Wenn ein Schlosser aus Dresden aus dem Fenster seines Baustellen-Bullis heraus zwei mörderische Schläger in Hawaii-Hemden mit einem englischen Langbogen bedroht, während Privatdetektiv Hans Staiger mit Hilfe einer Brechstange deren Luxus-SUV demoliert, steckt frau/man mitten in einem Stefan B. Meyer Krimi. Unter den Leipziger Autoren ist er ganz klar der Mann für Mord. Wobei er die Anzahl dieser Morde eher im einstelligen Bereich belässt. Was Stefan B. Meyer von einer Vielzahl seiner Kollegen unterscheidet, weil die nämlich lieber Thriller als Krimis verfassen.

Es ist nie leicht, einen guten Roman zu verfassen. Aber es ist etwas leichter einen spannenden Thriller zu schreiben als einen guten Krimi. Dabei ist das Rezept für gute Krimis trügerisch einfach: Man nehme einen Mord, füge eine/n Ermittlerin hinzu, lässt das Ganze unter ständigem umrühren einige Zeit köcheln und füge dabei diverse Gewürze in Form von möglichst skurrilen Nebenfiguren hinzu, anschließend lässt man/frau das Ganze für ein möglichst dramatisches Finale einmal bis fast zum Topfrand hinauf aufkochen.

So simpel das Rezept erscheint – nicht jeder Krimikoch bzw. nicht jede Krimiköchin beherrscht es so gut wie der Leipziger Stefan B. Meyer, der inzwischen mehr als ein halbes Dutzend Titel veröffentlicht hat.

Sein aktueller Roman heißt „Eine Frau, ein Mord“, spielt in Leipzig und befasst sich mit den beiden größten lokalen Skandalen der letzten Jahrzehnte, nämlich den sogenannten „Herrenlosen Häusern“ und der Affäre um den „Sachsensumpf“.

Oha, harter Tobak könnte die geneigte Leserschaft jetzt vermuten. Doch weder schraubt Meyer in seinem Text den moralischen Zeigefinger zu Baukranhöhe hinauf, noch mutet er seinen Leser/-innen einen Exzess an Realtristesse zu.

Stattdessen gibt es englische Langbögen, gefolterte Immobilienhaie, ein spannendes Rätsel und jede Menge ironische Seitenhiebe auf WGT-Besucher, müde gewordene Bullen oder karrieregeile Staatsanwälte, die ständig Gefahr laufen, sich einen moralischen Bruch in ihre Psyche zu heben. Privatdetektive sind im deutschen Krimi recht selten geworden.

Aktuell ermitteln dort vorwiegend Kommissarinnen, BKA-Fahnder oder Journalisten, deren literarische Wertigkeit die Autorinnen gern mit komplexen persönlichen Hintergründen oder schwer zu bändigenden Teenagersprösslingen auffüllen. Gemessen daran ist Meyers Detektiv im besten Sinne altmodisch gestrickt. Denn Staiger bedrängen neben seinen Gegnern bloß eine verflossene und eine möglicherweise zukünftige Geliebte.

Staigers Ermittlung wird auch nicht dadurch ausgelöst, dass er einen dramatischen Notruf mitten in der Nacht entgegennimmt, sondern da ihn die Journalistin Carmen Holt lapidar dazu auffordert, für einige Tage auf eine Daten-CD zu achten.

Nachdem jene Journalistin allerdings ermordet wird und sich herausstellt, welche Daten jene CD enthielt, kommen zunächst Staigers Gerechtigkeitssinn, dann einige Polizisten und schließlich auch mysteriöse Schläger und Hintermänner in Schwung.

Selbst wenn „Eine Frau, ein Mord“ in Leipzig angesiedelt ist und man darin auf durchaus vergnügliche Beschreibungen von medial bislang unterrepräsentierten Leipziger Lokalitäten und Orten stößt, ist Stefan B. Meyers neuer Roman kein Regiokrimi. In Holzfällerhemd und Denimjacke sitzt Meyer mir für ein Interview in einer Bar gegenüber, zieht ein Zippo-Feuerzeug hervor, bestellt Cappuccino und dreht sich eine Zigarette.

„Ich schreibe nachts“

Wenn der Mann nicht so in sich ruhen würde, könnte man seinen Auftritt fast für einen ironischen Kommentar des Krimiautorenklischees halten. Meyer schreibt sogar nachts und gibt freimütig zu, dass er statt Rotwein lieber Bier trinkt. „Wenn sie in Dresden beginnen, die Stühle hochzustellen, packt man in Leipzig gerade die Gitarren aus“, lautet einer von vielen amüsanten Sätze in seinem Buch.

Anlass genug ihn zu fragen, wie er es denn selbst mit dem Nachtleben hält, das ja auf die eine oder andere Weise in jedem guten Krimi thematisiert gehört. „Ich schreibe nachts“, antwortet Meyer auf meine Frage. „Würde sich ein Meyer-Roman, den du tagsüber verfasst, von einem, den du nachts schreibst, unterscheiden?“, hake ich nach.

„Nee“, lautet die erschöpfende, wenn auch arg kurze Antwort. Gelegenheit, mit einer Frage zu kontern, die definitiv eine etwas längere Antwort erfordert.

„Dein Held fällt aus dem Rahmen der sonst üblichen Privatdetektive. Er ist kein Ex-Polizist, hat einen Geschäftspartner, der Schlosser statt Schläger oder Detektiv ist und beide verbringen auch den größten Teil ihrer Arbeitszeit damit, Türen von Altbauhäusern zu renovieren, womit sie auch mehr Geld verdienen als damit Ermittlungen anzustellen. Wenn Staiger das jedoch erst mal tut, möchte man ihn als Krimineller nicht an der Backe haben. Trotzdem ist er so richtig typisch für seine (literarische) Zunft nicht. War das Absicht mit seiner Gestaltung, die Publikumserwartungen zu unterlaufen?“

„Ex-Polizisten sind doch langweilig“ – Stefan B. Meyer. Foto: privat

„Ex-Polizisten sind doch langweilig“, antwortet Meyer mit einem Lächeln. „Und Staiger ist mit seinen Baujobs unabhängiger und freier in der Auswahl seiner Fälle“, antwortet Meyer. „Sein Kumpel Schommer betreibt dafür ein erfolgreiches Sicherheitsunternehmen und schanzt Staiger hin und wieder Aufträge zu. Also sind die klassischen Detektive auch in dem Buch vertreten.“

„Die Aufträge von Schommer lehnt Staiger aber regelmäßig ab“, werfe ich ein.

„Nicht alle“, antwortet Meyer. Aha, denke ich und stecke mir selbst eine Zigarette an. Sicher passt dieser Unabhängigkeitsdrang zu einer Figur, die Sätze sagt, wie: „Du siehst aus wie eine sehr blonde Stewardess in einem sehr blonden Hollywoodfilm“. Schwer vorstellbar, dass ein solcher Satz aus dem Mund eines braven, kleinen Angestellten im Sicherheitsgewerbe für die Leserinnen glaubhaft wäre.

„Du hast in deinem Buch sowohl den Skandal um die Herrenlosen Häuser wie den Sachsensumpf bearbeitet. Wie kam das?“

„Die Skandale waren nun einmal da und so richtig bis zum bitteren Ende sind die eigentlich nie verfolgt bzw. aufgeklärt worden.“

„Du meinst, die lagen sozusagen auf der Straße?“

„Ja.“

„Hast du viel Recherche betrieben für dein Buch? Dich zum Beispiel mit Zeitzeugen getroffen oder Akten gelesen und bist in Archive gegangen, um es schreiben zu können?“

Krimis eignen sich als Einstieg in die Realität

Meyer trinkt den Cappuccino aus und bestellt zwei neue. „Ich besorge mir keine Akten und lese darin. Das macht schlechte Laune. Ich schreibe auch keine Sachbücher, sondern will bei Fiktion bleiben. Aber Krimis eignen sich als Einstieg in die Realität. In der Realität fallen bei solchen Skandalen ja auch deutlich mehr Betrogene und Verlierer an als Leichen. Aber für Krimis sind zu wenige Tote nun mal schwierig.“

Das kann man nicht bestreiten.

„Was macht für dich denn einen guten Krimi aus?“

Meyer lacht. „Das ist so subjektiv. Ich selbst brauche jedenfalls keinen Mord auf der ersten Seite, um einen Krimi weiterlesen zu wollen. Und wenn ich die ersten zwanzig Seiten als Leser überstehe und mich fesseln lassen kann, ist das schon ein guter Anfang. Ein bisschen Humor schadet im Krimi auch nie.“

„Der Staiger verfügt über einen ganz eigenen Gerechtigkeitssinn, der nicht immer mit dem Gesetz ganz konform geht. Wie hältst du es also mit der Moral im Krimi, ist die darin unerlässlich?“

„Staiger ist ein Mensch, aber keine Institution wie die Staatsanwaltschaft. Deswegen kann er sich persönliche Wertmaßstäbe leisten. Ich überlasse es den Lesern, ob sie mit seiner Haltung mitgehen können oder nicht.“

„Dass ich mal damit drohte, die Polizei würde ihren Job machen, kam mir selbst mitleiderregend vor“, lässt Meyer seinen Detektiv sagen. Es ist sicher davon auszugehen, dass ausgesprochene Polizeifans mit Staigers Moral eher ihre Schwierigkeiten bekommen würden. Aber von denen finden sich erfahrungsgemäß auch nicht allzu viele unter Krimileser/-innen.

„Mir fiel noch etwas auf, das nicht nur den neuesten Staiger-Roman betrifft, sondern auch deine übrigen Krimis. Du erwähnst da immer Songs, die deine Figuren mögen oder die ihnen über dunkle Stunden hinweghelfen. Wenn du dich und deine Helden schon nicht als moralische Aufklärer sehen willst, dienen die dann zumindest als so etwas wie musikalische Geschmacksverstärker für das Publikum?“

„Ja, das kann man so sagen“, lacht Meyer.

Er verrät mir, dass er angeblich noch nicht wisse, wann es einen neuen Staiger-Krimi geben wird. Der Roman, an dem er aktuell schreibt, hat jedenfalls einen Polizisten zum Helden. Aber bis der durch zuweilen gefährliche Straßen geht, um Morde aufzuklären, bleibt den Krimifans in dieser Stadt ja Hans Staiger.

Den Stefan B. Meyer, der Mann für Mord, lakonisch, zuweilen etwas zynisch, aber immer aufrecht die moralischen Untiefen von Kriminellen, Opfern, Polizisten und Tätern ausloten lässt.

„Keiner der beiden Leute im Raum achtete auf die Art und Weise wie ich hereintrat, obwohl nur einer von ihnen tot war“, schrieb Raymond Chandler, einer der ganz Großen des Krimigenres einst. Dem Leipziger Mann für Mord gefällt dieses Zitat. Weil es Atmosphäre vermittelt und die, wie er findet, für Krimis so unerlässlich ist wie Leichen.

Selbst auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden, wünsche ich Stefan B. Meyer daher noch möglichst viele Morde, die er seinem Publikum präsentieren kann. Alle angerichtet nach diesem so trügerisch einfachem Krimirezept, dessen Umsetzung er so gut beherrscht wie wenige andere.

Stefan B. Meyer Eine Frau, ein Mord Edition Outbird 2022, 15,90 Euro.

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