Die Helden von Amanda Koch - auch und gerade in diesem dritten Band der Trilogie "Die Wächter von Avalon" - zweifeln und zaudern, erweisen sich oft genug als in sich zerrissen. Aber das wirkt auch auf erstaunliche Weise vertraut. Denn dieselbe ratlose Quest macht eben doch jeder junge Mensch einmal durch, manchmal auch mehrmals, weil sich oft die ersten und einfachen Lösungen als falsch herausgestellt haben.

Falsches Studium, falscher Job, falsche Arbeitsstelle, falsche Stadt und – noch viel, viel komplizierter: falscher Partner/falsche Partnerin. Oder doch der richtige Partner – doch nur leider viel zu richtig, weil auf einmal die Herausforderung, die Reibeflächen, das Unzufriedensein fehlen. Das Leben ist eigentlich voller raunender Entscheidungen, von denen sich die klaren und einfachen oft genug als die falschen und irreführenden herausstellen.

Das korrigiere mal einer, wenn Politiker, die es einfach ins falsche Metier verschlagen hat, die Alternativen verrammelt haben. Stichwort: Bologna-Reform.

Die Fantasy zeigt zuweilen mehr über unsere Wirklichkeit als alle diese quälenden Professorenromane, die regelmäßig für Buchpreise nominiert werden. Aber das merkt man nur, wenn man Fantasy eben nicht nur als Unterhaltungslektüre liest. Dann funktioniert sie meistens nicht oder wird meist so platt wie die üblichen Schlagetot-Helden-Geschichten, die mit Suche und Abenteuer wirklich nichts gemein haben. Aber das Leben ist ein Abenteuer. Gerade weil eine komplexe Welt es wirklich schwer macht, dass man seine richtige Position im großen Kosmos ganz einfach findet. Man muss sie suchen. Und alle Ratschläge, die man (nicht nur in jungen Jahren) bekommt, sind in der Regel Rätsel, stimmig nur für den, der die Ratschläge gibt. Aber selten schon die richtige Lösung für die Suchende/den Suchenden.

Es geht in der Regel nicht ohne Sackgassen, Fehlversuche, Umwege, Wiederholungen ab, auch nicht ohne Risiko, Versagens- und Verlustängste. Und auch nicht ohne die Angst, bei all dem Suchen und Versuchen Schaden anzurichten, andere zu verletzen, zu gefährden, zu verbrennen. Was in diesem dritten Band nicht nur am Schicksal von Aylórien durchgespielt wird – einem Schicksal, mit dem man durchaus hadern kann als Leser: Warum riskiert sie ausgerechnet ihre Unsterblichkeit? Sterblichkeit ist doch nun wirklich kein Geschenk … Beim rechten Nachdenken eben doch.

In diesem Band nun begegnen die Helden der Trilogie einem Wesen, das noch auf ganz andere Art leidet unter dem Gefühl, nicht zu wissen, welches ihre Bestimmung ist. Muireall heißt diese in eine Art Marterkreis Gebannte, die mit den Gaben aller vier Elemente gesegnet ist, eigentlich eine mit mächtigen Kräften ausgestattete junge Frau – doch selbst ihr Vater fürchtete, dass diese Kräfte unkontrolliert zum Vorschein kommen könnten, gar dominiert von der dunklen Macht des Mondes.

In diesem Buch ist Amanda Koch besonders nah am alten Weltverständnis der frühen europäischen Kulturen, die nicht nur den Menschen als Teil eines von Göttern und göttlichen Mächten durchdrungenen Kosmos (und damit eines kosmischen Gleichgewichtes) sahen, sondern auch als Doppelwesen aus Licht und Dunkelheit. Jede von Amanda Kochs Heldinnen, jede ihre Helden hat so eine Schattenseite, manche werden im Lauf der Geschichte regelrecht konfrontiert mit ihrem Gefährdetsein durch die Mächte der Dunkelheit – es geht um Verführtsein, Schwachsein, Grenzenüberschreiten.

Wer sein eigenes Leben  dabei ein bisschen aus dem Augenwinkel betrachtet, weiß, dass das nicht nur die dunkle Seite von Fantasy-Gestalten ist. So ist eigentlich das Leben hienieden, wenn man zumindest den kleinen Mut hat, sich das einzugestehen.

Wer das nicht kann, wird wohl auch keine Fantasy lesen, wird aber wohl auch sein Leben lang andere Menschen quälen, weil er ihre Unsicherheit, ihr Denken in Alternativen, ihr Suchen und Zweifeln nicht aushält.

Menschen, die niemals zweifeln, sind gefährlich. Sie neigen dazu, wirklich keine Grenzen mehr zu akzeptieren. Und – wie Mor-Riogana in diesem Buch – über Leichen zu gehen.

Da braucht es wirklich kein großes Augenblinzeln, um die Parallelen zu unserer Welt zu sehen, wie sie ist. Das Gute an sich gibt es nicht. Jedenfalls nicht, wenn sich Menschen nicht mehr hinterfragen und das, was sie tun, nicht immer wieder auf den Prüfstand stellen.

Es ist gut möglich, dass die alten Druiden (die Amanda Koch auch auftreten lässt in ihrer Geschichte), einen Ritus gefunden haben, wie man damit umgeht. Tatsächlich erzählt ja diese Art von Fantasy davon, wie schwer es ist, das Sich-in-Frage-Stellen durchzuhalten und den oft langen und mühseligen Weg bis zum Finden des richtigen Weges auf sich zu nehmen. Auch deshalb hat Amanda Koch ja drei Bücher mit je 500 Seiten gebraucht, um wenigstens die angelegten Wege ihrer Heldinnen und Helden zum Abschluss zu bringen. Mit einer Menge Phantasie, die sie in die Schöpfung Amadurias investiert hat und in all die märchenhaften Wesen, dienstbaren Geister, wundertätigen Dinge, Runen, Verwicklungen, Abzweigungen und – ja, auch Sackgassen. Und auch in die Zerrissenheit selbst ihrer dunklen Heldinnen und Helden. Besiegbar sind sie nur, wenn man sie in ihrer Zerrissenheit versteht und damit auch Empathie entwickelt.

Amanda Koch hat hier ganz unübersehbar eine märchenhafte Geschichte für ganz menschliche Wirklichkeiten erfunden. Man darf sich in den oft genug zaudernden, orientierungslosen, ratlosen Heldinnen und Helden durchaus wiederfinden. Diese Wächter besiegen nicht einfach nur “das Böse”, sondern fühlen sich verantwortlich für das, was sie tun. Was auch Zweifel und Selbstvorwürfe einschließt – und damit diese komischen Gefühle, die man meist Scham und Schuld nennt. Wer also nur einfach die wilde Schlacht um ein verwunschenes Königreich sucht, ist hier natürlich falsch.

Oder vielleicht gerade richtig, weil diese Art Fantasy eben einlädt, über all diese üblichen Dualitäten (gut und böse, dunkel und hell, mächtig und ohnmächtig, Sieg und Niederlage) ein bisschen nachzudenken. Ein paar Stichworte könnten sein “auf den Weg machen”, “Prüfungen bestehen”, “sehen lernen”. Oder um ausgerechnet die zerissenste Gestalt aus diesem Buch, Muireall, zu zitieren: “Übernimm Verantwortung und stelle dich dem Leben! Nimm die Herausforderungen an!”

Das sagt sie ausgerechnet zu Aylórien, die ja nun am längsten gesucht und gelitten hat. Aber so ist das nun mal mit dem Leben. Es braucht immer wieder mal jemanden, der einem den Rücken stärkt und sagt: Nimm die Herausforderungen an!

Kann ja auch eine dicke Trilogie sein. Wenn also demnächst allerlei Leute in der Straßenbahn aufspringen und die Faust ballen, könnte es an so einem Satz liegen. Da muss man auch in keiner Weise mit Merlin verwandt sein, braucht auch keine Zauberrune und kein Zauberpferd. Nur jemanden, der einem dann das Buch wieder aufhebt und dabei zuzwinkert: Nicht einschüchtern lassen. Machen.

Amanda Koch “Die Wächter von Avalon. Die Legende von Yr”, Familia Verlag, Leipzig 2015, 17,95 Euro

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar