nacht der Computerspiele“).

Die Webseite zur Studienorientierung der HTWK findet man hier.

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