Sie sind etwas seltener geworden, seit das Internet die deutschen Haushalte erobert hat: Hausierer, Vertreter, all die Leute, die früher ständig an der Tür klingelten und irgendwelche Dinge verkaufen wollten - Versicherungen, Zeitschriften-Abos, Mitgliedschaften, Bürsten, Staubsauger. Eigentlich haben sie alle eine Art Abschiedsparty verdient, finden Eva Lirot und Hughes Schlueter.

Sie haben Kolleginnen und Kollegen aus der schreibenden Zunft gewonnen, all den Menschen, die in den vergangenen Jahren durch die Lande reisten, mit kleinen, phantasievollen Kriminalgeschichten ein hübsches Denkmal zu setzen. Natürlich sind die Leute, die im Namen dubioser Firmen herumreisen und versuchen, deren Produkte zu verticken, nicht wirklich ausgestorben. Die Produkte haben sich geändert, viele Methoden sind perfider geworden. Und es gibt nach wie vor viele Menschen, die diese Art Job als verzweifelten Ausweg aus der Arbeits- und Einkommenslosigkeit begreifen.

Und weil auch Krimi-Autoren ein Herz haben, versuchen sich alle zwölf Autorinnen und Autoren in diesem Band in die Seele all jener Menschen hineinzuversetzen, die aus unterschiedlichsten Gründen auf den Straßen unterwegs sind. Denn auch wenn etliche dieser Drückerkolonnen den Ruf der Branche bei den Bürgern des Landes gründlich ramponiert haben, sehen die Autoren ihre Hausierer nicht immer als aalglatte und geschäfteversessene Schreckensgestalten. Sie sehen auch keinen Grund, sie einfach deshalb zur Strecke zu bringen, weil sie so penetrant bemüht sind, die Privatsphäre zu verletzen und das Geld der Leute abzugreifen.

Wenn die Drücker in diesen Geschichten dann dennoch zu Tode kommen, dann fast immer als Opfer der Umstände, Motto: dumm gelaufen. In der Regel passiert ihnen das, was auch anderen Menschen oft genug zum Verhängnis wird: Sie haben bei der falschen Firma angeheuert, den falschen Versprechungen geglaubt, an den falschen Türen geklingelt. Ein, zwei wirklich aalglatte Typen kommen vor, die es erwischt. Aber das ist nicht die Regel. Auch Krimi-Autoren leben eher in gesellschaftlichen Sphären, in denen man die Arbeitsangebote in der Zeitung (oder im Internet) doch lieber genau liest. Oft genug gibt es Durststrecken, auf denen man froh ist, wenigstens irgendwo genug Geld für Miete, Krankenkasse und – ach ja, die gibt es ja auch noch – Finanzämter zu verdienen. Denn die Mega-Seller im Krimi-Genre schreiben nur ganz Wenige. Die meisten Krimi-Autoren sind froh, wenn die Titel einigermaßen ordentliche Auflagen bekommen, der Verlag pünktlich überweist und die Gemeinde der Krimi-Leser nicht schrumpft.

Was erstaunlicherweise auch nicht zu passieren scheint, obwohl Fantasy und Thriller augenscheinlich mächtig aufgeholt haben. Aber die Leser brauchen ihren Nervenkitzel vorm Einschlafen. Und manchmal auch etwas besseren, als ihn die üblichen Fernseh-Tatorte liefern. Ein bisschen näher an der Wirklichkeit zum Beispiel. Und das sind auch diese zwölf Geschichten, auch wenn einige – den Veränderungen geschuldet – etwas weiter in der Vergangenheit platziert sind, im Goetheschen Weimar zum Beispiel, in den noch kauffreudigen 1960ern und der sich anbahnenden Kohl-Ära (als das Verkloppen von Versicherungspolicen zum Volkssport wurde), oder wie in “Springers Fall”, der in den 1950ern handelt und das Überleben strammer NS-Polizisten im Nachkriegs-Polizeiapparat thematisiert.

In dieser Geschichte ist es eben nicht der Verlagsreisende, der am Ende einen unverhofften Tod erlebt. Dafür macht die Geschichte recht deutlich, dass es gerade die Gestalten an der Haustür sind, die dort meist gar nicht so freiwillig stehen und auch gar nicht so geschützt sind, wie es die Bewohner der Häuser sind. Sie können sehr schnell zum Opfer werden, nicht nur durch abgebrühte Dienstherren, die ihre Ausgesandten behandeln, wie es sich die schlimmsten Sklaventreiber gern wünschen (so wie in “Es brennt in Brandenburg” oder “Rotkäppchens Todesreise”, zwei Geschichten, die miteinander kommunizieren). Aber sie können auch – wie die blonde Studentin in “Außer Kontrolle” – selbst zum Ziel einer bösartigen Attacke werden.

Es fällt schon ein wenig auf, dass gerade Frauen in dieser Sammlung zur eiskalten Täterin werden. Mal räumen sie vermeintliche Nebenbuhlerinnen aus dem Weg, mal nehmen sie die Ausmerzung der Eindringlinge selbst in die Hand und überlassen das gar nicht erst der Polizei. Was einen durchaus an die neueren deutschen Gesellschaftsdebatten erinnert, die von einem deutlich schwindenden  Vertrauen in Politik und Polizei erzählen. Das scheint sich auch in diesen Geschichten fortzupflanzen: Auf die Polizei wird da gar nicht erst gewartet, sondern Eigeninitiative ergriffen. Was dem Leser zwar da und dort ein stilles “Recht geschieht’s ihm!” entlockt, hernach aber auch oft genug stutzen lässt: Denn wenn der Drang so groß ist, die Ergebnisse der mutigen Tat dann gleich wieder zu vertuschen – was ist da eigentlich aus unserem Rechtsverständnis geworden? Haben wir schon italienische Verhältnisse und trauen den müde gesparten Polizisten nicht mehr zu, die Sache ordentlich zu klären? Und den Gerichten auch nicht?

Irgendwie schon ein beunruhigender Gedanke, weil es eben nicht nur eine Autorin ist, die hier die Beseitigung der Gemeuchelten empfiehlt. Oder spüren die Krimi-Autoren einfach nur früher und sensibler, dass es im Lande schon längst nicht mehr mit rechten Dingen zugeht und Polizisten, die sich als Diener der Gerechtigkeit verstehen, zur burnout-bedrohen Mangelware werden?

Lirot und Schlueter jedenfalls fallen die Titel für nächste Bände, in denen sie sich mit Kolleginnen und Kollegen gemeinsam der neueren Abgründe unserer Gesellschaft annehmen wollen, gleich in Serie ein. Ein fruchtbares Feld, wenn man es recht bedenkt. Es gibt genug Berufsgruppen, die an der Nahtstelle zwischen Bürger und Geheimniskrämerei arbeiten – und die sich als eindeutige Vertreter der Geheimniskrämerei verstehen und sich dabei auch noch als rechtmäßige Sieger der Geschichte begreifen. Schon wenn man das denkt, hört man im Geiste die Tastaturen klappern, ahnt, wie die Krimi-Experten sich in den Stoff knien und ihren Frust rauslassen auf all die falschen Fuffziger, die für den blanken Mammon bereit sind, ihre Seele zu verkaufen.

Gerade die “Drückermorde” zeigen ja, dass das Ergebnis der Geschichte beim genaueren Hinsehen durchaus ganz anders ausfallen kann. Und regelrecht frustrierend ist es am Ende, wie viele schöne junge Frauen in diesem Band sterben müssen. Vielleicht sollte man sie wirklich alle warnen, bevor sie sich von der Annoncen verführen lassen: Haustürgeschäfte sind ein elend gefährlicher Job.

Lirot & Schlueter (Hrsg.) “Drückermorde. 12 Haustürgeschäfte, die böse ausgehen, fhl Verlag, Leipzig 2015, 12 Euro

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