Die Corona-Krise zeigt nicht nur, welche Berufsgruppen tatsächlich systemrelevant und nicht ersetzlich sind. Sie zeigt auch, wer sofort in Nöte gerät, wenn alle öffentlichen Veranstaltungen abgesagt werden. Und wie unfähig heutige Politiker inzwischen sind, all jene Selbstständigen überhaupt mitzudenken, die das ganze Risiko der Selbstvermarktung tragen und in den vergangen Jahrzehnten erlebt haben, wie ihre Arbeit immer mehr prekarisiert wurde. Das thematisieren jetzt ein Offener Brief an Leipzigs OBM und eine Forderung der Gewerkschaft ver.di.

Denn all die schnellen Hilfsprogramme für die Wirtschaft entpuppen sich, nachdem sie veröffentlicht wurden, wieder nur als die üblichen Hilfsprogramme für die üblichen Branchen, die sich über ihre Wirtschaftsverbände immer den direkten Zugang in die Ministerien gesichert haben. Sie prägen das politische Bild von Wirtschaft.

Doch meistens haben die hier versammelten Unternehmen sogar noch Puffer, können ausweichen und sich umorganisieren.

Sofort und ohne jegliche Puffer aber trafen die Absagen sämtlicher Veranstaltungen im März die Solo-Selbstständigen, die in all den Milliarden-Hilfspaketen nicht mal ein einziges Angebot für sich finden.

Das kritisiert die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Die zur Verfügung gestellten Soforthilfen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen schließen den Kreis von Solo-Selbstständigen im Haupterwerb, also freiberufliche Künstler/-innen, Journalist/-innen und solche Freiberufler/-innen, die zum Beispiel an Musikschulen auf Honorarbasis Musikunterricht oder Seminare an Volkshochschulen geben, aus der Förderung aus.

„Damit stehen viele Solo-Selbstständige vor dem finanziellen Ruin und können ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten“, so Michael Kopp von ver.di SAT (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), „weil ihre soloselbstständige Tätigkeit einzige Einkommensquelle ist.“

Die Coronakrise treffe diesen Personenkreis daher mit am härtesten, weil durch die Schließung der genannten Institutionen und den kompletten Wegfall von beruflichen Arbeitsmöglichkeiten jegliche Einnahmen wegbrechen. „Viele haben seit Ausbruch der Coronakrise schlicht keinerlei Einkommen mehr“, so Kopp weiter, „und auf Rücklagen können diese oftmals prekär Beschäftigte auch nicht zurückgreifen.“

Wie aus den Richtlinien zur Soforthilfe hervorgeht, werden lediglich Zuschüsse nachgewiesener „Liquiditätsengpässe“ gezahlt, die durch die Coronakrise entstanden sind, also Ausgleiche für „Forderungen“ für deren Begleichung absehbar keine ausreichenden liquiden Mittel zur Verfügung stehen, wie z. B. Miete, Leasingraten usw.

Explizit ausgeschlossen sind Zuschüsse zum Lebensunterhalt oder Entschädigungen für Verdienstausfall – gerade aber dies sei nun notwendig, so Kopp: „Eine freiberuflich tätige Künstlerin oder ein freier Journalist hat in aller Regel weder ein Ladengeschäft oder Büroräume angemietet, noch ein Firmenfahrzeug geleast.“ Diese Soforthilfen, die eigentlich für solche Betroffenheitssituationen geschaffen worden seien, würden in der Realität ins Leere laufen.

ver.di fordert daher vom Gesetzgeber eine Nachbesserung der Soforthilfe-Richtlinien durch die Aufnahme des betroffenen Solo-Selbstständigenkreis in die Förderung, der im Haupterwerb sein regelmäßiges Einkommen inmitten der Coronakrise nicht mehr erwirtschaften kann. Hier muss die Soforthilfe auch dazu dienen, den eigenen Lebensunterhalt finanzieren zu können, ohne auf Hartz-IV angewiesen zu sein.

Am Freitag, 3. April, hatte ein Verbund von Kreatives Leipzig, LiveKommbinat und Leipzig+Kultur einen Offenen Brief an den Leipziger OBM versandt und darin auf existenzbedrohende Lücken in den aktuellen Corona-Hilfsprogrammen hingewiesen. Denn eigentlich hatte auch Leipzig ein Programm mit Soforthilfen geplant.

„Zu Beginn der Krise überboten sich viele Entscheidungsträger aller politischen Ebenen darin, Bekundungen abzugeben, alles zu unternehmen, damit niemand in der Corona-Krise unter die Räder kommt, und nicht zuletzt die Künstler/-innen und Soloselbstständigen in der Kreativwirtschaft sowie die Kulturbetriebe zu schützen“, heißt es im Brief. „Noch vor einer Woche war eine Soforthilfe in Leipzig geplant, wie sie ähnlich in vielen Städten Deutschlands (z. B. in Dresden) zusätzlich zu anderen Hilfen gewährt wird.“

Aber mit Verweis auf die Soforthilfe des Bundes sagte Leipzig sein Programm wieder ab.

Das Bundesprogramm nutzt aber gerade Freischaffenden überhaupt nichts.

„Diese Entscheidung wird in der Leipziger Kultur- und Kreativszene fatale Folgen nach sich ziehen, denn leider ist der Soforthilfe-Zuschuss des Bundes, welcher seit Montag (30.03.2020) abgerufen werden kann, für Solo-Unternehmer/-innen nur bedingt hilfreich, da trotz massiver coronabedingter Umsatzverluste keine Unternehmergehälter geltend gemacht werden können. Den Kultur- und Kreativschaffenden bleibt zur Absicherung ihrer Ausgaben somit lediglich die Corona-Grundversorgung (ALG II) als Option“, heißt es im Brief.

„Da laufende Ausgaben wie z. B. Altersvorsorge, Krankenversicherung u. Ä. trotz der Umsatzausfälle weiterhin erbracht werden müssen, droht zwangsläufig ein massiver, flächendeckender Liquiditätsnotstand. Wenn man dazu noch die Auszahlungsfrist der Bundesagentur für Arbeit von mindestens 8 Wochen hinzuzieht, wird klar, vor welchem existenzbedrohenden Problem Soloselbstständige in Leipzig stehen.“

Aber auch die eigentlichen Auftraggeber der Freien Künstler stehen im Regen.

„Aber nicht nur die Soloselbstständigen, Freiberufler/-innen und Kleinstunternehmen stehen vor der Herausforderung coronabedingter Umsatzausfälle und unzureichender Hilfestellungen durch Bund, Land und Kommune. Insbesondere Unternehmen ab 10 Mitarbeiter/-innen, zu denen zahlreiche Leipziger Kreativwirtschaftsunternehmen sowie auch einige Kulturbetriebe und Musikspielstätten gehören, haben keine Möglichkeit, dringend benötigte Zuschüsse in Anspruch zu nehmen“, betont der Offene Brief.

„Ein Blick über den sächsischen Tellerrand hinaus zeigt, dass das Land Sachsen das einzige Bundesland im Osten Deutschlands ist, welches in Bezug auf den Unterstützungsbedarf von Unternehmen ab 10 Mitarbeiter/-innen auf Bundeshilfen verweist und sie damit in Bezug auf Zuschüsse im Regen stehen lässt. Im Gegensatz dazu unterstützen die Länder Brandenburg und Thüringen Unternehmen bis 50 Mitarbeitenden mit Soforthilfen bis zu 30.000 €, das Land Sachsen-Anhalt mit bis zu 25.000 €. Das Fehlen eines solchen Programms in Sachsen, resp. Leipzig, ist aus unserer Sicht ein unverantwortbarer Zustand, da er die für den Standort Leipzig so außerordentlich wichtige Infrastruktur im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft existentiell gefährdet.“

An Oberbürgermeister Burkhard Jung kann der Brief freilich nur appellieren, im Rahmen seiner Möglichkeiten „Einfluss zu nehmen und mit Blick auf die notleidende Leipziger Wirtschaft mit lauter Stimme in Richtung Dresden, aber auch in Ihrer Funktion als Präsident des Deutschen Städtetages nochmals in Richtung Bund zu sprechen und auf diese gefährliche Lücke in den bisherigen Hilfsprogrammen hinzuweisen. Wir bitten Sie gleichermaßen, für Leipzig zu prüfen, welche Unterstützungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene realisierbar sind.“

Der Offene Brief.

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Es gibt 4 Kommentare

Michael hat es ausführlich erklärt. Es geht darum, jenen, denen quasi die Bühne, die Galerie, der Vorlesetisch etc. genommen wurde (das gilt gleichermaßen für die Beleuchter, Masken- und Bühnenbilder usw.) und die von ihrem Publikum abgeschnitten wurden, eine ERSTE HILFE zukommen zu lassen, ohne dass sie gleich von der Selbstständigkeit in die Arbeitslosigkeit wechseln müssen.
Hoch- und Volkshochschulen, die “freien” Referenten brutto 17 €/Stunde bezahlen, gehören endlich an den Pranger gestellt. Ebenso alle anderen staatlich geförderten Einrichungen, die Künstler weit unter Tarif vergüten. Sie haben die Misere mit herbeigeführt.
Gegenwärtig gibt es den “Leipziger Kulturfallschirm”, den all jene mit aufspannen sollten, die über ein nennenswertes Einkommen verfügen und Solidarität auch leben wollen. Helft hier: https://www.startnext.com/leipziger-kulturfallschirm

@Christof: „Für den Lebensunterhalt besteht in Deutschland sogar ein Auffangnetz durch die Arbeitslosenunterstützung durch Hartz II bis IV. Das ist sicher nicht gerade üppig, aber jeder Arbeitslos werdende Angestellte oder Berufstätige muss auch damit zurechtkommen.“ Das ist richtig, geht aber haarscharf an jenem Punkt der Ungerechtigkeit vorbei, der die Freischaffenden in Sachsen so wütend macht. Solche Aussagen hören sie stets von Festangestellten, die weiterhin ihr volles Gehalt beziehen, selbst wenn sie in Home Office arbeiten, oder zumindest 60-80% vom Lohn als Kurzarbeitergeld erhalten – bevor sie denn evtl. irgendwann mal arbeitslos werden. Für die steht der Staat monatelang gerade, mit Steuergeldern, die auch von jenen Solo-Selbständigen erarbeitet wurden, welche jetzt in Sachsen im Regen stehen gelassen werden. Und Grundsicherung ist eben keine versprochene „schnelle, unbürokratische Hilfe mit der Bazooka“ – die Berechnung dauert 8 Wochen und sehr viele Betroffene werden sie wegen des Bedarfsgemeinschaftskonstrukts gar nicht bekommen. Es werden hunderte Familien zum Umzug gezwungen sein, weil sie die realen Kosten der Unterkunft nicht bezahlt bekommen. Wohin? Sie werden aus der Künstlersozialkasse geschmissen, weil sie das dortige Mindesteinkommen nicht mehr generieren können. Es ärgert die Kreativen, dass ihre Honorare seit Jahren unter den Mindestlohn gedrückt werden und die wenigsten etwas ansparen konnten (auch keine Arbeitslosenversicherung), währenddessen sich Angestellte mit ordentlichen Gehältern abends vergleichsweise preiswert von den Bühnen herab oder daheim mit einem guten Buch unterhalten ließen. Nicht vergessen: Die moderaten Preise dafür resultieren aus der Ausbeutung von Künstlern und Autoren. Und nun gibt es von den Angestellten keine Empathie, sondern allerorts Selbst-Schuld-Sprüche und die Politik spart erneut auf Kosten der Freischaffenden – demnach vor, während und ganz sicher nach der Krise. Alle anderen Bundesländer haben den Wert einer funktionierenden Kulturlandschaft erkannt und zahlen ihren Kreativen wenigstens einen kleinen, nicht zurückzahlbaren Zuschuss. Alle – selbst so arme Bundesländer wie Mecklenburg oder Sachsen-Anhalt! Nur in Sachsen hält man das nicht für nötig, behandelt seine Freischaffenden als Menschen zweiter Klasse. Das ist es, was die Leute ärgert: dass der Gleichheitsgrundsatz missachtet wird. Aber wenn dann nach Corona die LTM GmbH wieder mit der hiesigen Kulturszene und „Hypezig“ angeben will, dann ist womöglich Schluss mit dem tollen „weichen Faktor“, der potente Auswärtige in die „spannende Stadt Leipzig“ zieht, wo sie Geld ausgeben und auch Angestelltengehälter mitfinanzieren. PS: Ihr Verweis auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist sowas von richtig und ich habe dafür Petitionen unterzeichnet. Da es danach aber auf absehbare Zeit überhaupt nicht aussieht, bedarf es einer SOFORThilfe, die ihren Namen verdient – wenigstens für drei Monate.

Noch eine Ergänzung zum Artikel – Blinder Fleck: Solo-Selbstständige – nach dem Satz ” Für den Lebensunterhalt besteht in Deutschland sogar ein Auffangnetz durch die Arbeitslosenunterstützung durch Hartz II bis IV.” wäre noch hinzuzufügen: Wichtiger als diese Arbeitslosenunterstützung wäre aber in jedem Fall die Notwendigkeit zur Einführung einer Grundsicherung oder eines Bürgergeldes für alle Bürger in der EU. ck

Zum Artikel – Blinder Fleck: Solo-Selbstständige
Mit dem plötzlichen Wegbruch aller Aufträge oder Veranstaltungen kann man als Solo-Selbsttändiger nur ganz schwer umgehen, darauf ist man nicht eingerichtet. Das ist verständlich und nachvollziehbar. Aber für die Begleichung von Forderungen ob Miete, Versicherungen, Vertragsstrafen gibt es eben diese Förderprogramme. Für den Lebensunterhalt besteht in Deutschland sogar ein Auffangnetz durch die Arbeitslosenunterstützung durch Hartz II bis IV. Das ist sicher nicht gerade üppig, aber jeder Arbeitslos werdente Angestellte oder Berufstätige muss auch damit zurecht kommen.
Die Förderprogramme von Bund, Land und Kommune dienen dazu, die Selbstständigkeit und Eigeninitiative funktionsfähig zu halten, nicht unbedingt dazu, den Lebensstandart der Betroffenen zu sichern. Diese Förderprogramme müssen durch den Staat und somit die Gemeinschaft finanziert werden. Diese Schulden bezahlen letztendes immer und ausschließlich die Steuerzahler. Und auf diese kommen nach dem Abflauen der Virus-Epidemie noch viel mehr Verschuldungen zu, denn die Wirtschaft muss wieder in Gang gebracht werden und einige Unternehmen werden trotzdem in die Insolvenz gehen.
ck

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