Jubiläen muss man feiern. Das kann man auch mit einem richtig dicken Buch tun, in dem lauter prächtige und leckere Kuchen-, Torten- und Plätzchenrezepte stehen. Das, womit sich die Thüringerin Gudrun Dietze besonders gern beschäftigt. Vor 30 Jahren erschien ihr erstes Buch aus der Thüringenküche im Buchverlag für die Frau. Daraus sind mittlerweile 14 Titel geworden. Und nun gibt es den Jubiläumsband.

Der bringt jetzt all die Backrezepte, die Gudrun Dietze in dieser Zeit besonders lecker fand. Denn sie sammelte ja nicht einfach und fragte bei Freunden und Bekannten herum, ließ sich alte Familienrezepte geben und fragte auch die Gastgeber bei Festen, wenn ihr ein neuer besonders schmackhafter Kuchen begegnete. Sie buk alles selber nach.

Eigentlich eine echte Feldforschung, die sie da betrieb. Denn Thüringen ist ein traditionelles Kuchenland. So ähnlich wie Sachsen. Aber eine ähnlich umtriebige Feldforscherin in Sachen Kuchen hat der Freistaat Sachsen nicht hervorgebracht. So richtig hat hier nirgendwo der Funke gezündet, dass auch das Backen von Kuchen und Torten historisches Überlieferungsgut ist.

Es erzählt von den Festen und dem Alltag der Menschen genauso wie vom Reichtum der regionalen Küche. Selbst von den 40 Jahren DDR erzählt es, als sich Hausfrauen und Hausmänner Gedanken machen mussten, was sie mit den verfügbaren Zutaten alles backen könnten. Und das war eben keine arme Küche mehr, wie sie es für den Großteil der Bevölkerung noch im 19. Jahrhundert war.

Alltagskuchen, Sonntagskuchen

Auf den Tischen der Thüringer und Sachsen zeigte sich selbst in den DDR- und LPG-Jahren eine fantasievolle Vielfalt, die in einigen sehr schönen und auch bunten Exemplaren auch in dieses Buch gefunden hat. Übrigens – so versichert der Verlag – alles getestet, von Gudrun Dietze selbst gebacken und verfeinert, bis das Rezept genau ihren Erwartungen entsprach und selbst Backanfängern eine ideale Grundlage dafür gibt, schon mit dem ersten Kuchen ein Erfolgserlebnis feiern zu können.

Und natürlich überwiegen in diesem Fest-Band die Kuchen. Denn Kuchen gehörten in Thüringen zum Alltag, spätestens dann, wenn draußen nacheinander die Früchte reiften und die Bäckerinnen und Bäcker nur noch den richtigen Teig zubereiten mussten, damit sie alle nacheinander auf die Sonntagstafel kommen konnten: Sauerkirschkuchen, Pflaumenkuchen mit Streuseldecke, Stachelbeerkuchen, Kürbiskuchen, Rhabarberkuchen …

Wobei Gudrun Dietze auch erwähnt, dass Kuchen in Thüringen niemals nur Selbstbeschäftigung waren. Kuchen leben von der Gemeinschaft. Wenn jemand mit dem Fuhrwerk ins Dorf kam und zum Kaffee einkehrte, gab es Kuchen – einen aus der eher knusprigen und haltbaren Abteilung. Bei Festen wurden die Kuchen niemals im Ganzen auf den Tisch gestellt, sondern in kleine Quadrate geschnitten und in bunten Bergen auf der Tafel platziert.

Damit jeder von jedem Kuchen etwas naschen konnte.

Mariechens besonderer Kuchen

Geordnet ist die gebackene Vielfalt in diesem Buch in einleuchtenden Kapiteln wie „Beliebte Hefeteigkuchen“ (natürlich mit den leicht zu lernenden Hefeteigrezepten vorneweg), „Rustikale Blechkuchen aus Backpulverteig“, Torten, Kuchenschnitten und Kleingebäck und ganz am Ende „Kekse, Advents- und Weihnachtsgebäck“.

Zu jedem Rezept gibt es wichtige Tipps – mal zur Lagerung, mal zur persönlichen Verfeinerung, mal zur ganz persönlichen Variation, etwa beim Ersatz von Butter durch Margarine.

Da und dort stehen in Rot auch die sehr persönlichen Kommentare der Bäckerin, so wie sie manchmal auch auf der Familienrezeptsammlung von Oma und Uroma stehen, damit auch die Töchter und Enkelinnen, Söhne und Enkel wissen, warum es sich lohnt, jetzt das Backgeschirr herauszuholen.

Da wird es dann auch mal sehr persönlich, etwa wenn Gudrun Dietze zu „Aprikosenmariechen“ schreibt: „Das ist Mariechens saftiger Trockener, ein besonders haltbarer Kuchen.“

Da sieht man sie geradezu mit Mariechen auf der Straße stehen und ernsthaft über die Haltbarkeit von Kuchen diskutieren. Der „Pfeffi-Kuchen“ ist „ein feiner Festtagskuchen aus der Gegend um Apolda“. So ist manch ein Gebäck sehr lokal verankert. So wie der „Schmandkuchen Eichsfelder Art“, der Apfelkuchen nach Zeulenrodaer Art oder der „Johannisbeerkuchen Wildtaube“, der seinen Namen „nach dem gleichnamigen Ort bei Greiz“ trägt. Auch so kann man die Thüringer Landschaft kennenlernen.

Herrentorte und Paradieskuchen

Und natürlich sieht man so auch die Lust der ganz gewöhnlichen Menschen dort, an Sonn- und Feiertagen eben doch mal edel und vornehm zu tafeln. Was in vielen Fotos mit dem kostbaren Goldrandgeschirr von Oma zu sehen ist. Die Goldrandtassen holt man ja nur raus, wenn lieber Besuch kommt. Und zwar nicht nur weiblicher. Denn zur Küchenkenntnis gehört auch, dass Männer etwas schamhaft sind und nicht gern zugeben, dass auch sie gern Süßes und Zartes verputzen.

Also wird für sie traditionell etwas herber gebacken. Und so heißen die Rezepte dann auch: Nusstorte mit Schokosahne (Männertorte) oder gleich Herrentorte. Wobei die Herren an der Tafel dann vielleicht eher neidisch zur Quarktorte ohne Boden („ein rustikales Bauerngebäck“) oder zur Weintraubentorte „Kerstin“ hinüberschielen. Es ist nicht die einzige Bäckerin, die hier ein Rezept mit ihrem Namen spendiert hat.

Und es sind auch nicht nur die so gern plaudernden Erwachsenen, an die Gudrun Dietze gedacht hat. Denn einige Kuchen und Torten sind besonders bunt und sind auch besonders für Kinder und ihre Feste gedacht. Oder einfach bei Kindern beliebt wie Omas „Gefüllter“ oder der Paradieskuchen.

Geduld und Liebe

Und romantisch darf es auf der Kaffeetafel auch werden. Gerade dann, wenn turtelnde Liebespärchen (egal, welchen Alters) mit am Tisch sitzen. Da können dann „Liebesbriefe“ auftauchen, Lilifee-Schnitten oder cremige Zimtschnitten nach Kerstins Rezept.

Wer die Koch- und Backwelt von Gudrun Dietze noch nicht kennt, dürfte mit diesem großen Band mit ihren Lieblingsbackrezepten auf jeden Fall einen Zugang finden zur Thüringer Backwelt. Und zu einem Metier, wo „Geduld und Liebe“ sowieso dazugehören, wenn man seine Lieblingsgäste tatsächlich mit einem gelungenen Kuchen überraschen möchte.

Und wenn sie dann das Rezept haben wollen, weiß man, dass man alles richtig gemacht hat. Und dass einen die Rezepte von Gudrun Dietze gut an die Hand genommen haben. Da es so viele sind, ist das Buch auch für Entdeckungen und neue Wagnisse gut. Dazu verlocken allein schon die vielen Fotos zu etlichen der versammelten Rezepte.

Und manchmal reicht ja der Blick auf die kleinen, rot gedruckten Empfehlungen. „Knackig, sahnig und sehr fruchtig als unkomplizierte Festtagstorte sehr zu empfehlen.“ Das steht da zur Sauerkirschtorte „Marianne“. Obwohl jetzt natürlich erst mal die Erdbeer-Quark-Torte dran ist, wenn demnächst die heimischen Erdbeeren reifen. Ein Rezept, bei dem man die Erdbeeren auch durch Blaubeeren, Himbeeren usw. ersetzen kann. J

e nachdem, was der Garten gerade spendiert. Denn man bäckt sich ja mit Gudrun Dietze auch durchs Gartenjahr. Was für so Manchen die Wiederentdeckung einer Natur sein dürfte, die nach völlig anderen Prinzipien funktioniert als die Dauerbuntheit im nächsten Supermarkt.

Gudrun Dietze „So bäckt Thüringen. Meine Lieblingsrezepte“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2023, 22 Euro.

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