Albert Lortzing gehört zu den Musikern, die meist vergessen werden, wenn von den großen Gestalten der Musikstadt Leipzig geredet wird. Bach, Mendelssohn, Wagner, Schumann haben sich ihren Platz in der öffentlichen Wahrnehmung erkämpft. Und das ist manchem Liebhaber schon viel zu viel. Und dabei ist die Hochzeit der Leipziger Musik ohne Lortzing gar nicht zu denken.

Zwölf Jahre lang lebte der 1801 Geborene in Leipzig, auf den ersten Blick genauso lange wie Felix Mendelssohn Bartholdy, bei dem man aber die vier Jahre seines Berliner Engagements abziehen muss – da bleiben nur noch acht. In dieser Wertung der Großen Klassischen Musik, wie sie im Gewandhaus gespielt wurde und wird, gegen die eher populäre Musik, wie sie damals im Alten Theater zur Aufführung kam, steckt ein Stück der Leipziger Schizophrenie und Überheblichkeit.

Jens Oberheide, Theaterautor und Essayist und eine Zeitlang sogar Großmeister der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, seit 2011 Vorsitzender des Kunstvereins der Freimaurer PEGASUS, holt weit aus in seinem reich bebilderten Buch, bei dem es eigentlich nur um eine Jubel-Kantate geht, die 1841 in Leipzig zur Aufführung kam und dann für Jahrzehnte praktisch verschwand. Aber ohne das Leben des begabten Schauspielers, Regisseurs, Kapellmeisters und Komponisten zu erzählen, lässt sich natürlich auch die Jubel-Kantate nicht einordnen, die Lortzing 1841 zum 100-jährigen Bestehen der Leipziger Freimaurerloge “Minerva zu den drei Palmen” schrieb.Und da ist man mitten in diesen 1830er Jahren, in denen sich in Leipzig die Musikerschicksale geradezu überschnitten – Mendelssohns Wirken im Gewandhaus, Jugend, Liebe, Heirat und Karrierestart von Clara und Robert Schumann sowie Wagners großartiges Debüt. Und dann dieser Lortzing, den Theaterintendant Ringelhardt 1833 als Schauspieler und Sänger ans Alte Theater holte, wo Lortzing zehn Jahre lang rauschende Erfolge feierte. Er war ein Multitalent, was die Leipziger dann auch zu sehen bekamen, als seine bis heute berühmten und viel gespielten Opern auf die Bretter kamen: “Zar und Zimmermann”, “Der Wildschütz”, “Undine”, “Der Waffenschmied”.

In “Zar und Zimmermann” sang er die Rolle Peters I. selbst. Und das hätte durchaus noch Jahre so weiter gehen können. 1843 wechselte Lortzing aber von der Bühne in den Orchestergraben und wurde Kapellmeister. Möglicherweise eine Fehlentscheidung. Aber das war nicht der Grund für das Ende seiner Leipzig-Zeit. Der lag in einer der vielen seltsamen Entscheidungen des Leipziger Rates, der sich 1844 nicht damit zufrieden gab, dass Ringelhardt das Alte Theater Abend für Abend füllte, weil er sein Programm populär und den Wünschen des Publikums entsprechend zugeschnitten hatte.

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Den weisen Herren des Rates war das nicht klassisch und nicht erhebend genug. Sie wollten mehr anspruchsvolles Programm, schickten Ringelhardt in die Wüste und werden sich nicht die Bohne gewundert haben, dass sein Nachfolger binnen eines Jahres das Theater in die roten Zahlen wirtschaftete und selbst in die Insolvenz gehen musste.

Warum erkennen Ratsherren nie, wann sie wirklich einen begnadeten Intendanten haben? Oder ein Genie unter Vertrag wie diesen Lortzing, dessen Opern in ganz Europa Erfolge feierten (auch wenn der Komponist davon praktisch nichts hatte)? 1845 kündigten sie den Vertrag mit Lortzing als Kapellmeister, entledigten sich des Mannes einfach durch eine kühle Kündigung. Womit nicht nur Lortzings Leipziger Zeit zu Ende war, sondern auch die Zeit seiner materiellen Sicherheit. Die folgenden sechs Jahre waren eine Zeit der verzweifelten Suche nach einem Auskommen für sich und seine achtköpfige Familie. Gestorben ist er 1851 in Berlin – völlig verarmt, überarbeitet und ausgebrannt.

Vielleicht ist es das, woran sich die Leipziger nicht gern erinnern möchten: Wie schäbig sich ihre Stadt zuweilen benommen hat gegen die Besten ihres Faches. Oberheide geht auch in einem Kapitel darauf ein, wie eng verflochten Lortzing auch mit den berühmten Liederkomponisten seiner Zeit war, von denen einige damals auch in Leipzig lebten (und heute ebenso gern vergessen werden): Ernst Anschütz zum Beispiel (“O Tannenbaum”, “Es klappert die Mühle …”).Die Jubel-Arie, auf die sich Oberheide mit vielen kenntnisreichen Ausflügen ins Leben und Schaffen Albert Lortzings zuarbeitet, entstand 1841. Die Loge “Minerva zu den drei Palmen” feierte damals mit 700 eingeladenen Logenbrüdern in der Alten Buchhändlerbörse am Nikolaikirchhof. Eingeladen waren die Brüder aus anderen Logen auch schon zur Gestaltung des Festes. Albert Lortzing war schon seit 1826 Freimaurer, 1834 wurde er Mitglied der Leipziger Loge “Balduin zur Linde”. Und da die Loge “Minerva” ihr Jubelfest nur mit Brüdern feiern wollte, suchte man natürlich auch Textdichter, Komponist, Musiker und Sänger für die Jubel-Kantate in den Leipziger Logen. Und man bekam sie in der Musikstadt Leipzig auch alle zusammen.

Oberheide geht natürlich auch auf Vor- und Nachgeschichte der von Lortzing komponierten Jubelkantate ein. Zur Vorgeschichte gehört seine Vertonung der Schiller-Ode “An die Freude”. Zur Nachgeschichte gehört die teilweise Wiederverwendung der Komposition für die “Kantate der Schiller-Feier” 1842. Das ist das Jahr, in dem Robert Blum in Leipzig den Schillerverein gründete. Mit Lortzing war er eng befreundet – Lortzing bürgte für ihn bei der Aufnahme in die Freimaurerloge “Balduin zur Linde”. Und von der Arbeit her kannten sich beide: Auch Blum wurde von Ringelhardt nach Leipzig geholt und war Sekretär und Kassierer im Alten Theater.

Auch auf das Zwiegespaltensein der Zeit zwischen Biedermeier und Vormärz geht Oberheide ein.

Für Blum führte das ja bekanntlich zu seinem frühen Erschießungstod 1849 in Wien. Lortzing versuchte in diesem Jahr, noch einmal als Kapellmeister in Leipzig Fuß zu fassen. Aber auch da spielten seine Leipziger Arbeitgeber keine gute Rolle.

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Lortzings Jubel-Kantate
Jens Oberheide, Salier Verlag 2014, 14,90 Euro

Oberheides Buch ist also ein bisschen mehr als nur die Suche nach einer lange Zeit verschollen geglaubten Kantate, die 2014 im Osnabrücker Theater ihre Wiederaufführung erlebte. Einen Großteil des Materials bekam Oberheide aus dem Archiv der Leipziger Loge “Minerva zu den drei Palmen”. Die es wieder gibt und die – wie andere in der NS-Zeit aufgelöste Logen – nach 1990 lange Wege gehen musste, um ihre einst von den Nazis beschlagnahmten Archive wiederzubekommen. Oder zumindest das, was davon noch auffindbar war. Auch das bekommt ein eigenes Kapitel im Buch.

Womit nun natürlich die Frage gestellt ist: Wer in Leipzig kümmert sich jetzt so um Lortzing, wie sich um Bach, Wagner, Mendelssohn und die Schumanns schon gekümmert wird? Es wäre an der Zeit.

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