Es gibt Erfolge, die erzählen sehr viel über das, was Menschen wirklich wichtig ist. So wie das Buch „Thüringer Festtagskuchen“ von Gudrun Dietze, das 1993 im Leipziger Verlag für die Frau erschien. Es stand damals auch für ein sich deutlich wandelndes Verlagsprofil. Und es verkaufte sich bis heute 250.000 Mal. Da ist selbst der Verlag überrascht.

Mittlerweile sind diesem erfolgreichen Erstling der Thüringerin zwölf weitere Erfolgstitel gefolgt. Auch ein paar aus der leckeren Thüringer Küche, aber die meisten Bücher zelebrieren die Freuden des Kuchen-, Torten- und Plätzchenbackens. Und der Verlag sieht sich im Vorwort schon geneigt, den Thüringern nach Jahren des innigen Wettstreits zwischen den sächsischen und den Thüringer Kuchenkünsten die Krone zu überlassen. Sich also irgendwie mit Platz 2 im Torten-PISA zu begnügen.

Aber das würde wohl den Kern des Ganzen verfehlen. Wer genau hinschaut sieht, dass sich die beiden Backwelten nur in Teilen überlappen. Und der Teil, mit dem Gudrun Dietze erfolgreich ist, ist jener, der auch Frauen (und möglicherweise auch Männer) in anderen ostdeutschen Ländern begeistert. Denn er zeigt, dass Kuchenvielfalt kein Vorrecht exquisiter Konditoren ist, sondern für jede und jeden machbar, die sich nur das Gefühl für den richtigen Teig und den passenden Belag erarbeitet haben.

Gudrun Dietzes Backkunst ist in den Küchen ganz normaler Hausfrauen geboren, Frauen, die oft auch die alten Backbücher aus dem Verlag für die Frau ständig zur Hand haben, weil darin alles ganz einfach und nachvollziehbar erklärt wird.

Also so, wie es Gudrun Dietze auch macht. Und diese Vorlagen sind ja in einer Zeit geboren, in der noch die Phantasie der Bäckerin gefragt war, weil es eben in der Kaufhalle noch nicht alles fertig oder halbfertig gab. Manches gab es auch gar nicht oder nur selten. Man musste also zaubern lernen und im Kopf auch mal vollkommen umschalten, wenn es bestimmte Sachen nicht gab (Sahne zum Beispiel), dafür anderes auf einmal in Massen (Erdbeeren zum Beispiel). Die Auswahl veränderte sich ständig, völlig unbeeinflussbar.

Was eigentlich auch nichts Neues war: Das war das Schicksal aller Backfreudigen seit Alters her. Jedes Obst hatte seine Zeit, viele Zutaten waren teuer (und deshalb selten) oder exotisch (und deshalb teuer). Und Gudrun Dietze zeigt mit ihren immer neuen Zusammenstellungen, dass dieses Wissen in Thüringer Haushalten noch lebendig ist. Ihre neueren Bücher leben fast alle von den Zusendungen, die die Backkönigin aus Thüringen bekam und bekommt. Aber sie übernimmt die in vielen Familien bewährten Rezepte nicht einfach, sondern bäckt sie nach – testet sie also auf Herz und Nieren, ob sie auch wirklich funktionieren und jedes Mal das gewünschte Ergebnis liefern.

In gewisser Weise ist ihr Name auf dem Titel also auch eine Art TÜV-Plakette: Diese Rezepte sind ohne Trickserei durch ihre freundliche Prüfung gekommen und reihen sich deshalb ein in die wachsende Zahl der von ihr gesammelten und bewährten Rezepte. Und allein war sie auch nicht. Sie hat längst einen Profi an der Seite, den Konditormeister Stefan Gerhard Salzer aus Thallwitz, der nach ihren Rezepten die Kuchen und Torten gebacken hat, die auf den seitengroßen Fotos im Buch zu sehen sind.

Fotos, die zeigen, wie so eine richtige Thüringer Sonntagstafel aussieht. Wofür dann wieder Anke Hämsch aus Gostemitz die Verantwortung trägt. Im Foto tauchen dann in der Regel auch all die Früchte auf, die in den Torten und Kuchen verbacken wurden.

Und da kommt das nächste Merkmal zum Tragen, das die Backrezepte von Gudrun Dietze so typisch macht: Sie bäckt mit unübersehbarer Vorliebe große, fruchtige Obstkuchen, also genau die Backwerke, die zur jeweiligen Obstsaison passen. Und die dann logischerweise auch noch leichter, fruchtiger und vitaminreicher sind als die in Sachsen eher beliebten schweren Kuchen und Torten. Das ist ein augenfälliger Unterschied.

Der noch augenfälliger wird, wenn die großen Obst- und Nuss- und Schokoladenkuchen fein säuberlich in zigarettenschachtelgroße Stücke geschnitten und auf edlem Kuchenteller zur Auswahl angeboten werden. Denn nur eine Kuchensorte auf dem Tisch, das wäre wohl nicht Thüringen.

Und so findet jede und jeder, die zu so einer Kaffeetafel geladen sind, lauter verschiedene Häppchen zur Auswahl. Und die Größe der Häppchen sorgt dafür, dass man sich nicht überfuttert, sondern genau dann aufhören kann, wenn der Birnenkuchen oder der Stachelbeerkuchen sagen: Jetzt ist es schön. Jetzt sind wir im Himmel und können den sonnigen Nachmittag einfach weiter mit den Augen genießen.

Womit schon ein paar der Kuchen genannt sind, die sich jetzt in diesem nunmehr 14. Dietze-Buch finden, das rund 60 Rezepte enthält, darunter Engelsbissen und Kosakenzipfel. Und für die Kinder einen Gespensterkuchen. Und von den Fotos lachen sie dann in aller Obstfarbenfreude – die Aprikosentorte, die sehr feine Erdbeertorte, die Orangen-Zitronen-Torte … Hinterher weiß man, was man mit den ganzen Früchten des Sommers und des Herbstes anfangen kann, wenn man mal über Apfel- und Pflaumenkuchen hinauskommen möchte.

Aber am schönsten fand ich die Marzipantorte mit Karamellguss.

Denn dazu hat Gudrun Dietze – nach einer recht umfangreichen Handlungsanweisung – freundlich angemerkt: „Diese Torte hat zwar viel Text, aber sie macht nicht so viel Arbeit wie es aussieht.“

Wenn das nicht Mut macht zum Beginnen, was dann?

Gudrun Dietze Neue Thüringer Festtagskuchen & mehr, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2018, 12,95 Euro.

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