Warum greifen deutsche Verlage bei Büchern junger Autorinnen nur immer so gern zu Babyblau und Rosarot? Blümchen und Federn? Als wenn die jungen Frauen über nichts anderes schrieben als das Leben verwöhnter Prinzessinnen und güldener Prinzen? - Natürlich gibt es diese Blümchenautorinnen. Aber Diana Feuerbach ist keine. Und ihre Geschichte ist nur ganz, ganz beiläufig vielleicht auch eine Liebesgeschichte.

Die junge Leipzigerin hat Journalistik studiert – auch am Literaturinstitut in Leipzig. Ihr Buch ist im besten Sinne eine Traveller-Geschichte, ein Backpacker-Abenteuer, auch wenn ihr Held, Guy Nicholas Green, eher kein in die Jahre gekommener Beatnik ist und auch kein 68er. Auch wenn seine Reise ihn augenscheinlich Richtung Indien führt, wo er mit Hilfe eines Gurus sein Gleichgewicht wiederfinden will. Das hat er verloren, als er bei einem seiner Jobs als NGO-Mitarbeiter (NGO: non-governmental organization = nichtstaatliche Organisation) im fernen Mittelamerika einen Eingeborenen krankenhausreif geschlagen hat.

Das erfährt der Leser natürlich nicht gleich. Denn erst einmal muss er mit Green in Odessa ankommen, jener faszinierenden Stadt im Süden der Ukraine, die in letzter Zeit immer wieder in den Schlagzeilen war. Doch die Ukraine kennt Diana Feuerbach wohl besser als die meisten der Journalisten, die sich derzeit so schrecklich aufregen über das, was da passiert.Green, mittlerweile in jenem krisenbehafteten Alter jenseits der 40 angekommen, in dem man einfach zu akzeptieren gelernt hat, dass fremde Länder tatsächlich fremd sind, hat eigentlich gar nicht vor, sich auf dieses Odessa und die stolzierenden Schönheiten auf der Deribasov Street einzulassen. Es ist eigentlich nur Zwischenstation auf seiner Reise, die ihn irgendwie nach Indien bringen soll. Nur braucht es dafür ein bisschen Geld von Mama in Südafrika. Sie sitzt am Geldhahn und hat eigentlich eine Bedingung: Junge, komm nach Hause, dein Vater will dich sehen.

Auch diesen Teil der Geschichte erfährt man – wie Green noch als junger Mann aus dem Land floh, um nicht so zu werden wie sein Vater und auch um dem Wehrdienst in der Armee zu entgehen. 20 Jahre lang war er bei diversen NGOs in der Welt unterwegs. Das macht ihn selbst in völlig abgebranntem Zustand souverän – er muss den Einheimischen nichts beweisen. Er will auch keine Bäume ausreißen. Und eigentlich könnte er seine Tage in der alten Villa, die nun ein Hostel ist, mit Warten und Meditieren zubringen, würde da nicht ein junger Mann aus der englischen Provinz auftauchen, der in Odessa hofft, seine große Internet-Liebe Julia zu finden.

Es braucht ein Weilchen, bis Jamie Durham akzeptiert, dass er da wohl auf eine gewaltige Abzocke hereingefallen ist. Aber ist seine Julia nun nur ein Köder oder existiert sie tatsächlich? Nicht ganz zufällig ist Garys Hostel eine Art Sammelpunkt für gut betuchte Männer aus der westlichen Welt, die nach Odessa nur gekommen sind, um hier ein ukrainisches Mädchen fürs Leben zu finden, also eine Art reicher Onkel aus Australien und den USA, die glauben, die Schönheiten aus Odessa mit ihrem Versprechen eines besseren Lebens kaufen zu können.

Mit denen aber will Jamie nichts zu tun haben. Er will seine Julia. Und es ist Guy Nicholas Green, den er dafür einspannt, mit ihm die Schöne zu suchen. Dabei entdecken sie dann zwangsläufig das andere Odessa, das die Heiratstouristen in der Regel nicht kennen lernen, wenn sich ihr Aufenthalt auf Partys, Bars und das Abarbeiten ganzer Flirtlisten beschränkt. Und auch wenn das vom vergangenen Sozialismus gezeichnete Odessa sich als gar nicht so schön entpuppt, wie der klangvolle Name noch immer suggeriert, ist es dennoch eine augenzwinkernde Liebeserklärung an die Stadt und ihre Bewohner, auch an ihre Findigkeit, aus der Armut das Beste zu machen. So recht will Jamie Durham seine Illusionen zwar nicht wirklich aufgeben. Aber das ist Green irgendwann ziemlich egal. Er ist nicht mehr in dem Alter, in dem man die schönen Geschichten einfach glaubt. Er hat genug Bekanntschaften hinter sich, um zu wissen, dass Frauen gar nicht so romantisch sind, wie Männer sich gern einbilden. Und auch Julia denkt wesentlich praktischer über das Leben und ihre Zukunft als der sommersprossige Jamie, der am Ende lieber tausend Gründe sucht, sich auf das eigentliche Abenteuer nicht einzulassen.Was dann zumindest den Leser so ein bisschen ahnen lässt, dass auch die Autorin ein bisschen mehr über die Männer weiß, als man Autorinnen so zutraut. Aber das darf man in diesem Fall schon. Es hat weniger mit dem zu tun, was man so gern als Lebenserfahrung abtut, als mit dem geänderten Blickwinkel. Zu dem auch gehört, Männer in ihrer Hilflosigkeit nicht für schwach zu halten, sondern ihnen Lebenskrisen auch einfach zuzugestehen. Dass es bei Guy Nicholas Green gleich ein paar auf einmal sind, macht seine Sicht auf die Geschehnisse relativ dicht und abgeklärt. Er weiß, dass die stolzen Odessaerinnen ihn mit seiner abgerissenen Erscheinung nicht mehr als lohnenswert taxieren, wenn sie mit hinter Sonnenbrillen verborgenen Augen über die Straße stolzieren.

Das andere passiert sowieso immer erst, wenn zwei ihre Masken fallen lassen. Wie es Guy und Julia tatsächlich geschieht, was die Geschichte am Ende noch kulminieren lässt und ihr jene Wendung gibt, auf die man mit Guy eigentlich wartet die ganze Zeit. Natürlich geht es immer nur um ihn, auch wenn der wetterwendische Jamie und die geheimnisvolle Julia seitenweise die Bühne besetzen in einer Romeo-und-Julia-Szenerie, die tatsächlich keine ist.

Aber natürlich erzählt die Geschichte auch von der Sehnsucht (westlicher) Männer nach der großen, romantischen Liebe. Der Mythos gehört zur westlichen Kultur. Dass sie glauben, sich den Traum mit Geld kaufen zu können, ist natürlich tragisch und wird von Diana Feuerbach am Ende auch noch in einer sehr bildhaften Schiffsszene karikiert. Denn wenn es bei der Erwerbung Odessaer Schönheiten nur ums Geld geht, dann konkurrieren die Männer aus England und den USA natürlich mit alten Greisen aus Italien, was denn sonst? Die falschen Fiktionen sind Teil einer Welt, in der auch Gefühle ihren Marktpreis haben.

Am Ende – das weiß zumindest Green – geht es darum, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Der Leser darf ein bisschen grübeln darüber, ob die Tage mit Jamie Durham so etwas wie eine verkappte Freundschaft waren. Oder nur eine von den zufälligen Begegnungen, die einem so im Leben passieren. Bevor einen das Leben zur nächsten Station spült auf der langen kurzen Reise, die in diesem Fall von der atmosphärischen Musik des Bebop, des Swing und des Jazz der 1950er Jahre begleitet wird. Es ist die Lieblingsmusik von Guys Vater, der irgendwie immer präsent ist auf seiner Reise, auch wenn Guy eigentlich überhaupt nicht zurückkehren will nach Hause, nach Südafrika.

 

Diana Feuerbach “Die Reise des Guy Nicholas Green”,  Osburg Verlag 2014, 14,99 Euro

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