Voland & Quist macht’s möglich. Da kann eine freischaffende amerikanische Journalistin, die in Berlin lebt und sich immer wieder in der Ukraine aufhält, ihren zweiten Spionageroman auch gleich mal auf Englisch publizieren, bevor er dann auch noch in einer flotten deutschen Übersetzung herauskommt. So geschehen mit Sally McGranes „Odesa at Dawn“, das im September bei V&Q Books erschien. Mit einem grimmigen Kater auf dem Cover.

Der Kater spielt eine nicht unwesentliche Rolle in der Geschichte. Er heißt Mister Smiley, beherrscht die Katzenwelt von Odessa und hat auch gleich das erste Wort im Buch, das Diana Feuerbach nun auch gleich ins Deutsche übersetzt hat. Auch die Leipziger Übersetzerin und Autorin hat eine besondere Beziehung zu Odessa.

Für V&Q übersetzt sie die Romane der ukrainischen Schriftstellerin Svetlana Lavochkina. Und 2014 veröffentlichte sie ihre eigene Liebeserklärung an die Schwarzmeer-Stadt Odessa: „Die Reise des Guy Nicholas Green“.

Ein Roman, der noch vor den ersten Annexionen ukrainischen Territoriums durch russische Truppen geschrieben wurde. Das ist mit „Die Hand von Odessa“ schon anders, dem zweiten Spionageroman von Sally McGrane nach „Moscow at Midnight“, erschienen 2018.

Ein outgesourcter CIA-Agent

Auch hier war schon Max Rushmore der eigentliche Held, „downsized by the CIA“, also ein mehr oder weniger outgesourcter ehemaliger CIA-Agent, der nun in einer eher privaten Tochterfirma im Personalpool für Agenten steht, die bei Bedarf angeheuert werden können, wenn mal ein Sondereinsatz ein paar Leute braucht.

Aber eigentlich ist es nur eine von vielen sinnfreien Konferenzen, die Max diesmal nach Odessa führt, schon deutlich nach dem „Einsickern“ russischer Soldaten auf der Krim und in die Ostukraine. Und in jener Situation, in der sich eigentlich schon entschied, dass Russland in der Ukraine alle Sympathien verspielte.

Länder verändern sich. Menschen merken, was es bedeutet, wenn man das eigene Schicksal in die Hand nehmen kann. Als Max diesmal nach Odessa kommt, liegt auch der Euromaidan schon ein paar Jahre zurück. Die Ukrainer haben ihren russlandtreuen Präsidenten in die Wüste geschickt, einen Süßwarenfabrikanten zum neuen Staatsoberhaupt gewählt.

Und längst gehen die Gerüchte um, ein TV-Schauspieler, der in einer Serie einen ganz normalen Bürger gespielt hat, der zum Präsidenten wurde, könnte tatsächlich der nächste Präsident werden.

„Noch vor einem Jahr hätte niemand in Odessa einen Mann in russischer Uniform als Feind angesehen“, sagt Luba, die Max bei seiner Tour durch Odessa trifft. „Das ist jetzt anders. Jetzt würden die Leute kämpfen.“

Freiheit sieht meist ganz anders aus, als sie die Geschichtsbücher so gern malen. Sie riecht anders. Sie hat auch etwas von Abenteuer und Lust am Leben. Und sie ist meist auch das Tummelfeld zwielichtiger Gestalten.

Bomben, Oligarchen und Sonnenblumenöl

Denn eigentlich hätte die Reise von Max in dieses auf Katakomben erbaute Odessa zu einer Reihe stinklangweiliger Konferenztage werden können. Doch er ist noch immer der Agent, der ein Gespür dafür hat, wenn etwas stinkt und etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Denn in Odessa wird auch ein Machtkampf ausgetragen. Gleich zu Anfang geht in Simas kleinem Café eine Bombe hoch.

Eine von einem Dutzend, die dieser Tage die Stadt erschüttern. Und manches deutet darauf hin, dass hier ein mit der Halbwelt bestens vernetzter Bürgermeister, den alle nur Mephisto nennen, versucht, seine Macht zu sichern und die möglichen Gegner einzuschüchtern.

Vor allem Grischa, den Gouverneur, der aus Georgien kommt und dort nicht nur die Mafia bekämpfte, sondern auch Putin kurzerhand mal den Krieg erklärte.

Und nun bekommt er es in Odessa wieder mit Mafiacliquen und dubiosen Geschäftsleuten zu tun. Wird also auch Sima in diesen Machtkampf hineingezogen. Und was hat das mit der Hand zu tun, die in den USA aus einer importierten Ladung Sonnenblumenöl gefischt wurde? Ausgerechnet eine Hand mit dem markanten Muttermal von Grischa, das in Odessa alle kennen?

Max jedenfalls erlebt keine grauen Konferenztage. Die geringsten Spuren und Zufälle genügen ihm, und er kann nicht anders und muss herausfinden, was dahintersteckt. Ohne Rücksicht auf Verluste könnte man meinen. Zumindest nimmt er auf sich selbst keine Rücksicht.

Und so erleben die Leserinnen und Leser mit ihm ziemlich wilde Tage in Odessa, in denen sie die Stadt ein ganzes Stück weit kennenlernen – das korrupte neue Möchtegern-Odessa genauso wie das alte, noch in Spuren erhaltene Odessa, das einst noch Isaak Babel beschrieb, der in Odessa geboren wurde und studierte und 1923/1924 die „Geschichten aus Odessa“ veröffentlichte, in denen auch der legendäre Räuber Benja Krik auftaucht.

Benja Krik und der „King“

Benja Krik ist eine Figur, die in McGranes Roman immer wieder auftaucht und in ihrem finsteren Antihelden „Der King“ quasi einen Nachfolger gefunden hat, der ausgerechnet in den Tagen, in denen Max durch Odessas Ober- und Unterwelt jagt, ebenfalls in den Straßen seiner Kindheit unterwegs ist, auch weil er irgendwie mitbekommen hat, dass er eine Tochter hat. Und das ist ausgerechnet die schöne Sima, die so gar nicht zu diesem finsteren Vater passt.

Und dann ist da ja auch noch Rose, die Ehefrau von Max, die ihn schon lange überreden will, das elende Dasein als Ausleih-Agent zu beenden. Sie erwartet ihn zu Hause – doch als Max sich auf einmal tagelang nicht meldet, wird sie auch aktiv. Da stimmt was nicht.

Und natürlich stimmt in diesem Odessa so manches nicht. Wer wüsste das besser als Mister Smiley, der sehr genau beobachtet, was die Menschen so treiben. Und der sehr genau zu unterscheiden weiß, wer ein richtiger Odessit ist und wem man zutiefst misstrauen sollte.

Und dass der alte Mann mit der Augenklappe eine Gefahr für sein Odessa ist, das weiß er sofort. Am Ende wird er im entscheidenden Moment handeln und das Schlimmste verhindern.

Darauf eilt die Geschichte zu, während die Leser mit Max durch ein Odessa eilen, in dem nicht nur stündlich neue Schlaglöcher entstehen, sondern sich auch die Erde öffnet, weil nun einmal die Stadt auf einem riesigen System von Katakomben erbaut wurde. Und das in jüngster Zeit recht rücksichtslos, weil ein syrischer Unternehmer seine „Perlen“ direkt auf den durchlöcherten Grund gesetzt hat.

Demokratie, Freiheit und Kapitalismus

Logisch, dass Max bei seiner Jagd nach all den Puzzleteilen seines Falls auch in höchste Gefahr gerät, als er in diesem unterirdischen Gängesystem unterwegs ist. Aber selbst dieser Fall erzählt von der Selbstermutigung der Ukrainer – insbesondere der cleveren Geschäftsidee zweier junger Männer, die aber das Zeug hat für weltpolitische Verwicklungen.

Was die beiden nicht mal ahnen, nicht einmal dann, als sie es mit dem „King“ und mit einem dubiosen „Investor“ namens Luddy Shturman zu tun bekommen. Natürlich träumen junge Menschen in einem postsowjetischen Land genau diesen Traum: mit einer einmaligen Idee sofort Erfolg zu haben in einer Welt, die genau diesen Erfolg feiert. Da gehören dann Demokratie, Freiheit und Kapitalismus zusammen.

Nur Max kann nicht anders. Er wittert die Gefahr, sieht die Verwicklungen vor Augen. Und trifft bei seiner Jagd auch lauter Menschen, die ihm sofort sympathisch sind. Da ist er schon bald nur noch Getriebener. Einfach aufzuhören und sich brav in die Konferenz zu setzen, ist nicht sein Ding.

Eigentlich ähnelt er ja diesen Ukrainern in seinem Drang, das Richtige zu tun. Und dabei keine Rücksicht auf sich selbst zu nehmen.

Da bekommt er dann mehrfach etwas über den Schädel, taucht ungeduscht zum Gruppenfoto auf und nutzt auch noch die unverhofftesten Gelegenheiten, um sich die Informationen zu verschaffen, die er braucht, um die ganze verzwickte Kiste zu begreifen. Und am Ende doch nur knapp einem blutigen Ende auf einem goldenen Schiff zu entgehen, das in Odessa vor Anker liegt.

Yeah

Wahrscheinlich ist es gerade diese wilde Mischung einer Gesellschaft, die sich langsam aber sicher aus der russischen Bevormundung herausgearbeitet hat, noch immer mit den alten Oligarchen und der allgegenwärtigen Korruption zu tun hat, aber trotzdem den Aufbruch gewagt hat und sich nicht mehr bevormunden lassen will, die die Autorin gereizt hat, Odessa zum Handlungsort ihres Romans zu machen.

Auch wenn die Verbrecher sich noch pudelwohl fühlen in der Stadt und die Polizei lieber wegsieht, wenn kleine Jungen mit Schnapsflasche durch die Straßen ziehen.

Natürlich steckt auch eine Riesenportion Liebe zu dieser Stadt in dieser Geschichte, die Sally McCrane nach eigener Aussage auch in Odessa geschrieben hat. In den noch sonnigen und friedlichen Jahren vor Putins Überfall auf die Ukraine. Den Strand von Odessa erlebt Max noch unvermint und ohne Panzersperren – dafür voller Odessiten, die sich hier im Sand räkeln.

Mister Smiley erlebt den Nemo-Stand dafür verlassen. Auf der Spur eines unerhörten Vorgangs, der ihm Kopfzerbrechen bereitet. Die gute Botschaft: Mister Smiley passiert nichts Schlimmes. Am Ende findet er in Simas Café ein ruhiges Plätzchen.

Und Max muss sich keinem blasierten Vorgesetzten stellen, der ihn zur Rede stellt, was er da in Odessa eigentlich getrieben hat. Nur Rose hat noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Wie das so ist, wenn Frauen eine Partnerschaft richtig ernst nehmen.

Das ist dann eine echte Herausforderung für Max. Der Therapeut, vor dem sie beide sitzen, sagt es ihm ins Gesicht: „Männer flüchten sich gern in Arbeit. Frauen auch, aber bei uns Männern kommt es häufiger vor – wenn wir uns unbehaglich fühlen.“

Da kann Max nur „Yeah“ sagen.

Aber was wäre passiert, wenn er nicht automatisch reagiert hätte und seinem alten Agenteninstinkt gefolgt wäre? Nicht auszudenken. Ein Spionageroman für alle, die das mit der Spionage nicht so todernst nehmen wie die meisten Geheimdienste.

Sally McGrane Die Hand von Odessa Voland & Quist, Dresden und Berlin 2022, 24 Euro.

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