Dessau ist ein bisschen seltsam. Daran ändert auch Kristina Kogels kleiner Ein-Tages-Wegbegleiter nichts. Dessau ist fremd. Das alte Dessau genauso wie das moderne. Wie ein Trumm steht die Marienkirche da, so wuchtig, als gälte es, noch einmal Wallensteins Scharen von 1626 abzuwehren. Dafür steht der Rathausturm da, als käme das passende Rathaus in der richtigen Größe noch.

Vielleicht mögen es die Dessauer so und haben sich dran gewöhnt. Sie hatten besonders viel Pech: Im Bombenhagel des 2. Weltkriegs wurden 80 Prozent der Altstadt zerstört. Das repariert man nicht einfach wieder. Da fehlt zu viel an Substanz. Was da von einer Stadt bleibt, ist nur noch Zierschmuck. Dass Dessau so heftig zertrümmert wurde, lag an der Flugzeugindustrie, die hier ansässig war. Mit dem Namen Hugo Junkers verbunden, auch wenn die Nazis Hugo Junkers schon 1933 aus dem Betrieb drängten. Man kann ein Unternehmen kapern, wie man ein Land kapert. Das Ergebnis ist eine rudimentierte Stadt. Mit großen, gepflasterten Plätzen und wenig Grün. Das herzogliche Schloss – ein Volltreffer im Krieg. Übrig blieb von einer großen Schlossanlage nur ein Flügel, der Johannbau, der heute das Museum für Stadtgeschichte beherbergt. Unter anderem mit der Geschichte der ganzen anhaltinischen Fürsten und Herzöge – unter ihnen der “Alte Dessauer”.Im Stadtpark steht das Denkmal Wilhelm Müllers, des Wander-Müllers. Ein Stück weiter eins für Moses Mendelssohn, den Freund von Lessing und Nikolai. Auch wenn er hier nur aufwuchs und zur Schule ging. Gewirkt hat er in Berlin. Vom Dessau seiner Zeit sieht man eigentlich nichts mehr. Das Schwabehaus vielleicht, das eine Bürgerinitiative vorm Verfall rettete. Man sieht die alte Post. Auch hier war dieser seltsame Architekt wirksam, der jeden Erker in einen wuchtigen Trumm von Turm verwandelt hat. Dasselbe hat er beim Museum für Naturkunde und Vorgeschichte getan.

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Vielleicht steckt aber in den wuchtigen Türmen schon das Jahr 1927, als Walter Gropius und seine Kollegen das piefige Weimar verließen und mit dem Bauhaus nach Dessau zogen. Vielleicht hat Dessau schon das ganze 19. Jahrhundert auf das Bauhaus gewartet und deshalb große Türme gebaut, um Ausschau zu halten: Wann kommt denn die Moderne?

In Weimar – so schreibt Kristina Kogel – hat man das 1919 gegründete Bauhaus vertrieben, weil man die Lehrer, Schüler und Förderer als “links und internationalistisch” verschrie. Das kennt man irgendwie. Das Geschrei ist ja wieder da. Kleckert zuweilen wie Häme aus den Gazetten. Alles, was die Welt verändern will, ist links. Mancher redet von neuem deutschen Biedermeier. Es ist wohl schlimmer. Es ist das Provinzielle, das aus seinem alten Mief nicht heraus will. 1927 genauso wie 1933. Die Lehrer des Bauhauses wurden in alle Welt zerstreut, die meisten gingen nach Amerika. Das Bauhaus steht noch. Als Museum genutzt. Unübersehbar moderne Erinnerung an ganze sieben Jahre, in denen diese Schule als Zündfunke wirkte. Seit dem Dessauer Bauhaus baut man anders. Und nach der kurzen Spritztour durch Dessaus Altstadt ist das Bauhaus-Areal (zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt) wie eine Erholung. Hier kommt einem das Gebaute wieder vertraut vor. Die Proportionen stimmen wieder.Man bekommt ja eigentlich drei Tagesziele mit diesem Heft – das alte Dessau, die Bauhaus-Inseln und als Nachschlag den Wörlitzer Park. Die letzten beiden sind wenigstens einen ganzen Tag wert. Wenn man überall, wo man reingehen kann, auch reingeht, auf jeden Fall. Auch im Bauhaus-Areal kann man in die Ausstellung genauso wie in das eine oder andere Meisterhaus schauen – im Bauhaus-Ableger Dessau-Törten sieht man eine der frühesten modernen Kaufhallen, das ehemalige Konsum-Gebäude. Das eine Ausstellung beherbergt. Natürlich. Törten war ein kleines Testgelände für preiswerten Eigenheimbau fürs Volk. Daran wird ja heute noch getestet. Oder wieder. Alles kommt wieder. Auch die Wohnungsnot der schlechter Betuchten, die den besser Betuchten immer so lästig sind.

Das weite Herz eines Fürsten Franz war in seiner Zeit (der Goethe-Zeit) selten und ist es auch heute wieder. Vielleicht lernen wir noch, dass die Not der Aufklärer sich nicht um das Mindeste gemindert hat. Sie wollten die Fürsten erziehen und wünschten sich aufgeklärte – heißt auch: gebildete – Fürsten auf den Thronen. Mit Fürst Leopold II. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (den Napoleon 1807 zum Herzog machte), hatten sie einen. Und wenn die Untertanen Glück hatten, regierte er – wie “Fürst Franz” – 59 Jahre. Wie bekommt man in demokratischen Zeiten aufgeklärte Präsidenten, Kanzler und Minister? In männlicher und weiblicher Form? – Eine ungelöste Frage. Die erst sichtbar wird, wenn die Fragen ungelöst bleiben, die auf der Tagesordnung stehen. “Fürst Franz” modernisierte sein kleines Herzogtum. Das machte auch die Einwohner reicher und den kleinen Staat besser funktionieren.

So dass auch Geld übrig blieb für den gigantischen Park, den Franz anlegte: das Wörlitzer Gartenreich. Für das er sich nicht verschuldete wie der viel berühmtere Fürst Pückler in Muskau, der von Wirtschaft und ordentlicher Landesverwaltung nicht so viel Ahnung hatte. Aber sein Park ist mittlerweile genauso UNESCO-Welterbe wie der Park in Wörlitz – die Parkwelt, die dann der Minister Goethe zum Vorbild nahm für den Weimarer Park an der Ilm.

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Dessau-Wörlitz an einem Tag
Kristina Koge, Lehmstedt Verlag 2013, 4,95 Euro

Womit wir wieder in Weimar wären. Was eben auch das seinerzeit Gemeinsame bedeutet: das Internationalistische, das zu Goethes Zeit noch Weltbürgertum hieß, und die Toleranz, die Franz in seinem Park auch vorlebte. Da gab es nicht nur die sichtbare Wörlitzer Stadtkirche St. Petri, sondern auch die Synagoge mitten im Park, die Rousseau-Insel, die Villa Hamilton, das Pantheon und das Gotische Haus. Und gibt es immer noch. Hier kann der Fußgänger schweifen, schauen und nachdenken darüber, welche Spielräume die Menschheit gewinnt, wenn sie sich aufgeklärte Frauen und Männer als Regierende wählt.

Sieben kleine Extra-Ausflugstipps zeigen, was man sonst noch so rund um Dessau sehen kann. Vom Technikmuseum Hugo Junkers bis zum Schloss Oranienbaum. Man hüpft regelrecht zwischen den Jahrhunderten hin und her. Hinterher ist man durchgeschüttelt, setzt sich ins Kornhaus (ja, auch das so ein Bauhaus-Erinnerungsstück) und schaut über die Elbe, die seit dem großen Geplätscher von 2002 wieder friedlich ist.

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