StĆ¼ck fĆ¼r StĆ¼ck erweitert der Lehmstedt Verlag seine Bibliothek der auƟergewƶhnlichen Fotografen der DDR. Was zu einem erstaunlichen Effekt fĆ¼hrt: Je ferner dieses abgewickelte Land zeitlich erscheint, umso mehr verdichtet es sich. Und wƤhrend die Landessender noch immer ihr alt gewordenes Publikum mit den Bildern der offiziƶsen DDR-Medien bei Laune halten, zeigt jeder einzelne von Mathias Bertram herausgegebene Bildband, wie verlogen das Selbstbild der DDR-Propaganda war.

Dazu mussten die Akteure nicht einmal bewusst den Weg ins Abseits gewƤhlt haben. Auch wenn ein Lebensweg, wie ihn Bernd Heyden, Thomas Steinert oder Gerd Danigel gegangen sind, eher das Typische fĆ¼r diese Art des dokumentarischen Fotografierens war. Denn in der DDR selbst waren ungeschƶnte, nicht-propagandistische Bilder in den Medien von Staat, Partei und VerbƤnden nicht unterzubringen. Sie waren nicht gewollt. Selbst gestandene Fotografen lebten stets mit der Angst, dass ihre Bildsprache gegen den offiziellen Kanon verstoƟen kƶnnte. Sie fotografierten mit der selben Schere im Kopf wie ihre schreibenden Kollegen Journalismus machten.

Trotzdem gab es immer wieder die jungen Leute, denen ein Job in der offiziellen Hierarchie vƶllig egal war, die das Fotografieren als dokumentarische Herausforderung sahen und auf eigene Faust loszogen. Ihre Brƶtchen verdienten sie sich oft – wie auch Harald Hauswald – mit diversen Aushilfsjobs. Ihre Fotos erschienen, wenn Ć¼berhaupt, eher in Kirchenzeitungen oder – wenn es die Kontakte gab – in Westmedien. Der Band “Ferner Osten” erzƤhlt von dieser Arbeit Harald Hauswalds fĆ¼r Medien wie GEO, Stern, Merian oder ZEITmagazin. Mit westlichem Filmmaterial hielt er die spƤte DDR in Farbe fest. Was selbst im Vergleich mit der seinerzeit ebenfalls in Farbe produzierten Propaganda-Fotografie der DDR natĆ¼rlich verblĆ¼fft, denn die zeigte schon damals eine erstaunliche BlƤsse und UnbestƤndigkeit. Sie war wie das Land – gefƤhrdet von Wind, Sonne und Regen. Und von der heftigen Sorge der FunktionƤre, ihre Untertanen kƶnnten beginnen, sich wie richtige Menschen zu verhalten, Farbe zu bekommen und in den Lichtkreis der Geschichte zu treten.Was sie im Herbst 1989 ja auch taten. Und zuweilen hat man heute das GefĆ¼hl: Vorher waren sie gar nicht da. In den Filmschnipseln der Aktuellen Kamera kamen sie nicht vor, in den Zeitungen erst recht nicht. Dort gab es auch nicht die verwohnten HƤuser, die tristen StraƟen und heruntergekommenen Stadtviertel zu sehen.

Umso erstaunlicher, wieviele Fotos nun auftauchen aus den Archiven. Und welche QualitƤt sie haben. Bekannte Fotografen wie Arno Fischer und Roger Melis waren oft der MaƟstab der jungen, unabhƤngigen Fotografen. Bei ihnen lernten sie die Bildsprache der europƤischen Moderne kennen – und arbeiteten an ihrer eigenen Bildsprache. Tausende Fotos hat auch Harald Hauswald gesammelt, unsortiert haben sie Ć¼berdauert. Sortiert hat er seine Filme auch deshalb nicht, weil er genau wusste, wie ihn die staatlichen Instanzen Ć¼berwachten. Die Stasi legte fĆ¼r ihn eine Operative Personenkontrolle unter dem Titel “Radfahrer” auf. Ein leicht zu lesendes Archiv wollte er den Geheimdienstlern nicht frei Haus liefern.EinschĆ¼chtern lieƟ er sich nicht. Ab 1981 war er als Fotograf der evangelischen Stephanus-Stiftung beschƤftigt. Dort fotografierte er die SchĆ¼tzlinge in diesen Heimen. Die Bilder dieser Menschen, die er mal beim Feiern, mal beim Arbeiten oder Verreisen ablichtet, begegnen in diesem Bildband den Bildern von Rockbands, Punks und Polizisten, Mai-Demonstranten, Kartoffelsammlerinnen und FuƟballanhƤngern des 1. FC Union. Er zeigt den Ɯbermut der jungen Menschen und die intimen Szenen des Alltags. Gab es auch schon 1982 Flaschensammlerinnen in Berlin? Und blieben Jugendliche tatsƤchlich so brav stehen, wenn sie von Vopos kontrolliert wurden? Sahen die FDJ-Ordner tatsƤchlich so frustriert und ratlos aus und die Soldaten beim ND-Pressefest so frƶhlich, wenn sie kleinen Lockenkƶpfen eine Maschinenpistole in die Hand drĆ¼ckten?

Auch das Berlin der AufmƤrsche und Paraden kommt bei Hauswald ins Bild. Doch er zoomt heran oder reiƟt den Blickwinkel so weit auf, dass sich eine stramm durchorganisierte Zeremonie in ihrer ganzen traurigen Inszenierung zeigt. Bierkutscher, Rentner beim Tanztee, Arbeiter in ihrer Stammkneipe – bei Hauswald rĆ¼ckt jene Welt ins Foto, in der die meisten DDR-Bewohner wirklich lebten. Das kleine GlĆ¼ck, die stille Zuversicht der 1980er Jahre, die gerade im Prenzlauer Berg gƤrte, wo hunderte junger Mensch ein alternatives Leben ausprobierten. Und wenn Viele das tun, gerinnt das immer mehr zur Wirklichkeit. Manchmal merken Menschen gar nicht, wie sehr sie einen scheinbar in Beton gegossenen Zustand verƤndern, wenn sie beginnen, ihre WĆ¼nsche zu leben. Vieles davon hat Hauswald dokumentiert – Ausstellungen, Feste, Lesungen, Modenschauen und den Alternativen Kirchentag 1987.

Und dann 1989 die glĆ¼ckliche BƤrbel Bohley. Ein Bild, das Mathias Bertram in der Zusammenstellung gleich folgen lƤsst von einem Foto aus dem Jahr 1983, als Heiner MĆ¼ller in einer Privatwohnung in Magdeburg liest, neben ihm Sascha Anderson. Beim UmblƤttern folgen Stephan Krawczyk (1986) und die ernsthaft dreinschauenden Herren Plenzdorf, Hein, Hermlin, de Bruyn im Herbst 1989. Aus heiterem Himmel kam dieser Herbst also nicht wirklich. In der verknƶcherten DDR der Losungen und Mauern steckte schon lƤngst ein anderes Land, dessen Konturen immer deutlicher wurden, je konturloser das Land der FunktionƤre wurde. Gerade im LƤcheln BƤrbel Bohleys steckt das groƟe Staunen Ć¼ber das, was da im Oktober/November 1989 auf einmal war und sein durfte.

Aber auch das ist lƤngst Geschichte. Solche offenen Momente sind rar. Dann geht vielleicht nicht wirklich die Geschichte zur Tagesordnung Ć¼ber, aber die amtlichen Instanzen tun es. Sie haben einen Furor vor diesen Momenten der vielen offenen Mƶglichkeiten, schreiben ganz schnell neue Gesetze und Vorschriften, wickeln ab und sorgen vor allem dafĆ¼r, dass kein herrenloses Besitztum herumliegt oder gar ein herrenloses Volk das Mƶgliche vielleicht ausprobiert.

Ein Bildband, der die Jahre 1989 bis 2013 einmal so dicht in SchwarzweiƟ darbieten wĆ¼rde, wƤre vielleicht sehr Ć¼berraschend fĆ¼r Manchen, der sich von den bunten Farben der Gegenwart gern tƤuschen lƤsst. Hauswald hat ja bewiesen, dass es nicht so sehr auf Farbe oder SchwarzweiƟ ankommt, sondern auf den skeptischen, aber freundlichen Blick, den einer haben muss, der die Wirklichkeit so ablichten mƶchte, wie sie ihm begegnet. Ungeschminkt und unverstellt.

Harald Hauswald “Vor Zeiten. Alltag im Osten”, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013, 29,90 Euro

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