Am 19. Oktober war ich in der „Handwerkskammer zu Leipzig“ in der Dresdner Straße, um mit dem Hauptgeschäftsführer Volker Lux über Probleme des Handwerks, neue Energien, Herausforderungen durch die Mobilitätswende, den Wärmeplan der Stadt Leipzig und andere Themen zu sprechen.

Handwerksbetriebe sind ja auch Betriebe mit einem Grundstück, mit einer Fläche, mit einem Gebäude und so weiter und so fort. Da gibt es ja auch Potenziale für erneuerbare Energien. Ich weiß, es gibt Betriebe, die das schon machen. Was würden sich denn diese Betriebe und sie als Handwerkskammer an Unterstützung wünschen?

Also eine Unterstützung, die wir seit zwei Jahren leisten, haben viele gar nicht auf dem Schirm. Um sich energetisch anders aufzustellen als Betrieb muss ich ja erst mal meine Ist-Situation kennen. Ich muss meine Lasten zu verschiedenen Zeitpunkten, in verschiedenen Zeiträumen kennen. Ich muss wissen, welche Energieträger sind in der Lage, meine individuellen Bedürfnisse zu befriedigen.

Wir haben als Handwerkskammer Leipzig eine Software-Applikation entwickelt, die heißt E-Tool. Die wird jetzt deutschlandweit eingesetzt. Wir führen gerade auch ein Modellprojekt mit dem Kulturdezernat der Stadt Leipzig durch.

Das heißt, die Betriebe, die das einsetzen, kriegen danach in eine ganz klare Auswertung darüber, wie sind meine Verbräuche, in welchen Zeiträumen? Wäre eine PV-Anlage für die Lasten, die in meinem Unternehmen sind, das Richtige, ist diese PV-Anlage, die ich dann einsetzen könnte förderfähig, also es werden ganz viele Fragen beantwortet, mit dem Einsatz des E-Tools.

Sie machen also die energetische Analyse des Betriebes und sagen dann: Was gibt es für Möglichkeiten etwas zu ändern und inwieweit ist das förderfähig?

Das Angebot gibt es und das wird wirklich gut genutzt. Die zweite Seite, die mich persönlich bei diesem Thema furchtbar ärgert, ist, dass ich seit einem Jahr eine PV-Anlage auf dem Dach in unserem Bildungszentrum in Borsdorf habe und die nicht betreiben darf. Und wenn wir uns jetzt mal ganz ehrlich machen, dann könnte man ja die Frage stellen: Ist diese Energiewende wirklich gewollt? Oder es ist nur ein Dahergeplauder und wir können es gar nicht, weil wir in unserem Land manche Dinge gar nicht mehr können?

Ich würde meinen Betrieben gerne mehr Mut machen, sich alternativen Energien zu stellen. Wenn die dann aber nach Borsdorf kommen und sehen diese PV-Anlage für 200.000 Euro, die nichts produziert, weil das Regelwerk dem entgegensteht, dann fällt es mir recht schwer, denen Mut zu machen.

Es ist immer das gleiche Problem, ob Industrie oder Handwerk: Verwaltung und Bürokratie sind überall. Sie wissen, was jetzt kommt – Thema Fachkräfte. Sie haben anfangs ja schon über Ausbildung gesprochen, die Handwerkskammer bildet selber aus.

Ja.

Wie kann man das Handwerk für junge Leute attraktiver machen? Es fehlt ja nicht daran, dass Sie ausbilden, sondern es fehlen Leute, die auch ausgebildet werden wollen.

Das stimmt. Also erst mal sind Sie mit Ihrer Einschätzung schon viel weiter als mancher in der Politik. Es gibt Politiker, die glauben, man müsste die Wirtschaft zu einer Ausbildungsgarantie verpflichten. Das ist überhaupt nicht das Problem. Das Problem ist das, was Sie beschreiben. Der Wunsch auszubilden ist sehr, sehr stark ausgeprägt, aber die Bewerber fehlen. Wir haben das Delta auf einer ganz anderen Seite.

Wenn ich mir angucke, in unserem Kammerbezirk haben wir in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr 6,5 Prozent mehr Lehrverträge abgeschlossen. Und dieser Trend setzt sich seit 2015 fort. Es ist immer noch zu wenig, das ist Fakt, wir können viel mehr verkraften.

Blick auf das Bildungszentrum der Handwerkskammer zu Leipzig in Borsdorf. Foto: Handwerkskammer zu Leipzig
Das Bildungszentrum der Handwerkskammer zu Leipzig in Borsdorf. Foto: Handwerkskammer zu Leipzig

Kurze Zwischenfrage, 6,5 Prozent mehr Lehrverträge – das heißt ja nicht zwangsläufig in 3 Jahren 6,5 Prozent mehr Gesellen. Es ist ja immer ein wichtiges Thema, die Abbrecher.

Wirklich ohne Ausbildungsabschluss beenden zwischen 6 und 8 Prozent. Wenn man Statistiken dazu befragt, es steht da immer eine größere Zahl drin. Weil, wenn wir unsere Lehrverträge erfassen, die werden in die sogenannte Lehrlingsrolle eingetragen. Wenn ein Lehrling während der Ausbildung den Betrieb wechselt, endet das Lehrverhältnis und ein neues beginnt.

Aber das beendete Lehrverhältnis wird als abgebrochen bewertet. Auch junge Leute, die ihre Gesellenprüfung nicht beim ersten Mal schaffen, und ein halbes Jahr dranhängen oder eine Nachprüfung haben, die haben erst mal abgebrochen und setzen neu an. Also man kann sagen, 6 Prozent gehen aus dem System ohne Abschluss. Das ist für uns gar nicht die kritische Größe. Für uns ist die kritische Größe: Wie viele kriegen wir wirklich zum Beginn rein?

Und es ist kein Geheimnis: Unsere Kammer hat ein Projekt, das nennt sich Berufsorientierung. Und was machen wir dort? Wir haben fünf festangestellte Mitarbeiter, die fahren in Schulen und machen dort mit den Siebtklässlern Potentialanalysen. In einer 1:1-Betreuung, ein Sozialpädagoge und ein junger Schüler, dann werden diese Potentialanalysen mit den Eltern ausgewertet.

Die Eltern bekommen von ihren Kindern so ein Stärken-Schwächen-Profil. Anhand dieses Profils werden die Schüler dann in der 8. Klasse zwei Wochen lang, während der Schulzeit, in unserem Bildungszentrum in Borsdorf mit den Berufen konfrontiert, die zu ihrem Stärken-Profil gehören. Und die dürfen in den ausgesuchten vier Berufsfeldern zwei Wochen dort arbeiten und sich ausprobieren.

Dieses Projekt ist ein bisschen gefördert vom Kultusministerium. Damit machen wir aber in der Kammer ein jährliches Defizit von 630.000 Euro. Und unsere Handwerker, unsere Vollversammlung, sind bereit dieses Gelds zu investieren, weil sie wissen, dass es unsere Zukunft ist.

Das ist der eine Punkt. Wir haben diese Verträge mit 19 Schulen, drei Gymnasien und 16 Oberschulen. Daran sieht man schon, wir haben eine kalte Lötstelle, wir würden gerne noch viel mehr Berufsorientierung an Gymnasien machen. Wenn wir schon den Trend haben, dass sich mehr junge Menschen, Mädchen und Jungen, für das Gymnasium entscheiden als früher, dann ist es nicht unsere Aufgabe, dagegen zu wettern: Warum macht ihr alle Abitur?

Sondern es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Abiturienten sich danach auch für einen Handwerksberuf entscheiden können. Allerdings sind die Gymnasien bei dem Thema Berufsorientierung sehr hartleibig. Die würden oft gerne, wie ich sage, in Schönheit sterben, also in Studienorientierung. Allerdings, die Schulleiter auf den drei Gymnasien, die sich darauf eingelassen haben, empfinden das als sehr bereichernd.

Weiter mit dem Fachkräfteproblem, wir hatten vorhin gesagt: Es sind 90.000 Beschäftigte und 3.500 Lehrlinge in allen drei Lehrjahren zusammen, die Altersstruktur in den Handwerksbetrieben ist ja auch ein Problem. Da gibt es wahrscheinlich teils überalterte Betriebe, wo 3.500 Lehrlinge nicht ausreichen, um die Altersabgänge aufzufüllen. Da schließt sich auch noch die Frage an: Wer macht eine Meisterausbildung? Und wer kann einen Betrieb übernehmen?

Es ist nicht nur die Frage, wer kann den Meister machen, es machen viele, sondern: Welcher Meister ist überhaupt noch bereit, sich selbstständig zu machen.

Und da gibt es vom Februar dieses Jahres eine Erhebung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, dass 80 Prozent der Meisterabsolventen sagen, ich würde mich gerne selbstständig machen, aber das, was ich dann an Bürokratie vor die Brust bekomme, das hält mich davon ab.

Wir müssen es irgendwie schaffen, jungen Menschen Lust auf Selbstständigkeit im Handwerk zu machen. Ihnen erklären, dass man dann nicht der große Kapitalist ist, sondern sein eigener Chef mit Gestaltungsspielraum und mit Freiheiten. Und das Thema Freiheit wird eben bei vielen kritisch betrachtet, weil sie da wenig Freiheit in der Selbständigkeit sehen.

Das sind eigentlich schon die Punkte gewesen, die ich ansprechen wollte. Es gibt wahrscheinlich noch viel mehr von ihrer Seite. Allein zum Thema Bürokratie und der Notwendigkeit des Bürokratieabbaus könnten wir wahrscheinlich Stunden reden.

Zuletzt noch, ich habe die LVZ vom Samstag gelesen, und da wurden Sie zur Wärmewende und zum Wärmeplan der Stadt Leipzig befragt. Sie sind skeptisch, fragen, woher das Geld kommen soll und bezweifeln, ob das Ziel der klimaneutralen Wärmeversorgung erreichbar ist. Sie sagen, dass es nicht genügend Fachkräfte gibt, um bis 2030 die 6 Millionen Wärmepumpen zu installieren.

Das ist aber nur eine geschätzte Zahl, es gibt Übergangsfristen über 2030 hinaus für die Reparatur der alten Heizungen. Natürlich gib es den worst case, dass Öl- und Gaspreise dauerhaft steigen und letztendlich alle umsteigen wollen.

Das ist das zweite Problem. Ich sehe eins noch ganz weit vorne dran. Bei diesem Wärmebeirat,
in dem ich bin, ich bin erst mal der Stadt dankbar, dass wir als Akteur überhaupt den Blick genommen wurden, das ist nicht überall selbstverständlich.

Wenn es darum geht, Wärmeplanung in Leipzig zu machen, setzt man im Moment bei vielen Überlegungen auf das Thema Fernwärme. Das ist eine plausible Herangehensweise, glaube ich. Man muss dann nur zwei Fragen beantworten: Haben wir als Kommune überhaupt das Geld, um unsere Stadt umzugraben, um die Fernwärmerohre in die Erde zu bringen?

Das Zweite ist: Wo kriegen wir die Fernwärme her? Und da setzt die Stadt Leipzig zu einem hohen Maße auf industrielle Abwärme. Ja, unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ist das sehr sinnvoll. Aber, wenn man es zu Ende denkt, die Abwärme für die Stadt Leipzig soll aus der Raffinerie in Leuna kommen. Was wird denn in Leuna verarbeitet? Erdöl. Ist das dann wirklich CO2-neutral? Das Andere ist, wie lange produzieren die da noch mit Erdöl?

Beim Thema Wärmewende habe ich wirklich Bedenken, erst mal beim Thema Fernwärme: Haben wir die Ressourcen an Tiefbaufirmen? Das zweite Thema Wärmepumpe, da hängt ja nicht nur eine Wärmepumpe dran, da hängt die Ertüchtigung unseres Stromnetzes dran. Haben wir die Firmen, die das können?

Das sind verständliche Bedenken, hier fehlen uns noch viele Antworten. Aber gerade da wird deutlich, dass wir die Energiewende nicht ohne das Handwerk schaffen. Ein Schlusswort noch von Ihnen?

Wir würden an dem Thema alle viel schneller arbeiten, wenn die gesetzlichen Regelungen, die im Moment den Rahmen geben, besser miteinander verzahnt wären. Das Räderwerk, das die Maschine in Gang setzt, stottert, weil die Zahnräder nicht ineinander greifen. Das führt auch bei Leistungsträgern, die gerne an dem Thema arbeiten, zu Frust. Das ist für ein legitimes Ziel schade.

Und vielleicht sollte man auch bei der Kommunikation zum Thema Klima arbeiten. Also beim Thema Veränderungen in unserer Wärmeerzeugung, in der Stromerzeugung, in der Mobilität.

Als ich noch in der Schule war, hat uns unser Geografielehrer in der sechsten Klasse gesagt: „Kinder, das mit dem Erdöl ist endlich, 2050 ist das Erdöl alle.“ Wir sind uns einig, fossile Ressourcen sind endlich. Das Verständnis hat jeder. Viele Menschen meinen, wir, also unser kleines Deutschland, wir retten die Welt nicht. Das teile ich, wir retten nicht die Welt, aber wir müssen uns trotzdem bewegen.

Es ist wichtig, die Menschen, die skeptisch sind, abzuholen und zu sagen: „Es gibt noch einen anderen Grund, nämlich dass diese fossilen Ressourcen endlich sind.“

Also wir müssen auch bei der Geschichte, alle mitnehmen. Und die, die eben Zweifel haben,
ob der Klimawandel das Problem ist, die muss man eben mit einem anderen Bild abholen.

Es ist doch länger geworden als gedacht. Herr Lux, ich bedanke mich für Ihre Zeit und das Gespräch.

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