Ich träume ziemlich viel. Und von ziemlich viel. Ich träume von einer Stadt, die mehr will, kann, und ist. Meine ersten politischen Erfahrungen habe ich im StuRa der Uni Leipzig gesammelt. Man könnte denken, dass sich dort die zukünftige gesellschaftliche Elite der Stadt bildet – doch stattdessen war es eine ausführliche Übung in „Soll nicht, will nicht, geht nicht“. Außerhalb des Mainstreams zu stehen war schon immer mein Ding. Unangenehme Fragen zu stellen auch. Das hat mich am Ende bis in den Senat der Uni Leipzig geführt, wo wir als Liberale nun noch immer sitzen. Es geht nämlich doch.

Ich selbst habe seit 2015 politisch mehr gelernt als meine Wahlheimat Leipzig. Das ist traurig. Beispiel gefällig? Mit meinen Jungen Liberalen versuche ich stets, Themen der Zukunft zu bearbeiten. Wir hatten eine Mitarbeiterin der estnischen Botschaft zu Gast, die uns von der Digitalisierung im Land berichtete. Und eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, die zugeben musste, dass Leipzig in der estnischen Zeitschiene so ums Jahr 2001 steckt, wenn es um digitale Verwaltung geht. Und das am mangelnden Engagement seitens der Leitung liegt. Da sind wir wieder beim „Soll nicht, will nicht, geht nicht“.

Leipzig, lass dir eins gesagt sein: Wir wollen! Wir können! Und wir sollen. Es gibt so viel, das wir angehen müssen. Ich träume von einer Stadt, die beweist, dass Großstadt kein Moloch bedeuten muss. Warum bekommen wir unseren Nahverkehr nicht in den Griff? Warum muss man am Hauptbahnhof zwischen zwei Gleisen rennen? Warum sind wir nicht Pilotstadt für sicheren Drogenkonsum? Warum gehen wir die Kriminalität in der Innenstadt nicht an, aber dröhnt klassische Musik aus Lautsprechern?

Warum ignorieren wir die Verschmutzung unserer Straßen durch Kippen und Co? Wieso sind wir nicht durch geniale Firmengründungen, sondern absurde Firmenpleiten bekannt? Wie schaffen wir es, über hohe Mietpreise zu klagen, obwohl unser Wohnungsmarkt der entspannteste Deutschlands ist? Und warum sorgen wir nicht dafür, dass das so bleibt, und lockern unsere Bebauungspläne? Und was treibt uns dazu, in einer mehrheitlich konfessionslosen Stadt einen Katholikentag auszufinanzieren, während ein weltberühmtes Festival wie das WGT keinen Cent sieht?

In Leipzig erlebe ich manchmal, wie Mutlosigkeit zum allgemeinen Geisteszustand werden kann. Als hätte der permanente Vergleich mit Berlin uns mit dessen Ambitionslosigkeit angesteckt. Als würde die Politik in einem Konsens versumpfen, der irgendwie diffus links aber doch auch konservativ ist. Ein Konsens, der dann auch erstaunlich immun gegen Veränderungen ist. In der liberalen Familie konnte ich die großartige Erfahrung sammeln, dass fast alles diskutabel ist, und nichts Bestand haben darf, einfach weil es Tradition hat.

Das gleiche wünsche ich mir für unsere Stadtpolitik. Jede Entscheidung verdient es, hinterfragt zu werden. Damit das Leipzig der Zukunft die Chance hat, nicht nur mehr zu können als das Leipzig von gestern, sondern auch mehr zu können als das Deutschland von heute.

Ich träume von einer Stadt, die niemals schläft. Weil sie nicht muss. Ich träume von einer Stadt, die Raum für Innovation und Fortschritt bietet, weil sie es kann. Und ich träume von einer Stadtbevölkerung, die endlich erkennt, dass sie das will. Und dieser Wille ist alles was wir brauchen.

Zur Reihe „Wenn Leipziger träumen“: Wie schon im Jahr 2017 und manchen Jahren zuvor, sind sie wieder unter uns – die Leipziger Träumer. Mal visionär oder fragend, mal ganz nah bei sich haben Menschen ihre Wünsche und Träume frei von redaktionellem Eingriff unsererseits aufgeschrieben. Für die Stadt in der sie leben, für sich und für alle Leser der L-IZ.de und der Leipziger Zeitung. Ein unverstellter Blick auch auf die, die im Alltag oft eher leisere Stimmen als haben oder bekanntere Namen, die sich zur Abwechslung mal ganz persönlich äußern wollen.

Dabei ist es logisch, dass jeder der bereits 2017 und in den folgenden Tagen auf der L-IZ.de veröffentlichten Träumer durch Beruf, das persönliche Umfeld und eigene Erlebnisse verschiedene Ansätze bei der Beantwortung der Frage nach einem besseren Miteinander, wichtigen Vorhaben und einer gemeinsamen Zukunft in unserer Gesellschaft haben muss. Vor allem aber: viele voller Hoffnung auf ein besseres Miteinander in unserer Stadt.

Alle Träume, welche bereits veröffentlicht sind, finden Sie unter dem Tag l-iz.de/tag/traeume.

Wenn Leipziger träumen: „… wenn sie erzählt, dass ihr Vater aus diesem riesigen Krieg nicht zurückgekehrt ist.”

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