Am Samstag, den 9. Mai tauchten auf dem linken Nachrichtenportal "Indymedia Linksunten" Sprachnachrichten des früheren sächsischen NPD-Vizes Maik Scheffler und des Szenekaders Alexander K. auf. Das seitens der Polizei als authentisch eingestufte Material könnte dem kürzlich zu einer achtmonatigen Haftstrafe verurteilten Stadtrat Enrico Böhm weitere juristische Probleme bereiten. Darüber hinaus wird auch der laufende Prozess vor dem Landgericht fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat Berufung eingelegt.

Vor einem Jahr bestritt das Trio noch gemeinsam Wahlkampf. Heute ist das Tischtuch zerschnitten, Maik Scheffler und Alexander K. machen auf den Sprachaufnahmen hörbar Front gegen Enrico Böhm. Der frühere Stadtratskandidat Alexander K. musste im vergangenen Juni aus der NPD austreten, nachdem die Leipziger Stadtverwaltung seine Nichtwählbarkeit erst nach vollzogener Wahl festgestellt hatte. Peinlich für die Verwaltung und offenbar auch für die Neonazi-Partei, welche ihre Versuche, sich ein bürgerliches Image zu geben, offenbar durch verurteilte Gewalttäter als Kandidaten gestört sah.

Schefflers Rückzug folgte im Herbst 2014. Zu dieser Zeit hatten sich nach der NPD-Schlappe bei der Landtagswahl, die am 30. August 2014 statt Posten und bezahlte Arbeitsstellen für über 40 braune Kameraden den Rauswurf aus dem Landtag bedeutete, die Karten innerhalb der rechtsextremen Partei neu gemischt. Ein lukratives Mandat für Scheffler blieb aus. Die NPD bietet nach dem Aufstieg der AfD perspektivisch keine echte Machtoption für ehrgeizige, rechte Politiker in Sachsen.

Heute versucht Alexander K., den Landesverband der Splitterpartei “Die Rechte” im Freistaat aufzubauen und reist dafür viel durch die Lande. Scheffler scheint ihn dabei aus dem Hintergrund zu beraten, das legen zumindest die Audios nahe. Neben ihren antisemitischen Einstellungen eint beide Männer der Frust auf die sächsische NPD. Enrico Böhm sitzt unterdessen für diese Partei im Leipziger Stadtrat.

Intelligenzquotient von zwei Knäckebrot

Auf den veröffentlichten Sprachnachrichten, mittels derer Alexander K. und Scheffler wahrscheinlich via WhatsApp kommunizierten, ziehen beide Aktivisten Böhm durch den Kakao. “Er ist sehr naiv und stolpert gerne über seine eigenen Füße”, meint Scheffler mit Blick auf Böhms intellektuelle Fähigkeiten und seine derzeitige Arbeit für die NPD Leipzig und im Stadtrat. “Es ist einfach ein Spinner. (…) Dann hat man vergessen, dass er einen Intelligenzquotienten von zwei Knäckebrot hat”, lautet die Einschätzung Schefflers.

Ein Thema in den Gesprächen ist die Administrierung der Facebook-Seite der Leipziger NPD. Laut K. wird die Seite im Augenblick unter anderem von Böhm verwaltet. Dies ist insoweit interessant, da auf dieser Facebookseite seit Jahresbeginn mehrfach strafrechtlich relevante Inhalte aufgetaucht sind und bis heute online blieben.

Den Betreiber eines Webhosting-Dienstes erklärten die Neonazis fälschlicherweise zu einem Mitglied der Pädophilenszene. Dieser erstattete daraufhin Strafanzeige. Eine Zivilklage ist ebenfalls auf dem Weg. Bis heute finden sich die Behauptungen weiterhin auf der Facebook-Präsenz und auf der Homepage der Leipziger NPD. Mit den Vorwürfen wird sich demnächst ein Leipziger Gericht befassen.

Der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linke) legten die mutmaßlichen Admins um Enrico Böhm mittels eines offenbar gefälschten Screenshots, der eine angebliche Mitteilung des Aktionsnetzwerks “Leipzig nimmt Platz” zeigte, einen Gewaltaufruf gegen Legida-Demonstranten in den Mund. Enrico Böhm verkündete obendrein, er werde Nagel aufgrund ihrer angeblichen Äußerung anzeigen. Ob er dies getan hat, ist derzeit noch unklar. Bekannt ist, dass die Abgeordnete daraufhin selbst Strafanzeige erstattet hat und diese mit Beweisen unterlegte.

Sollte Enrico Böhm eine Strafanzeige also mittels gefälschter Beweismittel erstattet haben, läge die nächste Straftat des Stadtrats vor.

Seine früheren Weggefährten scheinen überzeugt zu sein, dass Böhm den Screenshot gefälscht hat. “Ich habe in Erinnerung, dass bei der Nagel auf der Seite irgendwas anderes stand”, sagt Alexander K. “Die ist ja wirklich nicht so dumm und begeht solche Fehler.” Enrico Böhm absolviert zurzeit eine Ausbildung zum Mediengestalter, kann also mit Grafikprogrammen umgehen. “Zuzutrauen ist ihm alles”, ergänzt Scheffler.

Eine Vorgeschichte, ein laufender Prozess und Schweigen im Wald

Der Kommunalpolitiker begeht seit Jahren kriminelle Handlungen. Sein Vorstrafenregister umfasst bereits 13 Einträge. Das Urteil des Amtsgerichts aus der vergangenen Woche ist hier noch unberücksichtigt. Die Verurteilung wegen des Angriffs auf eine Radfahrerin zu acht Monaten Haft ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat mittlerweile Berufung eingelegt, da Böhm wegen eines weiteren Anklagepunktes freigesprochen wurde. Demnächst wird der Prozess also vor dem Landgericht eine weitere Auflage erfahren.

Enrico Böhm äußerte sich gegenüber L-IZ.de nicht zu der Frage, ob er die Screenshots gefälscht habe. Scheffler und K. dürfte die Brisanz ihrer Äußerungen bekannt sein. Alexander K. hüllt sich wohlweislich in Schweigen. Die Leipziger Polizei hält das Material für authentisch. An der Ergreifung der Verbreiter der Dateien auf Indymedia scheint den Rechtsextremen selbst nicht sonderlich viel gelegen zu sein. „Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Materials liegen der Staatsanwaltschaft bisher keine Strafanzeigen der Betroffenen vor“, teilte Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz am Mittwoch, 13. Mai auf L-IZ – Nachfrage mit.

Möglicherweise verzichtete Alexander K., von dessen Mobiltelefon die Daten offenkundig stammen, bisher auf eine Anzeige, weil die Polizei ohnehin wegen des Angriffs ermittelt, bei dem ihm das Gerät geraubt wurde. Hinzu kommt, dass die Chancen, die Urheber von „Indymedia Linksunten“ dingfest zu machen, verschwindend gering sein dürften. Die Betreiber des Portals nutzen Verschlüsselungs- und Anonymisierungsdienste, um ihre Identität zu verschleiern.

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