Aber was tun, fragen sich gerade Roland Jahn und Ides Debruyne in Thomas Mayers kleinem Essayband "Nun sag, wie hast du's mit ..", wenn nicht nur privatwirtschaftliche Medien dem enormen Geschwindigkeitsdruck der digitalen Welt ausgesetzt sind und gleichzeitig die Redaktionen zusammenstreichen, sondern auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nur noch auf Einschaltquoten schielen und größtenteils nur noch senden, "was Quote macht"?

Ist das nicht eigentlich auch schon eine Art von Selbstzensur? Gepaart mit einer oft unübersehbaren Staatsnähe: Man sendet, was genehm ist, und vermeidet, bei den Mächtigen anzuecken.

In krasser Form ist das Problem ja seit ein paar Jahren in Ungarn zu beobachten. Bálasz Nagy Navarro schreibt darüber mit Herzblut und Trauer – denn auch wenn die Ungarn in einem seltenen Moment zu Hunderttausenden auf die Straße gingen, um sich mit den hungerstreikenden TV-Mitarbeitern zu solidarisieren, fiel diese Solidarität schon nach wenigen Wochen wieder in sich zusammen. Lethargisch nimmt man die Auswüchse der Orbanisierung hin. Und es passiert, was man auch in anderen Regionen Europas beobachten kann: Die jungen Leute, die in so einer erstickenden Atmosphäre keine Zukunft mehr sehen, wandern in Scharen aus.

(Was dann erstaunlicherweise auch wieder an die Vorgänge in Ostsachsen erinnert: Die jungen, veränderungswilligen Menschen ziehen weg in die Großstädte – und zurück bleibt eine verbitterte, veränderungsunwillige Bevölkerung, die auf jede Störung mit Aggression reagiert.)

Und wie war das mit Russland und der Ukraine? Auch das ein Thema, das davon bestimmt wird, was Journalisten tatsächlich vor Ort sehen und erfahren. Und manche Themen sind nun einmal nicht eindeutig, weil sich Geschichte und Gegenwart vermischen – so wie im Fall der Krim. Darüber schreibt Oleg Kaschin, der in Russland selbst Opfer eines brutalen Überfalls wurde, weil er zu kritisch berichtete. Aber er betrachtet die Krim mit russischen Augen, da wird auch seine Geschichte vom Einmarsch der “Grünen Männchen” ein bisschen anders. Aber auch das gehört zum Journalismus – und wird so gern vergessen und mit Wortgerümpel wie “Objektivität” zugemüllt: Journalisten müssen nicht nur deutlich machen, wer ihnen was gesagt hat und wer welche Rolle einnimmt im großen Spiel – sie müssen auch ihre eigene Position deutlich machen, damit die Leser wissen, aus welchem Blickwinkel sie die Dinge betrachten.

Und am Ende bleibt noch die Frage: Ist die Antwort des 21. Jahrhunderts auf das “Gottlose 20. Jahrhundert” nun eine neue Christianisierung? Nein, sagt Britta Petersen in ihrer klugen Analyse des deutschen Umgangs mit dem Islam. Und zu Recht stellt sie dabei fest, dass unsere Gesellschaft nicht andeutungsweise so aufgeklärt ist, wie wir immer meinten. Sie zitiert Kant – und niemand anderen kann man dazu nach 300 Jahren Aufklärung zitieren: Aufklärung ist auch heute noch der “Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit”. Und trocken stellt sie fest, dass der islamische Terrorismus, wie wir ihn heute erleben, Ergebnis einer unvernünftigen, unwissenden Politik ist. Und zwar nicht der arabischen Regierungen, sondern der westlichen, die immer dann kneifen, wenn es um Macht, Einfluss, Rohstoffe geht.

Die selbsternannten “Islamkritiker” sind logischerweise der Gegenentwurf jeder Aufklärung. Britta Petersen: “Sie verschärfen die Konfrontation und bewirken genau das Gegenteil dessen, was aufgeklärte Gesellschaften in Zeiten globaler Mobilität eigentlich bräuchten: Toleranz und einen rationalen Diskurs darüber, wie sich das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen verbessern lässt.”

Aber die Unvernunft liegt nicht nur bei den Unaufgeklärten auf der Straße. Sie ist leider auch Politik, denn seit über 20 Jahren liegt das Thema Einwanderung auf dem Tisch – und die verantwortlichen Regierenden verweigern es – und verweigern damit auch die Beschäftigung mit der Wirklichkeit. Auch nach der 100. Wiederholung wird die Forderung, die Flüchtlinge “an den Grenzen zurückzuhalten”, nicht sinnvoller. Das ist Problemverweigerung und nicht im Ansatz eine rationale Lösung. Und es verstärkt für die Ratlosen auf der Straße den Eindruck, genau so könne man das “Flüchtlingsproblem lösen”, sozusagen bereinigen, indem man die Leute einfach außer Landes schafft, irgendwohin, am besten zurück, wo sie hergekommen sind. Da herrscht aber Krieg und der Terror tobt.

Unvernünftigen ist so etwas egal. Aber das kann nicht Maßstab einer aufgeklärten Politik sein. Natürlich können die hier gesammelten Beiträge nicht die Lösung anbieten. Journalisten sind nicht die Erlöser der Nation, sie sind “nur” die kritische Vierte Gewalt (wenn sie nicht gehindert werden an ihrer Arbeit oder wie in vielen Ländern der Welt mit drakonischen Strafen für realistische Berichterstattung mundtot gemacht werden). Derzeit sind sie auch eher die Vierte Traurigkeit, denn sie leiden nicht nur darunter, dass die Werbegelder mittlerweile zum größten Teil abgewandert sind in die großen Sozialen Netzwerke, die nicht einen müden Euro für journalistische Arbeit ausgeben, aber mit ihren “News” alle klassischen Medien überholen und die Welt mit Lärm erfüllen und das alles auch noch “für nass” hinschmeißen, denn die Milliardenumsätze der Werbekunden hat man sich ja mit “Reichweite” gesichert.

Simone Wendler zeigt sich in ihrem Beitrag zuversichtlich, dass sich die Leser wieder neu orientieren und wieder nach verlässlichen Medien Ausschau halten, die ihnen in einer Welt der unüberschaubaren Informationsfluten wieder Orientierung geben, Dinge einordnen, Strukturen sichtbar machen. Und das alles nun einmal mit Zeitverzögerung, weil selbst die kleinste Recherche ein bisschen Zeit braucht.

So entsteht in diesem Bändchen ein erstaunlich komplexes Bild des modernen Journalismus – da und dort in kluger Analyse der großen Themen der Zeit (von Islam bis Pegida). Und eigentlich hat sich nichts geändert. Nein, die Religionen sind nicht auf einem neuen Weg zur Macht (dafür werden sie von vielen Mächtigen wieder für ihre unheiligen Zwecke missbraucht). Und die Aufklärung ist noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil: So langsam sieht man erst, wie lang und steinig der Weg ist zu wirklich aufgeklärten Gesellschaften und rationaler Politik.

Thomas Mayer Nun sag, wie hast du’s mit …, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2015, 14,80 Euro.

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