Sie schreibt. Sie kocht. Sie bäckt. Sie probiert aus. Sie schreibt. Sie sammelt. Und wer dachte, mit ihrem 2013 vorgelegten Band "Neue Köstlichkeiten" habe Gudrun Dietze die thüringische Küche mit all ihren leckeren Rezepten endgültig abgearbeitet, der hat sich geirrt. Hier gibt es die nächsten 100 Rezepte.

Seit 20 Jahren veröffentlicht Gudrun Dietze im Buchverlag für die Frau ihre Koch- und Backrezepte. Anfangs war das wie eine überfällige Aufarbeitung dessen, was in den Jahrzehnten zuvor eher unerwünscht war. Regionale Küchen passten nicht so recht in ein sozialistisches Haushaltsbild. Dabei sind regionale Küchen ein Reichtum in diesen Breiten. Und sie haben auch wenig mit der üblichen Provinz-Feierei zu tun, dafür eine Menge mit dem ganz konkreten Arbeitsalltag und den verfügbaren Rohstoffen im näheren Umkreis.

Deswegen tauchten die regionalen Küchen auch in den alten Kochbüchern des 19. Jahrhunderts eher selten auf. Es ist eine Entdeckung des späten 20. Jahrhunderts, dass es sich tatsächlich lohnt, die Küchenkultur einer bestimmten Landschaft zu erkunden und ihre Rezepte zu sammeln. Das geht durchaus noch viel spezieller als bei Gudrun Dietze. Aber um die Wissenschaft geht es ihr gar nicht. Auch wenn hinter ihren immer neuen Sammlungen auch ein gut Teil Erkunden und Nachfragen steckt.

Die Rezepte jener Nachbarn und neuen Bekanntschaften, die ihr das eine oder andere Familienrezept verrieten, sind auch in diesem Band wieder unterm Namen der jeweiligen Spenderin zu finden. Wobei natürlich auffällt: In der klassischen Thüringer Küche regiert die Frau. Und sie ist kreativ und erfinderisch. Schon immer gewesen. Denn so reichlich wie heute waren die Zutaten fürs Backen und Kochen nicht immer vorhanden in Thüringen. Die letzte manchmal durchaus dürftige Phase ging ja gerade vor 25 Jahren zu Ende – was sich auch in Dietzes Rezeptsammlung widerspiegelt, denn auch damals ließen sich pfiffige Frauen und Männer etwas einfallen und es entstand ein ganzes Repertoire typischer DDR-Rezepte, die heute in vielen Familien immer noch mal der Party-Gag, mal der beliebteste Familienschmaus sind.

Sie finden sich einfach in kuscheliger Nähe zu Thüringer Traditionsrezepten, die weit in die Geschichte zurück reichen – leckere Rezepte aus der Arme-Leute-Küche darunter, die jede feudale Tafel in den Schatten stellen, deftige bürgerliche Kost mit einer Menge Fleisch (bevorzugt aus dem Wald), mit Klößen. Pilzen, Nocken. Und – was immer wieder auffällt: Die Thüringer lieben Kuchen in allen Größen, Farben und Formen. Darin sind sie noch viel erfindungsreicher als die Sachsen, was schon etwas heißen will.

Und sie geben sich auch nicht mit den Klassikern zufrieden. Jedenfalls Gudrun Dietze tut das  nicht. Sie probiert immer Neues, verwandelt alte Rezepte, reichert sie an und peppt sie auf, macht sie frischer und zeitgenössischer. Und so füllen allein die Kuchenrezepte zwei Drittel dieses neuen Bandes. Farbenfreudig, denn Gudrun Dietze nutzt so ungefähr alles, was es an Früchten aus nah und fern gibt, um daraus neue Kuchen zu zaubern. Küchlein wohl eher. Denn sie bevorzugt meist Blechkuchen, der sich in handliche kleine Häppchen schneiden lässt, ideal zum Kaffeeplausch. Auch den liebt man in Thüringen. Aber der kleine Zuschnitt hat sichtlich einen ganz anderen Grund: Wenn man die Kuchenstücken kleiner macht, bekommt man einfach mehr Sorten auf den Teller. So dass dann die Küchlein in der Regel auch nicht allein fotografiert sind, sondern in bunter Gesellschaft.

Auf Seite 80 (nach der Zebra-Torte) kommt man dann unverhofft nach der Kaffeetafel in die Welt der deftigen Braten- und Geflügelgerichte. Wobei das Wort “deftig” irritiert, denn Gudrun Dietze zeigt hier in den modernen Abwandlungen vieler Klassiker, dass auch in den Thüringer Berglandschaften die Zeit der wirklich deftigen und schweren Gerichte zu Ende geht. Das sehen sogar die Männer ein. Man arbeitet nun einmal nicht mehr als Holzfäller, Bergmann oder Tagelöhner. Aber Viele essen noch so und wundern sich dann, dass das aufs Lebendgewicht schlägt.

Da hilft es ganz gewaltig, wenn bei Geflügeltem, Putenkeule und Echten Jägerschnitzeln mit etwas mehr Küchenphantasie gearbeitet wird, auch mit exotischen Gemüsen und Beilagen. Das Auge isst mit. Und manchmal wird’s auch von bunten Gemüsen schon satt. Was dann im Kapitel “Pikantes mit Gemüse & Ei” noch sinnfälliger wird. Und das Wort deftig fällt einem auch noch bei Blumenkohl in Hackfleischsoße oder Kerstins Hackfleischzupfsuppe ein. Was Ordentliches muss schon auf dem Teller und in der Schüssel sein. Aber das Pikante dabei muss nicht unbedingt immer der scharf gewürzte Braten sein.

Und so hat man also wieder so ein Stück Küchenrecherche vor sich, in der sichtbar wird, wie sich auch beidseits des Rennsteigs die Zeiten ändern und die Mahlzeiten sich der Welt öffnen. Und wer den alten Zeiten nachtrauert (solche Menschen soll es ja geben), der macht sich zum Abschluss eben den Silvesterpunsch und beherzigt, was Gudrun Dietze als letzten Ratschlag dazuschrieb: “Mit reichlich heißem Wasser gestreckt, wurde er jedoch bekömmlicher.”

Gudrun Dietze Mein Thüringer Rezeptschatz, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2015, 12,95 Euro.

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