Ganz so schlimm, wie es der Titel suggeriert, ist es nicht. Wir müssen nicht verhungern. Auch wenn das Buch pünktlich zum Ausbruch der Covid-19-Epidemie auch in Deutschland erschien. Geschrieben von einem, den das Thema als freien Journalisten seit Jahrzehnten umtreibt. Und zwar in der ganzen Breite: Klima, Essen, Trinken, Umwelt. So langsam spricht es sich auch an deutschen Mittagstischen herum, dass unser Essen eine Katastrophe ist. Auch für die Welt.

Das Buch ist im Grunde eine Streitschrift. Eine Kampfansage an eine Art Wirtschaftsdenken, die die Wälder der Erde zerstört, den Klimawandel befeuert, das Artensterben beschleunigt, Bauern um ihre Existenz bringt und das Wichtigste in unserem Leben der Gier riesiger, kaum noch zu zähmender Konzerne überlässt – unser täglich Brot. Und nicht nur das.

Kriener bindet zusammen, was zusammengehört und was die großen Medien immer nur hübsch sortiert auf verschiedenen Seiten brachten – (falsche) Gesundheitswarnungen zu verschiedenen Getränken und Nahrungsmitteln auf der einen Seite, verlogene „Genießer“-Tipps und „Superfood“-Empfehlungen auf der nächsten, verschämte Berichte über die (falschen) Ursachen von Fehl- und Mangelernährung, eher seltener wahrhafte Berichte über die industrielle Lebensmittelproduktion, Massentierhaltung und die enorme Macht der Konzerne, die uns mit verlogener Werbung supergesunde Produkte aufschwatzen, die alles Mögliche sind, nur nicht gesund.

Aber weil er gestandener Journalist ist, belässt er es nicht beim Lamento, sondern rafft all die Berichte, Studien, Reportagen zusammen, die ja trotzdem erschienen sind, oft eher verschämt weiter hinten im Blatt, oft missinterpretiert, manchmal auch skandalisiert. Aber es findet nicht zusammen, weil die Ernteberichte meist auf einer anderen Seite stehen als die Berichte über Hungerkatastrophen und Wassermangel in den exotischen Ländern, aus denen wir riesige Mengen unserer Nahrungs- und Futtermittel importieren.

Die Berichte über Aktienkurse und die Lobbyarbeit der riesigen Nahrungsmittelkonzerne stehen dann wieder woanders, sodass der normale Zeitungsleser (oder Fernsehgucker) gar nicht mitbekommt, dass die unter Übergewicht leidenden Menschen in den Wohlstandsnationen eine Menge mit den Kunstprodukten im Supermarkt zu tun haben, mit den gigantischen Gewinnen der Einzelhandelsketten und der Wut der Bauern, die von den 60 Milliarden Euro an Subventionen, die die EU jedes Jahr vergibt, kaum etwas haben, weil auch hier die Agrarkonzerne zugreifen. Denn auch in der Förderpolitik herrscht das Tonnagedenken.

Und die Macht der schieren Größe, verbunden mit der Macht, millionenteure Marketingkampagnen zu fahren, Studien zu kaufen und den leichtgläubigen Käufern einzureden, sie würden sich Gesundheit erwerben, wenn sie nur dieses oder jenes künstlich aufgepeppte Produkt kaufen.

Kriener muss es gar nicht extra benennen: Auch der Markt unserer Nahrungsmittel ist zum Opfer von Deregulierung und erpresserischer Großkonzerne geworden, die die Preise bestimmen und so viel Marktmacht haben, dass sie Bauern die Produktionsbedingungen diktieren und sie dazu zwingen können, ihr genetisch verändertes Saatgut zu kaufen und ihre rundum wirkenden Gifte drüberzukippen.

Wer das Buch bis zu Ende liest, erlebt eine Tour de force der Schrecken, denn akribisch arbeitet Kriener heraus, wie dieses industrielle Denken keinen Bereich unserer Ernährung verschont hat. In „Altes Fleisch“ schildert er, wie die riesigen Mengen an Fleisch in unseren Supermärkten eigentlich erzeugt werden, von kranken und überzüchteten Tieren, von riesigen Antibiotikagaben und Sojaimporten aus Brasilien, wo für deutsche Viehbestände der Urwald abgefackelt wird.

Das haben zumindest viele Deutsche schon mitbekommen und plädieren für eine andere Fleischkultur. Nur wenn sie dann im Supermarkt stehen, kaufen sie doch wieder das Industriefleisch – mit allen ganz und gar nicht gesunden Zutaten und all den künstlichen Aufpeppungen, die mit Fleisch nichts mehr zu tun haben.

Noch immer werden die Käufer mit dem Preis geködert. Und das Bio-Fleisch fristet ein Nischendasein. Kein ganz so kleines mehr. Aber auch hier merkt der Journalist schnell, wie der enorme Preis- und Massendruck des Marktes selbst die Öko-Landwirte, die eigentlich gesundes Vieh unter tiergerechten Bedingungen halten wollen, dazu zwingt, die eigenen Regeln zu unterlaufen.

Nein, der Blick in die Welt der Bio-Produkte fällt auch nicht besser aus. Und auch nicht der in die vegane Nahrungsmittelindustrie oder in die Insekten-Food-Erzeugung.

Eigentlich weiß man schon nach den ersten Kapiteln, dass es gerade die von Mega-Konzernen beherrschte Globalisierung ist, die genau die krankmachenden Ergebnisse liefert, die heute unser Essen eigentlich unverdaulich machen, wenn nicht gar hochtoxisch. Denn praktisch bei keinem landwirtschaftlichen Produkt, das wir aus aller Herren Länder importieren, weiß man wirklich, unter welchen Bedingen es produziert wurde.

Außer wenn dann Journalist/-innen mal hinreisen nach Südafrika und zum Beispiel den Weg einer Avocado bis in den heimischen Supermarkt verfolgen. Oder wenn sie sich tatsächlich mit den perfiden Raub-Fischabkommen und Fangquoten der EU beschäftigen, mit Aquafarmen und den dort gemästeten Mode-Fischen, die dann im Fischregal so lecker rot leuchten.

Man lernt: Weder den Farben der Produkte kann man trauen noch den vielen, meist völlig unübersichtlichen Öko-Labeln auf der Packung. Was über tausende Kilometer in Flugzeugen oder Kühlfrachtern herangeschafft werden muss, kann nicht öko sein. Die Klimabilanz dieser „Exoten“ ist hundsmiserabel. Die Gesundheitsbilanz meistens auch. Denn all die Jahrmarktsanpreisungen von „Superfoods“ entpuppen sich regelmäßig im Testlabor als Ente, als Marketing-Gag, um wieder einmal die ach so gesundheits- und lifestylebewussten Großstädter zu ködern.

Kriener wird an den entscheidenden Stellen durchaus bissig und ein bisschen zynisch, erst recht dann, wenn er merkt, dass er in der Vergangenheit selbst solchen Märchen aufgesessen ist. Was sich nicht vermeiden lässt. Es hat ja nicht jeder ein Lebensmittellabor zu Hause. Und viele dieser Ernährungsmärchen werden auch von staatlichen Stellen und scheinbar seriösen Instituten verbreitet – bis sich dann wieder ein kritischer Wissenschaftler wirklich mal mit den behaupteten Superkräften beschäftigt. Und meist bleibt nichts davon übrig. Oder es hat sich in der langen Verwertungskette nach Rösten, Trocknen, Einfrieren, Auftauen, Panschen längst verflüchtigt.

Aber gerade die Vorgehensweise der großen Agrar- und Pharma-Konzerne hat auch gezeigt, dass ihre Geschäftsmodelle vor allem auf Erpressung beruhen. Sie nutzen ihre Marktmacht, um ganze Länder dazu zu zwingen, ihre Produkte zu akzeptieren und sich den Konzernvorgaben zu beugen. Was übrigens das radikale Ergebnis neoliberaler Freihandelsverträge und Deregulierungen ist.

Das beherrschen nicht nur Facebook & Co., mit ihren disruptiven Geschäftsmodellen ganze Märkte zu okkupieren und sämtliche kleinen Marktteilnehmer entweder abhängig zu machen oder ganz plattzumachen. Das beherrschen auch die riesigen Agrarkonzerne. Und die Lebensmittelkonzerne ebenfalls, die mit ihren synthetischen Produkten auch gleich noch den Geschmack und die Abhängigkeiten der Verbraucher bestimmen.

Die Wissenschaftler streiten zwar noch, ob Zucker Süchte auslöst im menschlichen Körper. Aber Fakt ist, dass Zucker ganz ähnliche Abhängigkeiten schafft wie Drogen. Und dass er in vielen Produkten als Streckmittel und Billigmacher steckt, in denen man ihn nie vermuten würde. Und jeder Blick in die Werbung der vergangenen Jahrzehnte zeigt, wie die Verbraucher auf zuckerhaltige Produkte konditioniert wurden.

Selbst die riesigen Diätkampagnen der Vergangenheit, die Fett und Butter verteufelten, gehören dazu. Ob nun aus reiner ernährungswissenschaftlicher Blindheit mit der antrainierten Fixierung auf Kalorien oder mit Druck der Konzerne, die ihre scheinbar so gesunden „fettarmen“, „kalorienarmen“ und „schlankmachenden“ Produkte unbedingt in alle Regale drücken wollten.

Neuere Forschungen haben fast alle dieser Diät-Märchen entlarvt. Aber logischerweise die Verbraucher auch verunsichert: Was kann man denn da noch guten Gewissens essen?

Wobei das die falsche Frage ist. Denn im Kosmos der Lebensmittelgiganten gibt es darauf keine Antwort. Das fasst auch Manfred Kriener am Ende kurz zusammen, wenn er seine Leser noch einmal sanft darauf hinweist, dass man nur dann die Kontrolle über sein Essen hat, wenn man erstens weiß, wo es herkommt (am besten nämlich von Bauern und Händlern aus der Region), weiß, wie diese wirtschaften (ökologisch oder nicht) und wenn man sein Essen dann auch selbst zubereitet.

Auch und gerade dann, wenn man denkt, man habe dazu keine Zeit. Was niemals stimmt. Denn die Zeit, die wir uns scheinbar mit synthetischen Fastfood-Produkten kaufen, verschleudern wir dann wieder für irgendwelche sinnlosen Daddeleien am PC, am Smartphone oder mit Rumhocken vorm Fernseher. Dass Bewegung zwingend zum gesunden Leben gehört, muss da nicht extra erwähnt werden.

Man muss seine Einkaufswege ändern. Wieder nach Fleischern suchen, die tatsächlich noch richtige Wurst und tatsächlich Fleisch aus tiergerechter Haltung anbieten. Das ist zwar teurer, aber es bringt uns auch zu einem Fleischverbrauch, der dem unserer Vorfahren wieder näher ist. Ganz zu schweigen davon, dass man nur so langsam von der klimazerstörenden Massentierhaltung wegkommt. Bei Brot und Brötchen ist es genauso, auch wenn die richtigen Bäcker, die nicht einfach Teiglinge aus der Industriefertigung in den Backofen schieben, genauso hinschmelzen wie die richtigen Fleischer.

Letztlich ist Krieners Buch eine dicht gedrängte und furiose Bilanz zum aktuellen Zustand unserer Esskultur, die den Namen Kultur nicht mehr verdient. Wir verzehren viel zu viel von all diesen synthetisch hergestellten Produkten, die bis in die Aromen hinein vorgaukeln, ein natürliches Produkt zu sein. Nur wenn man das weiß, merkt man auch, dass die Lösung eher nicht im durchgestylten Supermarkt liegt, sondern in den eher regionalen Versorgerketten. Wohin sich die deutsche Ernährung sowieso bewegen muss.

Wir fressen in unserer Gedankenlosigkeit tatsächlich den Menschen in anderen Ländern ihre Fischbestände, Regenwälder und Wasservorräte weg. Und tragen so dazu bei, dass sich die Ernährungssituation weiter verschärfen wird. Im doppelten Sinn, denn dadurch ist die Mangelernährung nicht nur in den ärmeren Ländern manifestiert, wo den kleinen Bauernwirtschaften der Boden unter den Füßen weggezogen wird, sondern auch bei uns.

Denn die Kunstprodukte im Supermarkt enthalten nun einmal nicht all die wertvollen Inhaltsstoffe, die naturnahe Produkte mitbringen. Was die Menschen im Norden fett macht, ist fast ausschließlich der Zucker. Und sie werden trotzdem nicht satt, weil unser Körper mit diesen Zuckermengen nicht umgehen kann.

Und dabei verpassen wir die originalen Produkte, die bei uns vor der Haustür wachsen, die genauso vitaminreich und voller Spurenelemente sind wie die sogenannten „Superfoods“. Nur dass sie diese auf den kurzen Lieferwegen nicht einbüßen. Kriener zieht die Summe einer Esskultur, die sich nicht erst rasant wandelt, sondern sich längst rasant gewandelt hat in den vergangenen 50 Jahren. Und die jetzt an ihrem Endpunkt angelangt ist, auch wenn z. B. die Experimente mit Kunstfleisch schon die nächste Stufe der Eskalation einzuleiten drohen.

Aber all die neuen Trends lösen nicht die Schieflage eines überfressenen Nordens und eines ausgeplünderten Südens. Und auch nicht das Problem, dass das da auf unseren Tellern mit einem gesunden und schmackhaften Essen schon lange nichts mehr zu tun hat. Wir merken es mit unserer Konditionierung auf Zucker, viel zu viel Salz und künstliche Aromen nur nicht mehr und lassen uns jeden Tag aufs Neue betrügen.

Aber es hilft wohl nichts. Man muss all das, was Manfred Kriener hier aufbereitet, einfach im Hinterkopf haben und dann anfangen, seine eigentlich ziemlich einfachen Ratschläge zu befolgen. Das ändert zwar die Welt noch nicht und auch nicht die Politik, die vor den großen Konzernen kuscht und sich wegduckt. Aber es öffnet wenigstens im eigenen Leben den Weg zu einer gesünderen und natürlicheren Ernährung.

Und man ist auch nicht wirklich allein. Die Bewegung erfasst immer mehr Menschen – von der solidarischen Landwirtschaft bis hin zu den Stadtgärtnern, die mitten im Kiez zeigen, was alles wachsen kann hierzulande. Wenn man es nur lässt und seine Ernährung nicht irgendwelchen gefühllosen Futtermittelkonzernen überlässt.

Manfred Kriener Leckerland ist abgebrannt, Hirzel Verlag, Stuttgart 2020, 18 Euro.

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