Wird unsere Welt immer virtueller, künstlicher und fragmentierter? Oder kommen alle mal wieder runter auf die Erde und kümmern sich wieder um die Dinge, die wirklich wichtig sind? Zum Beispiel: gesundes Essen, von dem sie wieder wissen, was wirklich drin ist. Nämlich, weil sie es selbst gemacht haben. So wie Mama und Oma. Diese beiden Bücher sind die Gewähr dafür, dass man das hinbekommt.

Die standen und stehen in etwas anderer Gestalt bei Mama, Oma und auch Uroma im Regal. Sogar dann, wenn dort kein anderes Buch stehen sollte. Als der Verlag für die Frau 1962 seinen Klassiker „Wir kochen gut“ erstmals herausbrachte, ging es dabei eigentlich um dieselbe Frage wie heute. Etwas verschärft natürlich dadurch, dass es viele Zutaten, die man heute ganz selbstverständlich im Laden kauft, in HO- und Konsumkaufhallen schlichtweg nicht gab.Oder nur manchmal. Ostdeutsche Hausfrauen (die Männer waren im Osten damals noch nicht so weit) brauchten also ein richtig handfestes Buch, in dem lauter von Profis getestete Rezepte standen, wie man mit all dem, was es in der DDR tatsächlich zu kaufen gab, trotzdem gut, reichhaltig und gesund kochte.

Letzteres wird in den beiden Vorworten zu diesen beiden Büchern, die der Buchverlag für die Frau zum 75. Geburtstag des Verlages im Partner-Look veröffentlicht hat, nicht extra erwähnt. Obwohl es seit 1962, seit „Wir kochen gut“ erstmals aufgelegt wurde, nichts, aber auch gar nichts an Aktualität verloren hat, auch wenn heute zuständige Landwirtschaftsministerinnen lieber mit zuckerhaltigen Konzernen herumgeigeln.

Wer sich nur aus den Fertigprodukten im Supermarkt ernährt, weiß, was falsche Ernährung mit dem Körper anrichtet. Meistens weiß es der Arzt auch. Denn das schlägt durch, das macht richtig krank. Und wer noch die alten Ausgaben hat, die der Verlag auch als Reprints anbietet, findet in diesen Büchern die damals aktuellen Hinweise zur gesunden Ernährung.

Nicht sehr aufdringlich. Aber sie steckten selbst in den Rezepten, mit denen junge Frauen (und später auch Männer) lernen konnten, wie man mit dem Vorhandenen möglichst ausgewogene und leckere Mahlzeiten zubereiten konnte. Und wer Omas Kochkünste kennt, weiß, dass das schmeckt. Und was ausgewogen bedeutet.

Natürlich muss so ein Grundkochbuch nicht mehr die kargen Grenzen einer sozialistischen Mangelwirtschaft berücksichtigen (obwohl man auch damals durchaus exotische Zutaten und Rezepte im Buch finden konnte). Weshalb dieser Klassiker für die Gegenwart aktualisiert wurde und an heutige Küchenausstattungen angepasst wurde.

Und dasselbe hat der Buchverlag für die Frau auch mit dem anderen Klassiker getan, der 1967 erstmals als Backbuch erschien und mit dem ostdeutsche Frauen fast alle gelernt haben, die Lieblingskuchen und Torten der Familie zu backen. Und zu Recht erwähnt das Vorwort diesmal, dass es einen gewaltigen Unterschied macht, ob man sich das Fertigtortenprodukt aus der Tiefkühltruhe holt oder ob man daheim selbst bäckt und man schon am Geruch im Treppenhaus ablesen kann, was da für leckeres Backwerk auf den Tisch kommen wird.

Denn natürlich verlässt sich eine kluge Bäckerin oder ein frisch gebackener Bäcker nicht darauf, dass in der Backmaschine alles von ganz allein passiert (das ist ja der Irrglaube, denn amerikanische Datenkonzerne versuchen, den Käufern ihrer Künstlichen Intelligenz in die Hirne zu hämmern), sondern weiß, wie man genau den richtigen Zeitpunkt an Bräune und Konsistenz ablesen kann, zu dem das Backwerk aus der Röhre muss.

Und irgendwie bin ich mir auch sicher, dass ein richtiges Leipziger Allerlei mit Morcheln, Spargel und Krebsbutter nicht im originalen „Wir kochen gut“ stand. Es sind also unter den 1.000 Rezepten im Grundkochbuch auch viele neue dabei, die die heutige Angebotspalette abbilden, die aber die alten Tugenden weiterschreiben, die vor allem in sehr genauen, anschaulichen Beschreibungen der einzelnen Arbeitsgänge bestehen, in genauen Maßangaben und Tipps zur richtigen Behandlung der (frischen) Produkte. Bis hin zu den Standards, die ein geübter Küchenkünstler irgendwann im Schlaf draufhat – etwa zum Gelingen von Eintöpfen, Grützen, Soßen.

Wir backen guit. Foto: Ralf Julke
Wir backen gut. Foto: Ralf Julke

Beide Bücher zeigen, dass man nicht unbedingt 100 Koch- und Backbücher mit möglichst ausgefallenen Rezepten braucht. Sondern dass man am besten erst einmal lernt, all das köstlich zuzubereiten, was sich vorwiegend auch mit heimischen und saisonalen Produkten machen lässt, also all dem, was einem beim Schlendern über den Frischemarkt sowieso unterkommt und was man sich dann in den Korb packt, um daheim einfach nach Stichwortliste nachzuschauen, welches einfache und schmackhafte Gericht man daraus zubereiten kann.

Wer seine Omas fragt, weiß, dass man dann irgendwann etliche Lieblingsgerichte der Familie einfach draufhat und nicht mal mehr hingucken muss, um mit der richtigen Prise zu würzen und am Ende genau den unverwechselbaren Geschmack hinzubekommen, der für die ganze Familie dann bis zum Lebensende Heimat bedeutet.

Denn Heimat besteht nicht aus jodelnden Plattlertänzen in Lederhose, sondern aus den Düften aus Omas oder Mamas oder auch Papas Küchenfenster. Wobei die Papas wahrscheinlich gut daran tun, umzuschulen. Denn die meisten sind noch besessen von dem Gedanken, echte Männergerichte müssten aus ordentlich viel Fleisch bestehen.

Die traditionellen Hinweise zum Fleisch stehen natürlich auch um Grundkochbuch. Aber unsere Essgewohnheiten haben sich längst verändert und werden sich auch weiter ändern. Die Zeit des Billigfleisches geht vorbei, dafür wird Aldi schon sorgen. Wir werden Fleisch wieder als das zu behandeln wissen, was es mal war: eine besondere und deshalb teure Zutat zum Essen, das mit Sonntagsmahlzeiten auch wieder einen besonderen Platz im Wochenspeiseplan bekommt.

Denn wer genau hinschaut, merkt, dass selbst die Welt der fleischlosen Speisen reich und atemberaubend ist. Oder wann haben Sie ihren letzten Quark-Obst-Auflauf gemacht? Die letzten Pilzklöße? Die letzten Bratkartoffeln nach Omas Art? Oder einen richtigen vegetarischen Gemüsetopf?

Und am Ende gibt es sogar Tipps, die künftig wieder richtig wertvoll werden, wenn wir nämlich wirklich wieder gelernt haben, uns regional zu ernähren und vorzusorgen. Da gibt es die ganzen aktualisierten Tipps zum Einkochen, zum Einlegen, zur Vorratshaltung. Und ein kleines Obst- und Gemüse-ABC für alle, die noch nicht so richtig wissen, was sie mit dem Original-Gemüse eigentlich anfangen können.

Und eigentlich haben beide Bücher das Zeug, auch in westdeutsche Küchen zu wandern und allen jungen Menschen zu helfen, die Sache mit dem Essen selbst in die Hand zu nehmen und sich unabhängig zu machen von den falschen Versprechen der Fertigprodukteindustrie. Was auch für nicht so betuchte Haushalte ein Weg aus der Sackgasse der falschen Ernährung sein kann.

Gerade dann, wenn man wieder lernt, mit dem Selberzubereiteten auch die Preise fürs Essen wieder in den Griff zu bekommen. Denn auch wenn der Weg auf den Frischemarkt erst einmal wie Luxus aussieht, wie ein Freizeitvergnügen der besser Bezahlten, zahlen am Ende alle drauf, die sich nur von den Fertigprodukten aus dem Supermarkt ernähren. Vom Geschmack ganz zu schweigen, der ja – da industriell produziert – nur ein Allerweltsgeschmack sein kann, gern überzuckert und übersalzen. Da geht dann auch das geschmackliche Vergnügen am Essen vor die Hunde.

Da hilft wirklich nur eins: Schenken Sie sich selbst diese Bücher und beginnen sie mit den einfachen Mahlzeiten, vielleicht sogar genau denen, die Oma immer gekocht hat. Omas Nudeltopf etwa oder Himmel und Erde. Es gibt eine Welt wiederzuentdecken. In zwei Büchern, die zwar zum 75. Geburtstag des Verlages erscheinen, die man aber auch jungen Weltentdecker/-innen zum 25. Geburtstag auf den Tisch legen kann. Oder noch früher.

Denn das wissen die Mädchen und Jungen, die ihren Müttern „damals“ in der Küche geholfen haben: Früh übt sich, wer ein guter Koch oder eine begnadete Bäckerin werden will. Und: Die Liebe zum Leben geht durch den Magen.

Das Grundkochbuch Wir kochen gut, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2021, 18 Euro.

Das Grundkochbuch Wir backen gut, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2021, 18 Euro.

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Es gibt 2 Kommentare

Endlich die Wahrheit. Was man heute als L A bekommt, sind nur Fantasiesuppen – Hauptsache Spargel, Karotten und Blumenkohl. Das Getier lässt man weg – auch wenn das gerade der Clou ist…

“Und irgendwie bin ich mir auch sicher, dass ein richtiges Leipziger Allerlei mit Morcheln, Spargel und Krebsbutter nicht im originalen „Wir kochen gut“ stand…”
Doch:
“Wir Kochen Gut”, 10. Auflage, Leipzig 1968,
Druckgenehmigungsnummer: 126/405/48/85. Gesamtherstellung : INTERDRUCK Graphischer Großbetrieb Leipzig-III/18/97,
beinhaltet auf Seite 59 – Echtes Leipziger Allerlei –
200g Schoten
250g Karotten
150g Kohlrabi
150g Spargel
150g Blumenkohl
150g Morcheln
60g Butter
1 Eßlöffel Mehl (ja, mit EssZett)
8 Krebsschwänze
Semmelklößchen
Woher die Krebse und Morcheln kamen, ist nicht überliefert ,-)

Das, nun ja, Buch als Paperback mit langsam von Säure zerfressenen, aus holzhaltigem Papier bestehenden Seiten steht immer noch im Küchenregal, der Einband fettig und mit diversen Kringeln abgestellter Gläser verziert, jedoch: it’s only rock’n roll, but i like it!

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